Nur ein Knalleffekt zu viel

Krimi „Echo des Schweigens“ erzählt den Fall Oury Jalloh
Ausgabe 18/2020

Im Januar 2005 starb der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh bei einem Brand in einer Gewahrsamszelle der Dessauer Polizei. Angeblich, so gaben die betroffenen Beamten zu Protokoll, habe er mithilfe eines Feuerzeugs seine Matratze angesteckt. Zwei Jahre später fand der Prozess gegen den Dienstgruppenleiter und einen weiteren Polizisten statt, die Anklage lautete in dem einen Fall auf Körperverletzung mit Todesfolge, im zweiten auf fahrlässige Tötung. Dieses erste Verfahren endete „mangels hinreichender Verdachtsmomente“ mit einem Freispruch für beide Beamte, erst 2012 wurde der Dienstgruppenleiter von einem anderen Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt. Ein weiteres Ermittlungsverfahren zur Klärung der Todesursache wurde 2017 eingestellt, aber der Verdacht gegen die Dessauer Polizisten blieb. Erst im November 2019 kam ein neues forensisches Gutachten zu dem Schluss, dass Jalloh schwer misshandelt wurde, bevor er starb.

Nachzulesen ist die Chronik des Falls, der seinerzeit die Republik erschütterte, im Nachwort zu Markus Thieles Zeitgeschichtsroman Echo des Schweigens. Der promovierte Jurist Thiele vermischt den authentischen Fall mit fiktionalen Elementen und erweitert seinen Plot zudem um eine historische Dimension. Seine Protagonisten, die Pathologin Sophie Tauber und der Anwalt Hannes Jansen, stehen sich im Wiederaufnahmeprozess gegen den Polizisten Maik Winkler gegenüber. Dieser wird verdächtigt, das Feuer in der Zelle, in der ein Gefangener zu Tode kam, im Roman ein Senegalese namens Abba Okeke, gelegt zu haben. Winkler verfügt allerdings über ein Alibi, der gewiefte Jansen hat beste Chancen, den Prozess zu gewinnen, obwohl das von Sophie Tauber erstellte forensische Gutachten die Darstellung der Polizei als höchst zweifelhaft erscheinen lässt.

Jansen im Gewissenskonflikt

Als überraschend ein Beweismittel auftaucht, das Winklers Schuld zu belegen scheint, gerät der Anwalt in einen heftigen Gewissenskonflikt, zumal ein erfolgreicher Prozessabschluss dem chronisch überschuldeten Leichtfuß eine lukrative Partnerschaft in seiner Kanzlei eintragen würde. Dass er, wie es der Plot will, gerade ein heftige Affäre mit der Pathologin begonnen hat, macht die Sache für ihn nicht einfacher, für das Lesepublikum dieses süffig erzählten Kriminalromans aber umso reizvoller. Denn Markus Thiele versteht sein Handwerk: Die Figurendarstellung ist plastisch, die Dialoge glaubwürdig.

Der zweite Erzählstrang, Sophie Taubers Familiengeschichte nämlich, führt zurück in die Nazizeit. Die beiden Handlungsebenen sind allerdings nicht nur thematisch miteinander verknüpft, indem sie die Frage von Recht und Gerechtigkeit erörtern, sondern finden auch auf anderem Wege zueinander. Und dies verdankt sich einem beherzten Griff des Autors in das ästhetische Arsenal des Unterhaltungsromans. Schlecht gemacht ist das nicht, aber es dürfte auch jene schlucken lassen, die bis zu diesem Zeitpunkt mit Anteilnahme gelesen haben. Hier auf einen Knalleffekt zu verzichten, wäre für den Roman besser gewesen. Dies gilt auch für eine andere Passage: Boogs, der Senior in Jansens Kanzlei und sein Mentor, versucht, dem Anwalt seine Gewissensbisse auszutreiben, indem er erzählt, wie sein Vater als stellvertretender Polizeipräsident in Frankfurt einem Entführer Folter angedroht habe, um ihn dazu zu bringen, das Versteck seines Opfers zu verraten. Diese an einen authentischen Fall angelehnte Geschichte kann nicht stimmen, denn Boogs ist zum Zeitpunkt der Handlung bereits 81 Jahre alt, und das Lösegeld sollte in Euro bezahlt werden. Ein kleiner Fehler, ebenso verzeihlich wie symptomatisch. Thiele hat das Zeug zu einem Autor anspruchsvoller Unterhaltungsprosa, ein Genre, das hierzulande noch immer gering geschätzt wird. Würde er seinen Hang zu gelegentlicher Überinstrumentierung zügeln, wäre er noch besser. Und kein Leser würde, so wie Hannes Jansen nach Boogs’ Geschichte, fragen: „Warum erzählen Sie mir das?“

Info

Echo des Schweigens Markus Thiele Benevento Verlag 2020, 408 S., 22 €

Metamorphosen

Die Serie, aus dem das hier gezeigte Bild stammt, entstand in einer „dunklen Phase“ des Lebens von Fotograf Yorgos Yatromanolakis. Er leistete seinen Pflichtdienst in der griechischen Armee und empfand diese Periode als Widerspruch zu seiner Persönlichkeit. Naturwanderungen halfen ihm, Frieden zu finden. Übergreifend in der Serie The Splitting of the Chrysalis and the Slow Unfolding of the Wings ist das Thema der Metamorphose, für Yatromanolakis ebenfalls ein sehr persönliches Thema. Zur Zeit der Griechenlandkrise im Jahr 2008 glaubte er an eine baldige Transformation der Gesellschaft. Der Titel der Reihe ist an den Lebenszyklus des Schmetterlings angelehnt, in dem das Insekt bekanntermaßen einen beeindruckenden Wandel durchlebt. https://www.yatrom.net/

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