Meinung Weil Donald Trump im US-Wahlkampf längst bekannte Positionen über die NATO, Europa und Russland zuspitzt, wird die EU hektisch – davon aber noch längst nicht autonomer
Außenministerin Annalena Baerbock und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
Foto: Imago/Photothek
Donald Trumps Drohung, die USA würden unter seiner Präsidentschaft europäische Mitgliedsstaaten der NATO nicht vor einem russischen Angriff schützen, hat beträchtliche Hektik ausgelöst. Aber ist es wirklich wahr, dass sich Europa seitdem in einer grundstürzend neuen Situation befindet? Schwerlich, denn wenn man Trumps Fähigkeit, sich glaubhaft als „mad dog“ darzustellen – die Mad-dog-Strategie gehört seit Ronald Reagan zu den Spezialitäten US-amerikanischer Außenpolitik –, und überhaupt den US-Wahlkampf abzieht, dann hat sich doch nur etwas wiederholt: Trumps größtmöglicher Druck auf Staaten, die nicht so viel Geld für Waffen ausgeben, schon vor 2021. Da er keineswegs verrückt ist,
t, wird er sich hüten, die NATO zu zerstören. Trump wird sie vielmehr zur Beihilfe gegen China zu zwingen versuchen.Aber auch die hektische europäische Reaktion könnte täuschen, bei einigen mindestens, die jetzt so viel Aufgeregtheit hervorkehren. Denn mit oder ohne Trump ist längst eine Diskussion im Gange, ob die europäischen und US-amerikanischen geopolitischen Interessen nicht immer mehr auseinanderdriften und die Europäische Union deshalb gut daran täte, auf Autonomie gegenüber den USA zu setzen.Einige Aufgeregte, die es vielleicht nur scheinbar sind, mögen die Lage nutzen, solcher Autonomie näherzukommen, während sie zugleich behaupten können, es ginge ihnen um die noch festere atlantische Bindung. So wirkt die typische Diskrepanz, die sich zwischen den Äußerungen des Kanzlers und seiner Außenministerin wieder einmal zeigt, eher zweideutig: Es ist Annalena Baerbock, die jetzt sagt, die EU müsse sich „auf den Weg zu einer europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsunion“ begeben, während Olaf Scholz so tut, als habe er Trumps Drohung überhört, wenn er nur betont, die Beistandsgarantie der NATO dürfe nicht relativiert werden. Aber vielleicht will er von der Sicherheitsunion nur nicht sprechen, während Baerbock glaubt, diese sei im US-Interesse? Man kann das gar nicht entscheiden, weil Scholz’ Politik so oder so dieselbe sein muss: eine deutsche militärische Führungsrolle in Europa zu beanspruchen und zum Beleg darauf hinzuweisen, dass Deutschland auch wirklich der größte europäische Geldgeber für die Ukraine ist.Für die Linke in Deutschland, speziell auch die Linkspartei, ist so eine Situation, wie man jedenfalls befürchten muss, eine Überforderung. Denn der abstrakte Pazifismus, den sie pflegt, führt jetzt nicht weiter. Heute muss man vielmehr begreifen, erstens, dass eine Abkopplung von US-Interessen, die Europa schaden, im Kern und daher auch zuerst – damit keine Zeit verloren wird – militärisch erfolgen muss. Zweitens, dass es nicht bloß um die Propagierung dieser Abkopplung geht, sondern um ihr Gelingen. Wer nur wiederholt, dass Europa sich, statt eine militärische Sicherheitsunion zu gründen, am besten aller Waffen entledigen sollte, spricht zwar eine ewige Wahrheit aus, trägt aber dazu, dass sie auch verwirklicht wird, überhaupt gar nichts bei. Denn man kann nicht von der jetzigen NATO übergangslos in den ewigen Frieden springen. Was man indessen tun könnte, ist die Herbeiführung militärischer Unabhängigkeit, damit die USA hier und heute aufhören, über europäische Waffen zu gebieten.Man muss drittens begreifen, dass europäische Autonomie auch künftig keine Abkopplung schlechthin von den USA bedeuten darf. Denn Autonomie muss erreicht werden, damit Europa den Gang in den Weltkrieg aufhalten und stoppen kann. Das heißt, Europa muss an der Verständigung aller Weltmächte miteinander arbeiten, und da sind ja die USA in erster Linie gemeint.Es muss also auch, ja gerade unter Donald Trump bei dem bleiben, was seit Willy Brandt zur Staatsräson der Bundesrepublik gehörte: eine Mittlerrolle zwischen West und Ost einzunehmen und gut zu spielen. Man kann doch nicht sagen, dies sei zwischen Brandt und Angela Merkel gänzlich misslungen. Aber dass die Mittlerrolle nicht hätte gespielt werden können, wenn die Bundesrepublik aus der NATO ausgetreten wäre, wollte die Linke schon bisher nicht begreifen. Sie sollte heute mehr differenzieren können, gerade etwa angesichts der Zerstörung von Nordstream, an deren US-Urheberschaft sie doch wahrscheinlich und nicht ohne Berechtigung glaubt. Diese Zerstörung zeigt doch mutmaßlich, mit welcher Gewalt die USA gegen die Mittlerrolle kämpfen. Sie muss aufrechterhalten, muss erneuert werden.Zweideutig erscheint in der gegenwärtigen Lage auch das große NATO-Manöver, das im Januar begonnen hat und erst im Mai abgeschlossen sein soll. Es ist einerseits eine große atlantische Solidaritätsveranstaltung, von der es scheint, sie stelle eine voll funktionierende NATO unter Beweis. Es ist andererseits eine Gelegenheit, die innereuropäische militärische Zusammenarbeit zu üben, zu stärken – ob und welche europäischen Staaten dies auch beabsichtigen, gleichviel. Drittens erhöht das Manöver die Kriegsgefahr. Auch dem Krieg in der Ukraine ging ein in diesem Fall russisches Manöver voraus. Die verschiedenen Dimensionen des Großereignisses beachtend, sollte die Linke bis zum Mai genau hinschauen.
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