Immer öfters müssen private Initiativen und Nichtregierungsorganisationen die Misswirtschaft der Politik und Verwaltung regeln – zuletzt bei der katastrophalen Unterbringungssituation in Zelten in Dresden oder in den letzten Tagen vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin, bei dem, obwohl alles seit Tagen vorhersehbar war, Asylantragsteller teilweise unter unerträglichen Zuständen vor dem Gebäude campieren mussten und Helfer einer Willkommensgruppe Wasser zu Verfügung stellte.
In der Wohnungsunterbringung, wie im übrigen auch in der Seenotrettung im Mittelmeer, zeigt sich eine beschämende aber auch gefährliche Entwicklung der Delegierung staatlicher Aufgaben an private Initiativen und der Staat zieht sich dadurch aus der Verantwortung und reagiert sprichwörtlich erst, wenn die ersten Menschen kollabieren – oder die Presse mit negativen Schlagzeilen berichtet.
Die Verantwortung wird quasi outgesourct an NGO´s. Während der Krise im für die Asylerstaufnahme und die Unterbringung zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales ist Sozialsenator Czaja im Urlaub und der Berliner Oberbürgermeister Michael Müller sah keine Veranlassung, auf den offenen Brief des Flüchtlingsrats und Berichte wie unserer Organisation, der Caritas oder Asyl in der Kirche zu reagieren. Darin wurde über die faktische Obdachlosigkeit der Flüchtlinge trotz ausgegebener, am Ende wertlosen Hostelgutscheine für Flüchtlinge, berichtet – das LaGeSo hatte die Rechnungen der Betreiber nicht beglichen. In Dresden riskieren Ärzte ihren Job, um auf die unhaltbaren Zustände im Camp hinzuweisen und Journalisten wird der Zugang verwehrt. Leidtragende sind wie immer die Flüchtlinge.
Es ist zwiespältig, wenn die ZEIT in einem Artikel von "zivilgesellschaftlichem Gänsehautmoment" spricht, als die Initiative „Moabit Hilft“ über einen Aufruf im Internet Hunderte von Helfern organisierte, die den Flüchtlingen zur Seite stehen, als ob es um ein Fußballspiel ginge.
Der Einsatz von Helfern, NGO´s, Willkommensinitiativen oder Stadtteilzentren, die vorüber gehend Wohnungen bereitstellen, ist richtig und notwendig. Aber es muss gleichzeitige eine Skandalisierung der Fehlpolitik auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene geben. Jener Politik, die nur reagiert und delegiert und nicht und langfristig plant, um den Flüchtlingen und ihren Familien ein Mindestmaß an Würde zu gewähren und sie in Ruhe ankommen zu lassen.
Andernfalls wird sich die Spirale der Verringerung der Mindeststandards weiter fortsetzen und irgendwann der erste Flüchtling in Dresden oder Berlin an Dehydrierung unter freiem Himmel sterben – während Gebäude wie der Flughafen jahrelang leer stehen und täglich Millionen verschlingen. Die Technokratie und Politik, die diese Widersprüche nicht auflöst, ist obszön.
Gewöhnen wir uns bitte nicht daran und auch nicht an die Privatisierung und Delegierung von staatlichen sozialen humanitären Aufgaben. Das Zitat Max Frischs "Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen" muss erst Recht für Flüchtlinge gelten.
Kommentare 6
Humanität kann man nicht outsourcen.
Ich war heute dort und hab meinen Kram abgegeben. Mach ich demnächst gleich wieder, weil die genau das brauchen, was hier ein bisschen angesammelt ist: feste Taschen, Reisetaschen, Rollkoffer usw.
Es geht - aus meiner Sicht - eher um gute und gut vorbereitete Kooperation zwischen Behörde und Helfern. Ich finde es gerade gut, dass hier die Bevölkerung auch aufgerufen und gefordert wird. Allerdings darf dadurch nicht die Verpflichtung der Ämter vernachlässigt werden. Es gibt ja Organisationen und Initiativen in der Stadt. Und die brauchen aber auch - so wie die Vertreterin der Caritas erklärte - Sicherheit, dass sie ihren Einsatz dann auch entsprechend finanziert bekommen. So etwas ist wichtig. Nebenher: Die Vertreterin hat den Senat öffentlich erstmal nicht kritisiert. Die müssen nämlich ordentlich zusammenarbeiten, da ist es besser, intern zu kritisieren.
