Wald und Berge

Film Vergangene Woche war Kinostart für den Berlinale-Beitrag "Pădurea e ca muntele, vezi?" (2014). Er ist das Portrait eines Dorfes in den Ostkarpaten. Mit starken Bildern

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Wald und Berge

Still: Trailer

Drei Jungen im Alter von ungefähr sieben Jahren gehen im Licht der untergehenden Sonne über staubige Wege und sommerlich ausgedörrte Wiesen. Freundschaftlich hat einer den Arm um den Zweiten gelegt. Der Dritte trägt einen Korb unterm Arm. Sie unterhalten sich, was sie wohl finden werden. Vielleicht Hagebutten und Himbeeren? Dann könnte Mama daraus Marmelade kochen. Die Shirts der Jungs sind schmutzig, ihre Haut, ihr Haar dunkel. Die Kamera, die ihnen folgt, scheinen sie gar nicht zu bemerken. Auch dann nicht als sie nach der Hagebuttenernte von einer Anhöhe aus auf ihr Dorf hinunterblicken. Einer steht auf, um das Haus seiner Familie zu erspähen. Da hinten, das ist das Pferd vom Nachbarn. Sie sprechen darüber, wie es sein wird, wenn Jesus wiederkommt. Dann werden die Gläubigen, die Pocăiți”, gerettet. Die anderen kommen ins Feuer und werden danach zu Engeln, spekuliert einer der Jungs. Wenn sie größer sind, werden sie auch mal Gläubige. Das steht fest. Im letzten Licht der Sonne hört man von fern das Treiben im Dorf. Am Horizont verschmelzen die bewaldeten Berge und der dunstige Himmel. „Der Wald ist wie die Berge“, sagt einer von ihnen. „Siehst du?“

PADUREA ET CA MUNTELE, VEZI? Trailer

Aus dieser kindlich-phantasievollen, ja fast philosophischen Frage ist der Titel eines Filmes geworden. Gedreht haben ihn Christiane Schmidt und Didier Guillain. Er ist als Portrait der Familien Boros, Coscodar und Lingurar entstanden. Dazu haben sich die FilmemacherInnen im Jahr 2014 insgesamt vier mal in Rumänien aufgehalten. Sie drehten in einem kleinen Ort in den Ostkarpaten; die nächstgrößere Stadt ist das überwiegend von UngarInnen bewohnte Sfântu Gheorghe. Schmidt berichtet anlässlich des Kinostarts davon, wie sie den Ort und die dort lebenden Menschen im Jahr 2004 kennenlernte und wie sich über die Jahre eine Freundschaft entwickelt hat, die darin gipfelte, dass sie gefragt wurde, ob sie Patin eines der Kinder werden wolle. Sie willigte ein. Bei einem weiteren Besuch in dem Karpatendorf wurde von einer Familie der Wunsch an sie herangetragen, doch ein filmisches Portrait von ihnen anzufertigen. Schmidt hatte vorher im Ort mit einem zum Fotostudio umgebauten VW-Bus von den BewohnerInnen Portraitaufnahmen angefertigt. Das war gut angekommen. Schmidt studierte zu jener Zeit an der Filmhochschule in München. Dieser Film nun ist ihr Abschlussfilm. Ihm ist ein großes Publikum zu wünschen.

Das entstandene Werk ist etwas Besonderes. „Pădurea e ca muntele, vezi?” gehört zu jenen Filmen, die gerade durch die Vermeidung von Off-Stimmen und zusätzlichen Informationen eine starke Faszinationskraft haben. Er spricht für sich. Die bewusste Szenenwahl in Kombination mit einer ohne Übertreibung als exzellent zu bezeichnenden Kameraeinstellung und -führung machen die Charakterstärke des Werkes aus. Die Kamera begleitet die Menschen des Dorfes in ihrem Alltag, oft geht sie ihnen einfach nach oder befindet sich mitten unter ihnen. Sie fährt mit auf dem Traktorhänger, der ebenso wenig wie der ihn ziehende Traktor registriert ist. Sie steht in demselben Staub, in dem auch die Menschen stehen, wenn der Pflug auf dem sonnenverdörrten Kartoffelacker vorrüberrast. Sie klettert denselben Berg hinauf, den auch die Jungs klettern, um mit einer Schnur, einem Stein und ihrem ganzen Körpergewicht die untersten Äste der hohen Buchen abzubrechen.

