„Erstmals seit 1989 haben wir in Polen wieder politische Gefangene“, so die Reaktion der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) auf die Verhaftung zweier hochrangiger Politiker aus ihren eigenen Reihen. Seit dem 9. Januar sitzen Mariusz Kamiński, PiS-Vize und zuletzt Innenminister, sowie sein Stellvertreter Andrzej Wąsik, im Gefängnis. Beiden wurden 2015 Vergehen bei ihrer Arbeit in der Antikorruptionsbehörde CBA vorgeworfen.
Noch bevor ein rechtskräftiges Urteil gesprochen war, begnadigte sie der seinerzeit gerade gewählte Staatspräsident Andrzej Duda – nach Ansicht vieler Juristen ein widerrechtlicher Vorgang. So sah es auch das Oberste Gericht und ordnete im Juni 2023 eine Neuverhandlung an, die am 20. Dezember mit der nu
mit der nun rechtskräftigen Verurteilung zu zwei Jahren Haft endete. Die Festnahme der PiS-Politiker im Amtssitz des Staatsoberhauptes brüskierte den Hausherren, der daraufhin den beiden Delinquenten abermals die Strafe erließ.Anstatt jedoch die Begnadigung direkt auszusprechen, sodass die inzwischen in den Hungerstreik Getretenen sofort auf freien Fuß kamen, spielte Duda Justizminister Adam Bodnar den Ball zu. Der solle den Gnadenakt prüfen und umsetzen. Wann – das blieb offen. So sitzen Kamiński und Wąsik weiter ein, was Opposition und Regierung zu ihren Gunsten auszuspielen suchen.Der Konflikt flankiert andere Entscheidungen, denn über Minister Bodnar startet die Regierung von Donald Tusk ihren Angriff auf die Staatsanwaltschaften des Landes, vorrangig auf den von der PiS mit großen Vollmachten ausgestatteten Generalstaatsanwalt Dariusz Barski. Er wurde vor Tagen suspendiert, weil es Verfahrensfehler bei seiner Berufung gegeben haben soll. Kritiker monieren, eine Entlassung dieser Art brauche die Zustimmung des Präsidenten. Barski und andere Staatsanwälte protestieren, andere Juristen bescheinigen Bodnar ein reguläres Handeln. Da die Regierung zeitgleich den noch von der PiS besetzten Landesjustizrat (KRS) und einige Kammern des Obersten Gerichts (SN) ausschalten will, zeichnet sich eine Flurbereinigung im Justizwesen ab, die recht brachial ausfällt.Begrenzter AusnahmezustandBei der „Rückeroberung“ anderer Institutionen fackelt die Dreierkoalition aus Tusks Bürgerkoalition (KO), der Partei Dritter Weg (TD) und der Neuen Linken (NL) ebenfalls nicht lange. In einer rechtlich zweifelhaften Aktion wurde kurz vor Weihnachten der PiS-dominierte Staatsrundfunk auf eine neutrale Linie gebracht, nachdem Führungspersonal massenhaft gehen musste. Nach Dudas Veto gegen einen Teilhaushalt, der die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien sichert, ging Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz noch weiter: Er versetzte Medienunternehmen, die als Gesellschaften zu 100 Prozent dem Staat gehören, in den Status einer Liquidation. Sie sollen zwar nicht abgewickelt, aber organisatorisch restrukturiert werden. Durch derartige Schritte wird faktisch der von der Verfassung vorgeschriebene Landesrat für Fernsehen und Rundfunk (KRRiT) entmachtet, ein Ausflug in juristische Grauzonen, was sich einzig dadurch legitimieren lässt, dass Nachrichten der Staatsmedien in PiS-Zeiten häufig zur Propaganda verkamen.Vieles deutet darauf hin, dass die „Wiedereroberung der Institutionen“ nicht zuletzt dazu dient, den Präsidenten, der mit seiner Vetomacht jedes Gesetz blockieren kann, zu neutralisieren. Duda spricht denn auch angesichts der getroffenen Regierungsmaßnahmen erbost von „Terror der Rechtsstaatlichkeit“. Etwas weniger spektakulär, daher realitätsnäher analysiert Jan Rokita die Vorgänge. Der Publizist, in den 2000er Jahren ein enger Weggefährte von Tusk, erkennt „einen begrenzten Ausnahmezustand“. Weil die Regierung wegen des Vetorechts des Präsidenten wenig gesetzlichen Spielraum habe, greife Tusk auf eine Taktik zurück, „punktuell und de facto, nicht de jure, für eine bestimmte Zeit ein Gesetz mit dem Ziel außer Kraft zu setzen, die Übernahme von bislang nicht kontrollierten Institutionen zu sichern“. Danach solle „so schnell wie möglich der Zustand normaler Rechtsstaatlichkeit wiederhergestellt werden“. Jan Rokita hatte dies nach der einigermaßen rabiaten Übernahme der öffentlich-rechtlichen Medien analysiert.Freilich zeigen die Gebaren im Justizwesen, dass der „begrenzte Ausnahmezustand“ durchaus dauern kann. So versucht die Regierung derzeit Mittel zu finden, um den durch die Verfassung geschützten und von der PiS in der Zeit von 2016 bis 2022 zum Chef der Nationalbank (NBP) berufenen Adam Glapiński vor ein Staatstribunal zu stellen. Das von PiS-freundlichen Richtern kontrollierte Verfassungsgericht hat jüngst die Unantastbarkeit des NBP-Chefs bekräftigt, was die Regierung nicht weiter anficht. Ihr Hauptvorwurf gegenüber Glapiński lautet, er sei dem Kernauftrag der Bank, die Inflation zu dämpfen, im Auftrag der PiS nicht nachgekommen. Dass damit verhindert wurde, die Wirtschaft abzuwürgen und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu riskieren, die momentan so niedrig ist wie sonst kaum irgendwo in der EU, verschweigen Tusk & Co ebenso wie andere sozialökonomische Leistungen der Vorgänger. Immerhin nahmen die Einkommensunterschiede zwischen 2015 und 2023 deutlich ab, sodass Polen in dieser Hinsicht im EU-Vergleich eine Spitzenposition einnimmt. Gegenwärtig tendiert der „Ausnahmezustand“ dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Keine guten Vorzeichen für Polen, an dessen Grenze ein Krieg tobt.