Outsourcing Humanity?

Flüchtlingsaufnahme Die Delegierung staatlicher Aufgaben in der Flüchtlingspolitik auf private Initiativen ist eine gefährliche Entwicklung

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Helferinnen und Helfer verteilen vor dem Berliner Bundesamt für Gesundheit und Soziales Spenden
Helferinnen und Helfer verteilen vor dem Berliner Bundesamt für Gesundheit und Soziales Spenden

Foto: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Immer öfters müssen private Initiativen und Nichtregierungsorganisationen die Misswirtschaft der Politik und Verwaltung regeln – zuletzt bei der katastrophalen Unterbringungssituation in Zelten in Dresden oder in den letzten Tagen vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin, bei dem, obwohl alles seit Tagen vorhersehbar war, Asylantragsteller teilweise unter unerträglichen Zuständen vor dem Gebäude campieren mussten und Helfer einer Willkommensgruppe Wasser zu Verfügung stellte.

In der Wohnungsunterbringung, wie im übrigen auch in der Seenotrettung im Mittelmeer, zeigt sich eine beschämende aber auch gefährliche Entwicklung der Delegierung staatlicher Aufgaben an private Initiativen und der Staat zieht sich dadurch aus der Verantwortung und reagiert sprichwörtlich erst, wenn die ersten Menschen kollabieren – oder die Presse mit negativen Schlagzeilen berichtet.

Die Verantwortung wird quasi outgesourct an NGO´s. Während der Krise im für die Asylerstaufnahme und die Unterbringung zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales ist Sozialsenator Czaja im Urlaub und der Berliner Oberbürgermeister Michael Müller sah keine Veranlassung, auf den offenen Brief des Flüchtlingsrats und Berichte wie unserer Organisation, der Caritas oder Asyl in der Kirche zu reagieren. Darin wurde über die faktische Obdachlosigkeit der Flüchtlinge trotz ausgegebener, am Ende wertlosen Hostelgutscheine für Flüchtlinge, berichtet – das LaGeSo hatte die Rechnungen der Betreiber nicht beglichen. In Dresden riskieren Ärzte ihren Job, um auf die unhaltbaren Zustände im Camp hinzuweisen und Journalisten wird der Zugang verwehrt. Leidtragende sind wie immer die Flüchtlinge.

Es ist zwiespältig, wenn die ZEIT in einem Artikel von "zivilgesellschaftlichem Gänsehautmoment" spricht, als die Initiative „Moabit Hilft“ über einen Aufruf im Internet Hunderte von Helfern organisierte, die den Flüchtlingen zur Seite stehen, als ob es um ein Fußballspiel ginge.

Der Einsatz von Helfern, NGO´s, Willkommensinitiativen oder Stadtteilzentren, die vorüber gehend Wohnungen bereitstellen, ist richtig und notwendig. Aber es muss gleichzeitige eine Skandalisierung der Fehlpolitik auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene geben. Jener Politik, die nur reagiert und delegiert und nicht und langfristig plant, um den Flüchtlingen und ihren Familien ein Mindestmaß an Würde zu gewähren und sie in Ruhe ankommen zu lassen.

Andernfalls wird sich die Spirale der Verringerung der Mindeststandards weiter fortsetzen und irgendwann der erste Flüchtling in Dresden oder Berlin an Dehydrierung unter freiem Himmel sterben – während Gebäude wie der Flughafen jahrelang leer stehen und täglich Millionen verschlingen. Die Technokratie und Politik, die diese Widersprüche nicht auflöst, ist obszön.

Gewöhnen wir uns bitte nicht daran und auch nicht an die Privatisierung und Delegierung von staatlichen sozialen humanitären Aufgaben. Das Zitat Max Frischs "Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen" muss erst Recht für Flüchtlinge gelten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jochen Schwarz

Jurist & Magister des Europarechts, arbeitet im Projekt Asylverfahrensberatung der OASE Berlin, beim Flüchtlingsrat Berlin und bei Borderline Europe

Jochen Schwarz

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