Die vorstellbare Wahl von Donald Trump zum 47. Präsidenten der Welt-, Schutz- und Nuklearmacht USA treibt vielen in Europa nicht nur Sorgenfalten auf die Stirn, sie vernebelt offenbar auch die Sinne. Dies gilt in besonderer Weise für die Frage, ob der sogenannte „nukleare Schutzschirm“, den die USA im Rahmen der NATO ihren Alliierten zur Verfügung stellen, noch glaubhaft ist – und was aus der Antwort auf diese Frage zu schlussfolgern wäre.
Richtig ist, dass immer fraglich war, ob die USA für viele tausend Kilometer entfernt liegende Partner in Europa tatsächlich im Extremfall ihre eigene nukleare Vernichtung in Kauf nehmen würden – nichts anderes liegt ja der Philosophie der nuklearen Abschreckung angesichts eines „Gleichgewic
iegt ja der Philosophie der nuklearen Abschreckung angesichts eines „Gleichgewichts des Schreckens“ zugrunde. Richtig ist auch, dass dieses Zweifeln mit einer nochmaligen Präsidentschaft Trumps ein Ausmaß annehmen würde und müsste, das potenziell eruptiv wäre. Europa muss sich also tatsächlich darauf einstellen, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.Allein wegen der fehlenden gemeinsamen EU-Außenpolitik wäre EU-Kernwaffenbesitz völlig absurdNachdem bereits im vergangenen Jahr etwa der emeritierte Politikprofessor Herfried Münkler, der Politikrentner Joschka Fischer und der grüne Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky in unterschiedlichen Varianten Vorschläge einer europäischen Nuklearstreitmacht in die Debatte geworfen hatten, greift nun die Spitzenkandidatin der Sozialdemokraten für die Wahlen zum EU-Parlament, Katarina Barley, diese Überlegungen auf. Auf dem Weg zu einer europäischen Armee könne auch eine „EU-Atombombe Thema werden“, so die bisher nicht als sicherheitspolitische Expertin aufgefallene Ex-Justizministerin.Wer mit nur ein wenig Sachverstand darüber nachdenkt, wird sofort die politischen und technischen Fallstricke einer solchen Forderung erkennen – und zwar sowohl in der Variante einer Entwicklung einer eigenen EU-Atombombe als auch bei einer wie auch immer gearteten „Europäisierung“ der vorhandenen britischen und französischen Nuklearwaffen.Die erste Variante – Entwicklung von EU-Atombomben – scheidet schon deshalb aus, weil es absehbar keine gemeinsame EU-Außenpolitik gibt, die die Voraussetzung wäre, um in einer Krisensituation rasch und entschlossen zu handeln. Zwar könnte man die bestehenden Instrumente der zaghaften EU-Verteidigungspolitik ausbauen, aber Mehrheitsentscheidungen sind bisher ebenso aussichtslos wie die Gründung und gemeinsame Ausrüstung einer echten EU-Armee.Der geradezu absurde Vorschlag Münklers, einen Koffer mit atomarem Knopf zwischen den großen EU-Ländern wandern zu lassen, ist ebenso wenig von dieser Welt wie Vorschläge, diese Befugnisse einem (nicht vorhandenen) EU-Präsidenten oder einem Kommissar für Sicherheitspolitik zu übertragen. Kurzum: Ein postmodernes Gebilde wie die EU wird garantiert über keine prämodernen Nuklearwaffen verfügen können, wollen und sollen.Die zweite Variante – Europäisierung europäischer Nuklearwaffen – beträfe allein die französischen Arsenale. Denn die britischen sind derart eng an die NATO und die USA gebunden, dass sich das zudem aus der EU ausgeschiedene Großbritannien gewiss nicht auf solche Gedankenspiele einließe.Auch mitunter zu hörende Forderungen nach einer deutschen Atombombe im europäischen Gewand wären nur dann umsetzbar, wenn das letzte Tabu der deutschen Sicherheitspolitik radikal fallen würde. Das wäre völkerrechtlich – unter anderem war der dauerhafte Verzicht eine der Voraussetzungen der Zustimmung zur deutschen Einheit – undenkbar, horrend teuer, technisch angesichts des deutschen Atomausstiegs kompliziert und würde vermutlich zu massiven internationalen und auch innereuropäischen Gegenreaktionen führen.Eine solche Entscheidung würde die Büchse der Pandora bei der Verhinderung der weiteren Verbreitung von taktischen Nuklearwaffen öffnen und Staaten wie die Türkei, Saudi-Arabien, aber auch Polen oder Iran (das ohnehin kurz vor der Bombe stehen dürfte) geradezu ermutigen, nuklear zu gehen.Die USA sind inzwischen mehr ein Problem als die Lösung für mehr europäische SicherheitDas vermeintliche Angebot Emmanuel Macrons zu einem „Dialog über die europäische Dimension der französischen Nuklearwaffen“ ist zudem vage. Als garantiert kann gelten, dass kein französischer Präsident seine alleinige Entscheidung über einen Einsatz seiner Atomwaffen auch nur minimal einschränken ließe. Echte Abschreckungswirkung mit Blick auf Russlands Nuklearwaffenarsenal ließe sich so kaum erzielen, nicht zuletzt aufgrund des vergleichsweisen kleinen französischen Arsenals. Denkbar ist hingegen, dass Frankreich dies als Chance sieht, sich einen Teil seiner „Force de Frappe“ (die jedes Jahr einen zweistelligen Milliardenbetrag kostet) von anderen mitfinanzieren zu lassen.Nicht vollkommen auszuschließen wäre dann auch, dass diese Staaten eine Art verteidigungspolitisches Kerneuropa bilden. Dies könnte dann durchaus eine sinnvolle Emanzipation von den USA sein, die in manchen Fragen inzwischen mehr Problem als Lösung für die europäische Sicherheit geworden sind. Mittelfristig gäbe dies unter Umständen einen Impuls für die Neuordnung der europäischen Sicherheitsarchitektur – aber ohne eine zentrale nukleare Dimension.Die Diskussionen in den USA und die sie auslösenden Schockwellen in Europa geben einen Vorgeschmack darauf, dass die Zeiten der Gewissheiten in der Sicherheitspolitik vorbei sind. Zugleich gibt es keinerlei Konsens über die Legitimität von Nuklearwaffen zwischen denjenigen EU-Staaten, die nukleare Nichtverbreitungs- oder Verbotsabkommen unterzeichnet haben und denjenigen, die das anders sehen.Man mag einwenden, dass die Politik der nuklearen Nichtverbreitung durch Russlands Angriff auf die Ukraine desavouiert ist, es gilt hier allerdings: Eine europäische nukleare Souveränität ist unerreichbar und zugleich schädlich. Europa muss seine Sicherheit neu organisieren, Nuklearwaffen sollten dabei keine zentrale Rolle spielen.