Papst Franziskus hat mutig gesprochen und zugleich eine Wahrheit ausgesprochen. In einem Interview mit dem Schweizer Fernsehsender RSI hat er erklärt, es sei stärker, „der die Situation erkennt, der an das Volk denkt und den Mut hat, die weiße Flagge zu schwenken und zu verhandeln“.
Es fällt nicht schwer, das Wort „weiße Flagge hissen“ als Defätismus zu diffamieren. Genauso läuft die fast schon gleichgeschaltete Wahrnehmung in den westlichen Hauptstädten wie auch in der Ukraine selbst. Die deutsche Presse überbietet sich in Empörung und schreibt von „Kapitulationserklärung der Friedensethik“ (Kölner Stadtanzeiger). „Papst Franziskus knickt vor Putins Weltbild ein“, heißt es in de
heißt es in der Berliner Morgenpost, auch von einem zu „naivem Ratschlag“ und „Ermutigung Putins zum nächsten Krieg“ (FAZ) ist die Rede.Die Reaktionen zeigen, wie eindimensional auf vermeintliche militärische Lösungen gesetzt wird Die deutsche Außenministerin fragt sich öffentlich, „was er sich dabei gedacht hat“ und bekennt zugleich „ich versteh’s nicht“. Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt unterstellt, Franziskus „akzeptiert damit die Auslöschung der Ukraine“ und für den CDU-Abgeordneten Roderich Kiesewetter stellt er sich „auf die Seite des Aggressors“. Ein anderer CDU-Bundestagsabgeordneter unterstellt, der Papst rate der Ukraine „zu einer Existenz unter russischer Diktatur“, er schäme sich „als katholischer Christ einmal mehr für das Versagen der römisch-katholischen Kirche an zentraler Stelle“. Da passt es ins Bild, dass der ukrainische Präsident den Appell des Papstes scharf zurückweist, und sein Außenminister entgegnet, die ukrainische Fahne sei nicht weiß, sondern blau-gelb – „die Fahne, mit der wir leben, sterben und durchhalten“.Auch wenn ein Vatikansprecher inzwischen präzisierte, Franziskus habe keineswegs zur Kapitulation, sondern vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen wollen, zeigen die Reaktionen doch, wie eng nach zwei Jahren Krieg der Meinungskorridor geworden ist und wie eindimensional auf vermeintliche militärische Lösungen gesetzt wird. Verhandlungen sind also bestenfalls naiv, schlimmstenfalls ein Beitrag zur Belohnung des Aggressors. Die für die Ukraine zunehmend aussichtslose Lage an der mehr als tausend Kilometer langen Front, Hunderttausende von Toten und Verstümmelten, die schweren Verwüstungen in der Ukraine wie auch das enorme Eskalationspotential dieses Krieges werden damit schlechterdings ignoriert. Durchhalteparolen ersetzen Politik.Repräsentativ ist auch der Vergleich, den die FAZ zieht: Franziskus' Ratschlag wäre so, als wenn einst Papst Pius XII. dem britischen Premierminister Churchill im Zweiten Weltkriegsjahr 1940 öffentlich dazu geraten hätte, vor Adolf Hitler die weiße Fahne zu schwenken. Putin ist also offenkundig inzwischen Hitler. Wer das so sieht, der kann tatsächlich nicht auf Verhandlungen und nüchternen Interessenausgleich setzen – sondern muss für ein militärisches „all in“ bis zur russischen Niederlage sein. Die Debatte um Taurus-Lieferungen und westliche Bodentruppen in der Ukraine liefert dann womöglich den Vorgeschmack auf eine weitere militärische Eskalation.Anders als diesen einfach gestrickten Bellizisten kann man Franziskus dann doch eine höhere Weisheit zubilligen – auch wenn man aus grundsätzlichen Gründen dagegen sein kann, dass sich geistliche Oberhäupter in weltliche Angelegenheiten einmischen. Es gibt keine bessere und zugleich zu vertretbaren Kosten umsetzbare Alternative, als aus diesem Krieg mit Verhandlungen herauszukommen und genau dafür politisches Kapital zu investieren. Das solcherlei Überlegungen reflexartig als „katastrophaler Defätismus“ (so jüngst wieder das schwarz-grüne Zockerteam Norbert Röttgen und Anton Hofreiter) abgemeiert werden, sollte nicht akzeptiert werden. „Schämt euch nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird.“ Die Botschaft von Franziskus hilft dabei zu verdeutlichen, wer sich wofür schämen sollte, diese Option zu verneinen.