Gegen Zusammenarbeit ist wenig einzuwenden. Nur, es darf einfach nicht soweit kommen, dass das blanke Chaos ausbricht, wie es kürzlich geschehen ist und dagegen nichts oder zuwenig getan wird.
Die Ausbeutung des Humanismus.
Ungeschminkt
Das Kapital [die differenziert verantwortliche Bourgeoisie und politische Administration] entzieht sich stets noch der Verantwortung.
Es ist wie bei den wohlmeinenden bürgerlichen Aktivisten von Suppenküchen und Armenspeisungen in der materiellen Reichtumsgesellschaft. Letztlich, die Sozialarbeit und finanzielle Entlastung für die hierfür verantwortliche Bourgeoisie und Administration! Das personifizierte Finanz-, Rüstungs-Kriegs-, Rohstoff- und Monopol-Kapital, es entzieht sich der ökonomischen und politischen Verantwortung. Die psychischen, physischen und anderen materiellen Folgen, diese Folgen tragen die werktätigen Völker: die Flucht, Kriegs-, Armuts- und Vertreibungsopfer wie die selbstlosen humanistischen Helfer.
Es bleibt weiterhin die Frage: Wann werden sich die (noch) bürgerlichen Humanisten und anderen Opfer, vom real herrschenden Kapital, von ihrer Entmündigung und immer noch ungebrochenen Entfremdung, selbsttätig, dauerhaft und nachhaltig befreien, -- durch eine sozial-ökonomisch-ökologische Emanzipation und Umwälzung aller bisherigen Verhältnisse? (!)
Humanität kann nicht nur verstaatlicht werden....Hilfsbereitschaft, Engagement, Empathie ist gesund für eine Gesellschaft.
Aber Ehrenamt darf immer nur etwas zusätzliches sein und nicht den größten Part übernehmen. Das überfordert die Helfenden und schafft keine gute Basis für alle Beteiligten.
Ganz zu schweigen davon, welches Signal von diesem politischen Phlegma ausgeht...
Hallo H. Schwarz,
Sie zitieren Max Frisch: "Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen".
Haben Sie die Flüchtlinge gerufen?
Oder hat unsere Regierung die Flüchtlinge gerufen?
Oder ist Ihr Kommentar hier fehl am Platz?
Ich schrieb das Zitat, weil ich denke, dass gerade besonders schutzbedürftige, häufig traumatisierte Flüchtlinge meiner Ansicht erst Recht Menschlichkeit und das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit entgegengebracht werden sollte und sie nicht nur reduziert werden sollten auf ihr Fluchtschicksal - deshalb der Vergleich mit den Arbeitskräften, die zuallererste Menschen sind und nicht nur Arbeitskraft - genauso wie Flüchtlinge.
"Gerufen" haben die Flüchtlinge keine Regierung sondern schlicht Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, der jedem Flüchtling Schutz bieten soll vor Verfolgung im Herkunftsstaat. http://www.unhcr.de/fileadmin/user_upload/dokumente/03_profil_begriffe/genfer_fluechtlingskonvention/Genfer_Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_Protokoll.pdf
Offene Grenzen für Alle... Welch ein schöner Satz.
Den muss wohl mal ein Träumer ausgesprochen haben.
"Die Würde des Menschen ist unantastbar"...auch ein schöner Satz.
Beide Sätze sind aber mehr als realitätsfern!
Ja, mensch ist Egoist. Ich auch...denn mich packt die Wut, das ICH abgeschoben werde in dem Fall, dass meine Frau (eine echte, keine fiktive!!!) vor mir stirbt. Und ich werde in die Ukraine abgeschoben, in der Faschisten (von der EU finanzierte!) an der Macht sind.
Ja, hätte meine Mutter (während der deutschen Okkupation Verbindungsfrau zu den Partisanen) ihre jüdische Identität nach der Befreiung wiederhergestellt oder wäre ich tschetschenischer Flüchtling aus Russland, dann dürfte ich in Deutschland bleiben...