NATO-Strategin Florence Gaub streitet mit Jakob Augstein: „Das Militär ist unsere Zukunft“
Im Gespräch Jakob Augstein wundert sich, wie heiter Florence Gaub über Panzer redet. Hier diskutiert der „Freitag“-Verleger mit der renommierten Zukunftsforscherin, ob man trotz Kriegen und Klimawandel optimistisch ins neue Jahr blicken darf
Es gibt gute Gründe, das Jahr 2023 als „annus horribilis“zu bezeichnen – als furchtbares Jahr. Das ist ein Begriff, der 1992 von der mittlerweile verstorbenen Königin Elisabeth II. geprägt wurde: Damals hatte es im Schloss Windsor gebrannt, und von Prinz Andrews Freundin waren Oben-ohne-Bilder erschienen. Die Maßstäbe haben sich seither verschoben. Heute herrscht Krieg in der Ukraine und im Gazastreifen und auch der Klimawandel schreitet voran. Dürfen wir trotzdem fröhlich ins nächste Jahr blicken? Zukunftsforscherin und Militärstrategin Florence Gaub erklärt, wie Regierungen anderer Länder optimistische Stimmung verbreiten.
Jakob Augstein: Frau Gaub, Sie sind Direktorin der „Forschungsabteilung Zukunft“ am
Forschungsabteilung Zukunft“ am NATO Defense College in Rom. Ist das kein Widerspruch?Florence Gaub: Sie meinen Militär und Zukunft? Nein, im Gegenteil! Es gibt wenig Bereiche, wo der Blick nach vorne so wichtig ist wie im Militärischen. Wenn sich die geostrategische Lage ändert, so wie es gegenwärtig der Fall ist, hat das Auswirkungen auf unser aller Leben.Sie sind ein echter Thinktank.Denken und Panzer, genau. (lacht)Schön, dass Sie so eine heitere Beziehung zum Militär haben.Ich versuche, zu fast allem eine heitere Beziehung zu haben. Sonst wäre das Leben ja nicht aushaltbar. Aber in der Tat teile ich nicht Ihre offenbar bestehende Grundskepsis gegenüber dem Militär. Ich halte es für notwendig.Macht Ihnen der Blick nach vorne Angst?Nein. Die Zukunft ist eine Herausforderung, aber ich fürchte sie nicht.Viele Menschen gucken heute sehr ängstlich auf das Weltgeschehen.Ja. Übrigens hat das sogar eine parteipolitische Färbung. Ich habe letztens in Frankfurt einen Vortrag gehalten, in einem Raum voller Banker. Da habe ich gesagt: Hände hoch, wer Angst vor der Zukunft hat! Eine einzige Frau in der letzten Reihe hat sich gemeldet – meine Schwester. Banker haben offenbar keine Panik vor dem, was in den nächsten Jahren auf sie zukommt. Wahrscheinlich sind das alles FDP-Wähler. Statistisch haben die weniger Angst vor der Zukunft als Anhänger von AfD und Linker.Placeholder infobox-1Wie kommt es, dass immer mehr Leute das Gefühl haben, wenig Einfluss auf ihr Leben zu haben?Der wichtigste Grund ist die Informationsflut. Seit den frühen 2000ern, mit der Ankunft des Internets im Alltag, werden wir bombardiert mit Nachrichten. Als ich Kind war, gab es früh um acht Nachrichten, dann haben die Eltern abends noch Tagesschau geguckt – das war’s. Mein Vater hat vielleicht noch Zeitung gelesen. Aber man war nicht live in Gaza dabei. Man hatte einen kontrollierteren Informationsraum – auch dadurch, dass sich viele Menschen auf den Lokalteil ihrer Zeitung konzentriert haben.Heute haben wir die sozialen Medien.Und die bringen ein neues Ohnmachtsgefühl. Wenn man irgendetwas tun will, schickt man einen Tweet ab, in dem man mal eben Verhandlungen mit Russland fordert. Aber man bewirkt nichts. Man hat nur seine Meinung in den Äther geblasen. Da erfährt man das Ende seiner Selbstwirksamkeit.Seit dem 7. Oktober gehen Horrorbilder des Hamas-Terrors durch das Netz. Ist es klug, sich das dauernd anzugucken?Bis zu einem bestimmten Punkt ja, um sich zu informieren. Ab einem bestimmten Punkt nein, denn es überfordert jeden von uns. Wir haben ein Faible für Katastrophennachrichten. Ursprünglich hatte das vermutlich einen evolutionären Vorteil, weil man sich