Die wenigen Momente, wo die Gefilmten von der Kamera überrascht werden und entsprechend reagieren („Was filmt die Frau da?“) sind keine Schwäche des Filmes, sondern seine Stärke. Alles an ihm ist authentisch. In dieser bloßen Darstellung des Faktischen liegt aber zugleich das Dramatische, was der Film nicht verbergen will und kann. Christiane Schmidt ist eine geduldige und einfühlsame Kamerafrau, die jene Momente einzufangen in der Lage ist, die weh tun. Das fröhlich mit den anderen Kindern im Dorf spielende Mädchen, was allein auf der Schaukel zurückbleibt als die anderen von ihren Müttern zum Mittagessen gerufen werden. Im Arm seiner Mutter schluchzt es vor Hunger. Warum kann es nicht auch mitgehen? Es habe Hunger. „Warum kannst du nicht in einen Laden gehen und etwas kaufen?“, brüllt es in seiner Wut. Die Mutter verdreht ratlos die Augen – selbst das fängt die Kamera ein – und tröstet das Kind: „Nach Regentagen kommen auch wieder Sonnentage“.

Die am Ende des Films alle namentlich genannten „DarstellerInnen“ stehen stellvertretend für eine große Zahl Menschen in Rumänien, die unter ähnlichen Bedingungen leben. Die mit Holz aus den Wäldern heizen und bauen, die Wildkräuter und -gemüse im Wald pflücken und essen, die im Herbst Beeren und Pilze pflücken, um sie zu verkaufen oder zu essen, die in den Flüssen im Sommer baden und die auf den Feldern der RumänInnen und UngarInnen zunehmend weniger Arbeit finden, weil die Maschinen nach und nach die Arbeit von Hand überflüssig werden lassen. Christiane Schmidt zeigt RomNja, die nicht nur geografisch sondern auch sozial am Rande der heutigen rumänischen Gesellschaft leben. Ihre Väter hatten zu Ceaușescus Zeiten noch ein Auskommen in den großen Fabriken des Landes gehabt, erzählen die Protagonistinnen. Diese Zeiten sind vorbei. Auch der Dorfälteste blickt fast wehmütig auf diese Vorwendezeiten zurück. Damals ging es ihnen besser, ist er sich sicher. Was hier entstanden ist, ist also nicht nur das Portrait einer in einfachsten Verhältnissen lebenden Dorfgemeinschaft, sondern zugleich eine ehrliche Gesellschaftsstudie, die trotz des subjektiven Zugangs jede Sentimentalität zu vermeiden weiß.

Ein drittes Moment, was das Dasein der Lingurars (rum. „Löffelmacher“) und Boros' (ung. „Wein-“) in diesem Landstrich ausmacht, ist ihre Religiösität. Sie sind Siebentagesadventisten und halten damit auch nicht hinterm Berg. Die FilmemacherInnen haben bei den teilweise sehr berührenden Szenen die Kamera einfach eingeschaltet gelassen. Das Gespräch der Frauen vor der Kamera mit denjenigen hinter ihr wird so zu einem fesselnden Dialog mit dem Kinozuschauer selbst. So sitzt in einer Szene eine junge Frau im Sessel und hält die Bibel in der Hand. Sie predigt und zitiert aus dem Alten Testament die Zehn Gebote. „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft“. Ihre Stimme versagt. Tränen rollen über ihre Wangen. Die Kamera bleibt still.

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