Die kommenden Alternativen

Zukunft Kritik am Kapitalismus ist heute zwar kein Tabu mehr. Aber der Widerspruch dagegen wird oft nur achselzuckend zur Kenntnis genommen. Es wird Zeit, dass sich das ändert
Ausgabe 39/2014
Warum gibt es so wenig Widerstand gegen den Kapitalismus? Warum verläuft er so schnell ins Leere? Ist eine Revolution noch möglich?
Warum gibt es so wenig Widerstand gegen den Kapitalismus? Warum verläuft er so schnell ins Leere? Ist eine Revolution noch möglich?

Foto: David McNew/Getty Images

Frank Schirrmacher hat gesagt: „Ein Jahrzehnt enthemmter Finanzmarktökonomie entpuppt sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm linker Gesellschaftskritik.“ Ja, man darf das Wort „Kapitalismus“ wieder gebrauchen, auch außerhalb linker Nischen. Immerhin, der Sache kann wieder ein Name gegeben werden. Plötzlich erinnern sich alle, dass schon Marx gelehrt hat, die Geschichte des Kapitalismus sei die Geschichte seiner Krisen.

Hätte sich jemand vor Jahren auf den Marktplatz gestellt und gerufen: So geht es nicht weiter mit dem Kapitalismus, dann wären die Leute kopfschüttelnd weitergegangen oder der Staatsschutz wäre gekommen, je nachdem, wie laut das Rufen erklungen wäre. Und heute, wer würde heute einem solchen Redner widersprechen?

Aber der Widerspruch wird achselzuckend zur Kenntnis genommen und dann geht man zur Tagesordnung über – und die ist nach wie vor neoliberal.

Der Wirtschaftsteil, um den wir den Freitag zunächst alle vier Wochen erweitern, wird daran nichts ändern können. Aber wir können versuchen, eine Aufgabe wahrzunehmen, um die sich viele andere Zeitungen nicht kümmern: die Alternativen zu suchen. Das erste Dogma des Neoliberalismus – es gibt keine Alternative – ist eben nur das: ein Dogma, eine Ideologie. Aber eine sehr wirksame. Sie hebelt nicht nur das Denken aus, sondern auch die Praxis. Es ist grundlegende demokratische Praxis, in Alternativen zu denken. Der Neoliberalismus gewöhnt uns diese Fähigkeit ab. Das ist gefährlich. Das System ist dabei, zur Logik des permanenten Notstands zu wechseln: wirtschaftliche Sicherheit wird gegen die Demokratie ebenso verteidigt wie innere Sicherheit. Gefahrenabwehr steht ganz oben. Bald schon wollen wir uns vielleicht die Demokratie nicht mehr leisten, so wie wir uns jetzt schon die Bürgerrechte immer weniger leisten wollen.

Die US-Politikwissenschaftlerin Wendy Brown hat geschrieben: „Die großen Demokratien zeichnen sich heute weniger durch eine Überschneidung als vielmehr durch eine Verschmelzung von staatlicher und unternehmerischer Macht aus: Staatliche Aufgaben von Schulen über Gefängnisse bis hin zum Militär werden in großem Stil outgesourct; Investmentbanker und Konzernchefs fungieren als Minister und Staatssekretäre; auch wenn sie die entsprechenden Fonds nicht selbst verwalten oder anlegen, sind Staaten doch Eigentümer unvorstellbar großer Mengen an Finanzkapital; und vor allem ist die Staatsmacht über ihre Steuer-, Umwelt-, Energie-, Arbeits-, Sozial-, Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie einen endlosen Strom direkter Unterstützungen und Rettungsprogramme für sämtliche Bereiche des Kapitals ganz unverhohlen in das Projekt der Kapitalakkumulation eingespannt. Die breite Masse, der Demos, kann die meisten dieser Entwicklungen nicht verstehen oder nachvollziehen, geschweige denn bekämpfen und ihnen andere Ziele gegenüberstellen.“

Die Religionsphilosophie kennt den Begriff der Theodizee: Gott ist gerecht, auch wenn die von ihm erschaffene Welt ungerecht ist. Der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl hat darum den Begriff Oikodizee erfunden: Der Markt ist gerecht und reguliert sich selbst – ganz gleich, was wir an Krisen und Ungerechtigkeiten erleben.

Ist Revolution noch möglich?

Es ist keine neue Beobachtung, dass der Kapitalismus eine säkulare Religion ist. Wer die Macht des kapitalistischen Klerus in Frage stellt, die der Banken und Konzerne, verletzt ein Tabu und wird wie ein Sünder bestraft. Journalisten sollten solche Sünde nicht fürchten. Aber wenn der Ökonom Jeremy Rifkin sich mit den „kollaborativen Commons“ beschäftigt, den neuen Formen des Wirtschaftens, die den Kapitalismus, wie wir ihn kennen, überflüssig machen könnten, oder wenn der Philosoph Antonio Negri das Hohelied der „Multitude“ singt, der vernetzten Protest- und Revolutionsmasse, die das kapitalistische Empire stürzen kann – dann ist das in den meisten Zeitungen entweder kein Thema oder eines für das Feuilleton. Immerhin.

Aber das ist zu wenig. Es gibt so viele Fragen: Warum ist die neoliberale Herrschaft so stabil? Warum gibt es so wenig Widerstand? Warum verläuft er so schnell ins Leere? Ist eine Revolution noch möglich? Günter Gaus, der frühere Herausgeber des Freitag, hat in einem Gespräch mit Alexander Kluge gesagt: „Man sollte nicht denken, dass man gesellschaftliche Fragen für alle Zeiten beantworten kann.“ Das ist ein einfacher und sehr kluger Gedanke.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

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