durch deren Kenntnis besser schützen konnte. Heute werden wir dadurch bloß gelähmt. Es finden zu viele Veränderungen gleichzeitig statt: Klimawandel, künstliche Intelligenz, neue geopolitische Spannungen zwischen Russland /China auf der einen und Amerika auf der anderen Seite. Man kann ja nicht einmal mehr sicher sein, ob es die NATO in fünf Jahren noch geben wird …In Ihrem Buch sagen Sie, man solle das Morgen nicht aus dem Heute ableiten. Wie soll man sich sonst die Zukunft vorstellen?Die Zukunft besteht aus mehreren Komponenten. Die Gegenwart gehört natürlich dazu. Aber aus den Gefühlen, die man zu einem bestimmten Zeitpunkt hat, kann eine große Verzerrung folgen. Zum Beispiel wissen wir, dass Leute beim Fast-Food-Essen ungeduldiger werden. Sollten sie deswegen davon ausgehen, dass sie in Zukunft genauso ungeduldig sind? Fragen wie „Bin ich müde?“ oder „Habe ich Hunger?“ sind keine guten Indikatoren für die Zukunft. Genauso wenig wie Alkohol oder Drogen: Die haben einen Effekt im Hier und Jetzt, aber ziemlich schlechte Auswirkungen auf morgen. Wenn ich betrunken bin, lautet die realistischste Prognose: dicker Kater. Solche Affekte halten uns aber von langfristigem Denken ab.Meistens höre ich das Gegenteil: Wir Menschen würden zu sehr in der Zukunft leben und kaum noch die Gegenwart genießen.Ich glaube, es ist andersherum. Es gibt „The Power of Too Much Now“ – wir haben zu viel Gegenwart! Ich zitiere in meinem Buch eine Studie des Sozialpsychologen Roy Baumeister: Der hat 2020 herausgefunden, dass sich der Mensch die Hälfte seiner wachen Zeit gedanklich mit der Zukunft beschäftigt, aber 80 Prozent davon lediglich mit alltäglichen Dingen: Wann gibt’s Essen, wann gehen wir zur Arbeit, wann stehen die Prüfungen der Kinder an? Lediglich sechs Prozent unseres Zukunftsdenkens beschäftigen sich mit den nächsten zehn, fünfzehn Jahren: Heirat, Hausbau, Karriere.Sie schreiben, die Menschen in China und Saudi-Arabien hätten ein positiveres Bild von der Zukunft als wir im Westen.Kein Wunder, den Chinesen wird ja die ganze Zeit erzählt: Im Jahr 2049 sind wir die größte Macht der Welt! Wir haben super Militär und ihr werdet alle reicher! Und was sagt unsere Bundesregierung? Tja, irgendwie sieht alles ein bisschen blöd aus; wahrscheinlich werden wir bald alle alt sein und müssen aufhören, Auto zu fahren. Klingt wenig hoffnungsvoll, oder?Dann lieber die Weltherrschaft anstreben, finde ich auch.So möchte ich bitte nicht zitiert werden. (lacht)So was Ähnliches haben Sie aber in Ihrem Buch geschrieben …… habe ich nicht.Doch. Sie sagen, die Russen seien seit dem Einmarsch in der Ukraine hoffnungsvoller geworden. Da habe ich gedacht: Man gönnt den Russen ja ihren Optimismus, aber gibt es da keine anderen Wege als einen Angriffskrieg!Moment, Moment. Ich zitiere da aus einer Studie. Und es ist nicht so, dass die Russen gefragt worden seien: Findet ihr es gut, dass die Ukrainer abgeschlachtet werden? Vielmehr gibt es regelmäßige Umfragen in Russland, wie optimistisch die Leute sind – und seit dem 24. Februar geht es da halt nach oben. Aber nicht, weil da drüben alle Krieg und Tod gut fänden, sondern weil sie sich vorher in der Opferrolle gefühlt haben und jetzt nicht mehr. Ich bin überzeugt: Immer wenn sich jemand machtlos fühlt und dann ein Gespür für die eigene Wirksamkeit bekommt, wird er sich besser fühlen.Wieso sind die Menschen in Saudi-Arabien so optimistisch?Weil die Regierung mit der „Vision 2030“ die Zukunft zur Chefsache gemacht hat. Da steht nicht drin, Saudi-Arabien wird ein anderes Land besetzen oder sonst irgendwas. Da steht drin: Wir werden alle mehr Sport machen, mehr Fisch essen, wir werden in KI investieren, unsere Städte werden klimaneutral sein und so