Lausitz Deutschlands Braunkohlereviere sollen zu Seenlandschaften werden. Aber dafür braucht es viel Wasser – und das wird angesichts der klimatischen Veränderungen jetzt immer knapper. Was tun also mit den einstigen Tagebauen?
Ob mit oder ohne Seeblick: Muskel- statt Kohlekraft, die Zukunft in Boxberg/Oberlausitz
Foto: Paul Langrock/Zenit/Laif
Schuld ist das Lausitzer Korn, das Sandkorn. Es ist zu rund und verhakt sich einfach nicht mit den anderen Körnern, erzählt Gerd Richter, in seinem Rücken der Sedlitzer See, unweit von Senftenberg in Brandenburg. Richter ist bei der Bergbau-Verwaltungsgesellschaft LMBV für die Sanierung der Lausitz zuständig. Auch 30 Jahre nach ihrer Gründung schlägt sich die Bund-Länder-Gesellschaft noch immer mit den Altlasten der Braunkohle herum: Die ehemaligen Tagebaulöcher müssen mit Wasser gefüllt werden, die Seen sollen die Region in ein wunderschönes Tourismusgebiet verwandeln mit Seen, Kanälen, Häfen und begehrten Wassergrundstücken. Aber das ist nicht so einfach, wie sich die Politik das seit Jahrzehnten vorstellt.
Die See
Die Seenlandschaft und das SandkornIm einstigen Tagebau Sedlitz endete die Kohleförderung 1980. Fast ein halbes Jahrhundert später warnen Schilder weiter vor dem „Betreten der Ufer“. Das vom Bergbau hinterlassene Restloch ist nicht fertig geflutet.Für Ingenieure ist Braunkohle eine einfache Sache: Sie legen die Kohle trocken, baggern den Abraum darüber weg, holen den Brennstoff raus und packen den Abraum wieder zurück. Und weil die Kohle ja verbrannt, also in luftiges CO₂ verwandelt wird, bleibt ein „Mengendefizit“. Mit anderen Worten: das Restloch. „Das füllen wir einfach mit Wasser“, riefen die Ingenieure. „Und wo einst nur Lausitzer Heide war, schaffen wir eine Seenlandschaft für Erholung, Tourismus und regionale Wirtschaft.“ Wer sollte die Vision nicht gut finden?Da kommt das Sandkorn ins Spiel. Nach dem Ende der Kohleförderung werden irgendwann die Grundwasserpumpen abgestellt, das Grundwasser steigt nach oben, wo der Sand ist, füllt die Hohlräume zwischen den Sandkörnern. Dann kann es zu großflächigen Rutschungen kommen. Da rutschen auch schon mal ganze Landstriche weg. Bei einem großen Grundbruch 2010 verschwanden im ehemaligen Tagebau Spreetal ganze Lkw, einer liegt noch heute in mehreren Metern Tiefe. Nach dem Grundbruch sperrte die Bergaufsicht 20.000 Hektar der Kippenflächen. Diese waren vielfach schon zur Nutzung freigegeben. Heute dürfen sie nicht einmal betreten werden.Ein schmutziger DealDie Kohlesanierer rechnen nicht mehr in Jahren, sondern in Jahrzehnten. Die Zeit hat dem Korn jetzt einen Verbündeten an die Seite gestellt: den Klimawandel. Mittlerweile fehle der Region die Regenmenge eines ganzen Jahres, sagt Gerd Richter von der LMBV. Das lässt das Konzept, aus Tagebaulöchern Seen zu machen, fragil werden. Denn: Das fehlende Wasser von oben verzögert die Flutung.So sollte der berühmte Cottbuser Ostsee ursprünglich bis 2025 voll geflutet sein, jetzt rechnet der Eigner, die Lausitzer Energie AG (Leag), jedoch mit einem Zeitraum bis zum Jahr 2030. Die Verzögerung schafft beim Ostsee wie bei anderen Tagebau-Restseen neue Probleme.Das aufsteigende Grundwasser allein schafft die versprochenen Lausitzer Seen nicht, sondern wegen der Rutschungen höchstens eine Sumpflandschaft. Die aber ist für menschliche Nutzung ungeeignet. Was soll da aus der Vision werden, das Braunkohlerevier zum touristischen Hotspot zu machen?Hiobsbotschaften für die Lausitzer Energie AGUm