Taurus-Raketen für die Ukraine: Bis der Rubikon überschritten ist
Kriegsbeteiligung Frankreich und Großbritannien haben schon Personal für Raketen in der Ukraine. Aus dem abgehörten Gespräch deutscher Militärs geht hervor, eine Taurus-Lieferung und ein schneller Einsatz wären nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich
Als der römische Konsul Julius Caesar im Jahre 49 vor Christus den Grenzfluss Rubicon überschritt, um seine Stellung gegenüber seinem Konkurrenten Pompejus zu behaupten, entfachte er einen Krieg. Seitdem steht der Ausdruck „den Rubicon überschreiten“ dafür, eine folgenschwere und unwiderrufliche Entscheidung zu treffen. Ähnlich muss sich wohl Kanzler Olaf Scholz (SPD) fühlen, angesichts des politischen und medialen Gegenwinds, der militärisch unter Druck stehenden Ukraine doch endlich deutsche Marschflugkörper des Typs Taurus zu liefern.
die von Frankreich und Großbritannien bereits gelieferten Raketensysteme Storm Shadow beziehungsweise Scalp. Er hat eine größere Durchschlagskraft und ist weniger anfällig für elektronische Gegenmaßnahmen. Also die ideale Waffe, um hochwertige Ziele im Hinterland, wie die für den russischen Nachschub wichtige Brücke von Kertsch zu treffen. Genau das wäre die Funktion von Taurus, wie ein abgehörtes Gespräch von hohen Bundeswehroffizieren bestätigt hat, das am 1. März öffentlich wurde.Deutschland als KriegsparteiWarum liefert Deutschland also nicht? Die einen sagen, aus Angst vor der möglichen russischen Reaktion. Andere behaupten, Scholz wolle unter allen Umständen vermeiden, dass Deutschland als Kriegspartei wahrgenommen wird. Wieder andere unterstellen ihm schlichtweg, er verstehe die militärische Lage nicht richtig oder scheue sich, das Notwendige zu tun. Scholz selbst erklärte dazu vergangene Woche: „Das ist eine sehr weitreichende Waffe, und das – was an Zielsteuerung und Begleitung der Zielsteuerung von Seiten der Briten und Franzosen gemacht wird – kann in Deutschland nicht gemacht werden.“Aus dem abgehörten Gespräch geht hervor, dass eine baldige Lieferung und ein schneller Einsatz in der Tat nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich wären. Die andere Option würde darin bestehen, Ukrainer an diesem System auszubilden. Das würde freilich Monate dauern. Die bei der bewussten Abstimmung der Militärs angestellte Überlegung, die Datensätze für die Zielprogrammierung indirekt zu übermitteln, bezeichnet der Luftwaffeninspekteur selbst als „totalen Schwachsinn“. Olaf Scholz hat schließlich betont: „Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein. Auch nicht in Deutschland.“ Es ist demnach nicht egal, wo der Marschflugkörper programmiert wurde.Kanzler Olaf Scholz sorgt vorGroßbritannien und Frankreich sind bereits mit Spezialkräften vor Ort, um für ihre der Ukraine überlassenen Marschflugkörper Daten einzugeben. Sie ziehen es offenbar vor, diese delikate Aufgabe nicht Kiew allein zu überlassen. Die Lage könnte sich ändern, es entstehen möglicherweise neue Sachzwänge, auf die man reagieren will. Selbstverständlich stellt sich die völkerrechtliche Frage, ob Paris und London durch ihre Beteiligung an der konkreten ukrainischen Angriffsplanung und -durchführung nicht bereits den Status eines aktiven Kriegsteilnehmers haben. Sie lässt sich bisher nicht eindeutig beantworten. Unstrittig dürfte sein, dass die britischen und französischen Soldaten legitime Ziele der russischen Kriegführung sind.Ohnehin sieht sich Wladimir Putin längst im Krieg mit dem Westen. Er scheut jedoch den direkten Konflikt mit der NATO als stärkstem Militärbündnis der Welt. Darum drohte er in seiner Rede zur Lage der Nation am 1. März einmal mehr mit dem Einsatz von Nuklearwaffen, sollten westliche Bodentruppen eingesetzt werden.Ausbildung von Soldaten und Rüstungsproduktion in der UkraineDas Verhalten von Politikern und Kommentatoren im Westen wirft insofern die Frage auf, ob die „rote Linie“, keine direkte Rolle im Krieg zu übernehmen, nicht längst zu erodieren begonnen hat. Vergangenen September erwog der britische Verteidigungsminister, Grant Shapps, die Ausbildung ukrainischer Soldaten in die Westukraine zu verlegen. Es ging ihm ebenso um Rüstungsproduktion vor Ort. Da es dabei viel Geld zu verdienen gibt, eröffnete der britische Rüstungskonzern BAE Systems zeitgleich eine Niederlassung zur Produktion von Artilleriegeschützen in der Ukraine. Auch Rheinmetall hat kürzlich den dortigen Aufbau einer Produktionsstätte für Munition angekündigt.Wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron jetzt öffentlich über die Entsendung von Bodentruppen spekuliert, trägt er zur weiteren Erosion der „roten Linie“ bei. Um zu beruhigen, heißt es, er habe ja nicht explizit von Kampftruppen gesprochen, sondern meine logistischen Beistand oder militärische Ausbilder. Nur ist so mancher Konflikt mit dem Entsenden von Instrukteuren dieser Art eskaliert und hat Entsendestaaten in einen Krieg gezogen. Erst Spezialkräfte, dann Rüstung und Logistik, dann Militärausbilder. Fragt sich, wann die Kampfsoldaten kommen. Es scheint so, dass eine Denkschule an Boden gewinnt, die bislang in der Minderheit war. Ihr zufolge ist Russland jetzt noch zu schwach, um sich mit der NATO anzulegen. Darum sollten NATO-Länder Soldaten in die Ukraine schicken, um Moskau abzuschrecken und ein weiteres Vorrücken zu verhindern. Man nimmt dabei das Risiko einer direkten Konfrontation mit Moskau in Kauf.Im Geleitzug mit WashingtonGenau diese Dynamik will Scholz nicht. Er zieht es vor, mit Washington im Geleitzug zu fahren. Auch die USA haben noch keine weiterreichenden Raketen oder Marschflugkörper an die Ukraine geliefert. Sollten sie diese Haltung ändern, wird der deutsche Regierungschef womöglich einlenken. Ginge er dann nicht mit den USA, wäre Berlin isoliert. Rhetorisch hat Scholz jedenfalls vorgesorgt: Taurus sei ein Thema, „was jetzt für uns nicht als Nächstes als Handlungsoption auf der Tagesordnung steht“. Die Zeiten könnten sich jedoch ändern. Dann würde der Name des Sprengkopfes von Taurus – „Mephisto“ (Multi-Effect Penetrator High Sophisticated and Target Optimized) – eine zusätzliche, aus Goethes Faust entliehene Bedeutung erhalten: dem Teufel verpflichtet zu sein. Scholz stünde vor dem Rubicon und müsste entscheiden, ob er ihn auch überschreitet.
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