weiter.Was müsste Bundeskanzler Olaf Scholz machen, um denselben positiven Effekt bei uns auszulösen?Das hängt nicht an einzelnen Politikern. Ganz allgemein brauchten wir einen politischen Diskurs, wo eine komplette Zukunftsvision dargestellt wird. Wo man den Leuten zeigt, in der Zukunft gibt es Gutes und Schlechtes, und das Gute wird so aussehen und wovon wir wegmüssen ist dies und jenes.Geht das konkreter?Klar: Dubai hat in einer Zukunftsforschungsfabrik zwei Gerüche zusammengemischt und die konnte man als Teilnehmer einer Konferenz dann erschnüffeln: So wird Dubai 2050 riechen, wenn ihr nicht aufhört, mit diesen Benzinautos rumzufahren; und so, wenn ihr doch aufhört damit. Die meisten Leute wollten natürlich, dass es auch später gut riecht.Warum machen die deutschen Parteien so was nicht? Die haben doch Berater und Werbefirmen, die sich mit so was beschäftigen.Haben sie nicht! Das ist ja das Schlimme. In Deutschland begreifen wir Zukunft immer als Verlustsystem, wo wir etwas nicht mehr dürfen. Es gibt eine Studie der Zukunftsfabrik, die zeigt, dass Zukunft als Thema oder auch nur als Wort seit dem Jahr 2000 keinerlei substanzielle Rolle mehr im Bundestag gespielt hat. Unsere Regierung denkt also schon mal nicht in so großen Zeithorizonten.Warum ist das so?Meine Theorie ist, dass der Mauerfall dazu geführt hat, dass die Deutschen gesagt haben: Jetzt geht es um immer mehr Wohlstand, die Zukunft ist dasselbe wie das Heute – nur eben mehr davon. Schauen Sie sich doch mal die Wahlslogans unserer Parteien an: Fast alle versprechen Kontinuität. Es gibt Studien, die zeigen, wenn ich Angst vor Veränderung habe, wähle ich SPD oder Union. Und wenn mir obendrein noch die Gegenwart unangenehm ist, wähle ich AfD oder Linke. Die wenigen, die an der Zukunft noch interessiert sind, machen ihr Kreuz bei den Grünen oder bei der FDP.Grün und liberal wählen eher Jüngere. Fortschrittsglaube ist also nur was für die Jugend?Überhaupt nicht! Es ist ein Mythos, dass die Jungen entspannter in die Zukunft schauen als die Älteren. Es gibt Studien, wonach man ab 40 glücklicher wird. Uns wird immer eingeredet, dass mit 30 alles super ist, und dann wundern sich alle, warum es auf sie selbst nicht zutrifft. Es ist anders: Mit steigendem Alter wird man resilienter, weil man weiß, was man schon überstanden hat.Alte haben aber objektiv weniger Zukunft, weil ihre Lebenszeit kürzer ist als die von Jüngeren. Das muss doch frustrierend sein?Nein, weil es genau umgekehrt ist: Je mehr Erfahrung man hat, desto mehr kann man sich die Zukunft vorstellen. Das heißt absurderweise: Während sich die eigene Lebenszeit dem Ende nähert, kann man sich die Zukunft in immer bunteren Farben ausmalen. Ich weiß ja nicht, wie Sie mit 20 über die Zukunft gedacht haben, lieber Herr Augstein. Aber wahrscheinlich war das nicht so konkret wie Ihre Gedanken heute.Ihr Buch soll eine Bedienungsanleitung sein, wie man das Morgen richtig anpackt. In der „Bild am Sonntag“ haben Sie eine „fröhliche Handreichung nach vorn“ aufgeschrieben. Skizzieren Sie uns die doch mal, bitte.Okay, hier ist mein Tipp: Setzen Sie sich im Januar mal mit Stift und Papier hin und definieren Sie ein Zukunftsszenario für sich. Für in einem Jahr oder in 20, ganz nach Vorstellungskraft. Ganz wichtig: Handy weg! Am besten macht man das im ICE, da funktioniert das Wifi eh nicht. Da überlegen Sie sich dann, wo es mit Ihnen hingehen soll und in welchem Zeithorizont Sie das schaffen wollen.Welche Ziele haben Sie so?Ich will in fünf Jahren Wellen surfen können. Das hab ich zwar schon mal gemacht. Aber nächstes Mal will ich mich auch wohlfühlen können dabei. Es ist also Zeit für Surfunterricht im Sommer.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.