das Versumpfen effektiv zu verhindern, müssten die Restlöcher ausreichend schnell mit genügend Oberflächenwasser geflutet werden, also mit dem, was Flüsse und Seen hergeben. Wegen des Klimawandels fehlt es aber an Oberflächenwasser. Das Fluten dauert nun länger. Deswegen müssen zum Beispiel die Uferbereiche des Ostsees in Cottbus nachverdichtet werden, damit die Hänge nicht zusammenrutschen. Die Behörden empfehlen beim Ostsee sogar, später einen Sicherheitskorridor von 50 bis 75 Metern vom Ufer komplett frei von Bebauungen zu lassen. Das alles sind wahre Hiobsbotschaften für die Lausitzer Energie AG (Leag).Im Zuge des Kohleausstiegs muss der Energiekonzern noch vier weitere große Tagebaue so weit sanieren, dass diese bergrechtlich freigegeben werden können. Wie bisher plant die Leag dabei mit großen, relativ flachen Gewässern. Die Gesamtfläche der neuen Seen soll mehr als 84 Quadratkilometer betragen. Das ist, als würde sich die Lausitz den bayerischen Chiemsee zulegen – zusätzlich zu den schon bestehenden rund 30 Tagebauseen in Brandenburg und Sachsen. Ist das realistisch?Neue große Seen brauchen nicht nur zum Füllen viel Wasser, aus ihnen verdunstet auch mehr des knappen Nasses – und noch mehr, wenn mit dem Klimawandel die Temperatur steigt. Und tatsächlich braucht die Leag noch viel mehr Wasser.An seinen Lausitzer Kraftwerks-Orten will der Konzern künftig bis zu 4.000 Megawatt sogenannter Back-up-Kraftwerke bauen. Die sollen ab 2030 einspringen, wenn Erneuerbare den Strombedarf zeitweise nicht decken können. Anfangs laufen diese Back-up-Anlagen mit Erdgas, dann soll es Wasserstoff sein. Der Brennstoff ist zwar klimaneutral, die Gaskraftwerke selbst sind aber thermische Anlagen. Sie brauchen zum Kühlen jede Menge Wasser. Gut drei Viertel dieses Wassers gehen dann noch über die Kühltürme verloren.Vom Lausitzer Wasser klebt der Spreewald, vom Wasser der Spree lebt BerlinWasser brauchen in der Lausitz aber auch die Unternehmen und Landwirte der Region, die Teichwirtschaften und die Städte und Dörfer. Vom Lausitzer Wasser lebt auch der Spreewald, das Binnendelta der Spree, und vom Wasser der Spree lebt dann auch Berlin. Die Lobbyschlacht darum, wer in der Lausitz über das Wasser verfügen darf, ist voll im Gange.Aktuell zu besichtigen ist das am Problem, dass das aufsteigende Grundwasser aus dem Untergrund auch immer mehr Eisen und Sulfate nach oben spült und so das Trinkwasser gefährdet. Sulfate können in höheren Dosen insbesondere für Kleinkinder gefährlich werden, deshalb gibt es Grenzwerte für Trinkwasser. Zur Sulfatbelastung des Wassers deckte das Recherchezentrum Correctiv kürzlich eine Schweigevereinbarung zwischen der Leag und der Stadt Frankfurt (Oder) auf. Die Kommune und ihr Wasserverband dürfen demnach nicht mehr den Anschein erwecken, der Kohlekonzern gefährde oder erschwere die Trinkwasserversorgung der Region. Für den Bürgermeister von Frankfurt (Oder), René Wilke, hieße das: Er darf öffentlich nicht mehr darüber sprechen, wie stark die Tagebaue das Trinkwasser gefährdet haben – und künftig gefährden.Im Gegenzug zahle die Leag, so schreibt es Correctiv, fünf Millionen Euro für den Ausbau des Wasserwerks Müllrose, damit dort das mit Sulfat belastete Spreewasser verdünnt wird. Die Leag wies den Vorwurf zurück, sie zahle Schweigegeld, um eine Bekanntmachung über eine mögliche Gefährdung der Trinkwasserqualität zu verhindern. Ziel der außergerichtlichen Einigung mit der Stadt sei es, einen langen Rechtsstreit zu