Was für ein Jahr: Schon Ende Juli waren die ersten Hokkaido-Kürbisse orangereif. Die Tomaten, die sonst erst im September Farbe bekommen, hängen prall und dunkelrot an den Rispen. Die Pflanze selbst habe ich überall mit Bambusrohr abgestützt, damit die Äste unter der Last nicht brechen. Wie ein sich nach oben windendes Mikado. Das Bild wird mir vom Hitzesommer 2018 bleiben.
Außerdem: verdorrte Gurkenpflanzen mit wenig Früchten, Artischocken, die dem Angriff von Temperatur und Blattläusen nichts entgegenzusetzen hatten. Bohnen, deren bräunliches Gewirr am Rankgerüst schon jetzt ein herbstliches Stillleben abgibt.
Auf der Nachbarparzelle hat Olav im Frühjahr aus einer Eingebung heraus tropisches Gemüse gepflanzt: Pak Choi, Wasserspinat, Thai-Aubergine. Entwickelt sich alles prächtig. Dagegen ist mein Gemüse, kaum ausgewachsen, in wenigen Tagen in den Reifemodus übergegangen oder hat wegen der Temperaturen gleich ganz kapituliert.
Ich hätte schon Lust, mich nun in eine Reihe der Bauern zu stellen, die Milliarden fordern. Auf unsere Art sichern wir Kleingärtner ja auch die Versorgungssicherheit, selbst wenn wir nur Bienen, Würmern und anderem wichtigen Kleingetier ausreichend Nahrung böten. Doch für uns Parzellenpfleger gilt einzig ein Prinzip: Selbstverantwortung. Deswegen überlege ich schon jetzt, wie ich das nächste Jahr angehen werde. Mach ich es wie mein Nachbar und besorge mir Pflanzen aus der Äquatorialzone, lege vielleicht ein kleines Reisfeld unterm Birnbaum an? Ehrlich: Ich habe darauf null Lust.
Nun ist mir ein Buch begegnet, das mir vorschlägt, meine Konsumhaltung zu ändern. Das gefällt mir viel besser. Es stammt von Esther Kern, heißt Leaf to Root (AT Verlag, 49,90 Euro) und handelt von all dem, was an Pflanzen essbar ist, wenn der ideale Erntezeitpunkt nicht kommen will. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie glücklich mich diese Lektüre gemacht hat. Weil sie mir als Gärtner die Last der Verantwortung abnimmt und mir als Koch eine neue Welt eröffnet.
Blätter und Wurzeln also. Ich lese von der Zubereitung von Grünkohlwurzeln, von der Rhabarberblüte, von Erbsentrieben. Ich habe so etwas schon im Restaurant gegessen, aber jetzt erst verstehe ich: Das sind alles Zutaten, die entstehen, wenn man als Gärtner die Pflanzen sich selbst überlässt. Weil man vergessen hat, den Rhabarber zu ernten oder die Erbsen zu eng gesät hat und die Reihen lichten muss. So hätte ich schon seit dem Frühjahr immer wieder eigenes Grün auf dem Teller und müsste nun nicht zusehen, wie mein Garten in der Sonne verbrutzelt.
Esther Kern nennt konventionelles Gemüse „Filetstück“ und die Wurzeln, Blätter und Strünke, die sonst eigentlich auf dem Kompost landen, „Second Cut“. Das ist eine Anleihe bei der „Nose to Tail“-Philosophie. Dabei versuchen Köche, alles vom Tier zu verwerten, von der Schnauze bis zum Schwanz. Warum nicht auch von der Pflanze? Es muss nur schmecken! Das werde ich ausprobieren. Von Kohl- und Zwiebelpflanzen ist alles essbar, weiß ich jetzt.
Das nächste Gartenjahr kann kommen. Ich freue mich besonders auf die Diskussion mit den Kleingartenchefs, die nach immer mehr Gemüseflächen verlangen. Ich werde erklären, dass im Garten alles Gemüse ist, auch Fetthenne und Dahlie im Staudenbeet und der Löwenzahn auf der Wiese. Jetzt bin ich nur noch auf der Suche nach dem Widerspruch in sich, einem wirklich sommerlichen Kürbisrezept.
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