vermeiden, sagt der Konzern.Belastetes Grundwasser mit Frischwasser mischen, löst man so das Sulfat-Problem?Lange Rechtsstreite ums Wasser kann die Leag gar nicht gebrauchen. Sulfate kann man natürlich teuer herausfiltern, aber die Leag hat offenbar eine andere Lösung im Blick: Belastetes Grundwasser lässt sich auch mit Frischwasser so weit verdünnen, dass Grenzwerte eingehalten werden. So löst die Kohle das Sulfatproblem bisher größtenteils. Und so will sie es auch künftig lösen. Doch ist das eine gute Idee?Ein Lausitzer Fluss wie die Schwarze Elster trocknet regelmäßig jeden Sommer aus. Die Region durstet. Und jetzt muss so viel mehr Wasser her: für das Füllen der Restlöcher, die neuen Back-up-Kraftwerke und gegen die Sulfate. Wo soll es herkommen?Aus Leag-Sicht kann es gar nicht anders sein, als dass in Zukunft aus anderer Quelle Frischwasser in die Lausitz kommt. Zu ziemlich genau diesem Ergebnis kommt auch ein im Juni veröffentlichtes Gutachten des Umweltbundesamtes.60 Millionen Kubikmeter aus Neiße, Oder und vor allem ElbeLösen ließen sich die Wasserprobleme der Lausitz nur, heißt es dort, wenn jedes Jahr bis zu 60 Millionen Kubikmeter Wasser aus benachbarten Flüssen wie Neiße, Oder und vor allem der Elbe übergeleitet werden. Im Winter, sagt das Gutachten, verfügten diese Flüsse über überschüssiges Wasser. Das könnte dann zu alten wie neuen Restseen, darunter auch in den Cottbuser Ostsee, geleitet und dort gespeichert werden. Im Sommer könnte das gespeicherte Wasser dann die Wassernot lindern.Die Kosten, um das Wasser umzuleiten und Speicherseen zu schaffen, würden größtenteils bei der öffentlichen Hand hängen bleiben. Die Leag wäre fein raus. Der Studie wird also zu Recht „Kohlelobbyismus“ vorgeworfen. Entsprechend warnen die Grünen aus Brandenburg und Sachsen in einem kürzlich veröffentlichten Positionspapier: Die Kosten für die Wassersanierung der Lausitz dürfen nicht bei den Steuerzahlenden abgeladen werden! Der Bergbau sei der Verursacher, die Leag müsse „umfassend“ an den Kosten beteiligt werden. Die Grünen sprechen sich auch gegen die von der Leag weiter geplanten großen und sehr flachen Tagebau-Restseen aus. Wegen der Wasserverluste durch Verdunstung, die der Klimawandel noch forciere, brauche es kleine und tiefe Seen, fordern die Grünen. Für die Überleitung von Wasser aus Elbe, Neiße und Oder verlangen die Grünen Nutzen-Kosten-Vergleiche mit anderen Maßnahmen wie dem „bedarfsweisen“ Weiterbetrieb der Grundwasserpumpen. Das Weiterlaufen der Pumpen hätte zwei Vorteile.Erstens: Das Grundwasser stiege langsamer an. Das würde wiederum mehr Zeit bringen, um die Tagebaulöcher zu fluten. Zweitens: Das weiter gehobene Grundwasser würde auch die Spree füllen und die Wasserversorgung Berlins eine Zeit lang sichern helfen.LMBV-Sanierer Gerd Richter sieht das Weiterlaufen der Pumpen skeptisch, vor allem wegen der Kosten. Die Sanierungsgesellschaft wende jetzt schon teilweise bis zu einem Drittel ihres Budgets auf, um Folgen von Ewigkeitslasten wie dem Grundwasseranstieg abzumildern. Das Geld fehle dann bei der Sanierung. Alle 20.000 Hektar so wiederherzustellen, dass sie weitgehend gefahrlos genutzt werden können, hält Gerd Richter ohnehin für nicht mehr machbar. Man werde sich da am Ende entscheiden müssen, was in welchem Umfang saniert wird, meint er. Der Bergbau in der Lausitz begann vor gut 150 Jahren. Mindestens noch einmal so lange wird es dauern, die Landschaft zu gesunden.
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