Ukraine: Scholz sollte bei seinem Nein zu den Taurus-Marschflugkörpern bleiben

Meinung Marschflugkörper an die Ukraine? Der Druck auf den Bundeskanzler wird auch nach der gestrigen Abstimmung bleiben. Es gibt gute Gründe, ihm standzuhalten
Die Ukraine möchte den Taurus, allerdings einen anderen
Die Ukraine möchte den Taurus, allerdings einen anderen

Foto: Imago / Beautiful Sports

Bundeskanzler Scholz hat sich im Oktober des vergangenen Jahres vorerst gegen die Lieferung von Taurus Marschflugkörpern an die Ukraine entschieden. Das, obwohl es in seiner Regierungskoalition zahlreiche Stimmen gibt, die sich beharrlich für die Lieferung aussprechen. Trotzdem, und nicht überraschend, haben die Abgeordneten der Regierung der CDU/CSU gestern nicht erlaubt, die Ampel im Bundestag vorzuführen. Wie aber weiter?

Befürworter der Lieferung argumentieren, der Taurus würde die Ukraine dazu befähigen, Ziele auch im rückwärtigen Raum, d.h. weitab der Frontlinie zu zerstören. Mit einer Reichweite bis zu 500 Kilometern und seiner hohen Zerstörungskraft könnten damit auch Bunkeranlagen zerstört werden.

Allerdings könnte die ukrainische Armee damit auch die Brücke über die Straße von Kertsch zerstören (eine zentrale Nachschublinie der russischen Streitkräfte) oder sogar militärische Ziele auf russischem Territorium angreifen. Letzteres soll die Ukraine sogar durchführen, meinen viele in den Ampelparteien und in der CDU/CSU, zuvörderst Friedrich Merz. Völkerrechtlich wäre das legitim; die Ukraine als Opfer darf den Krieg auch auf das Territorium des Angreifers verlagern. Viele wiederum erwarten bei der Lieferung des Taurus einen Wendepunkt im Krieg in der Ukraine; die Waffen können die Ukraine auf die Siegerstraße bringen.

Ein Restrisiko bleibt

Der Kanzler aber fürchtet bei der Lieferung erhebliche Eskalationsrisiken. Würde Russland nach einer Lieferung der Waffe militärisch eskalieren? Wäre sogar eine vertikale Eskalation möglich – der Einsatz von taktischen Nuklearwaffen, sollte die Ukraine mit dem Taurus hochwertige Ziele in Russland angreifen? Letzteres ist zwar nicht wahrscheinlich, aber es besteht ein Restrisiko, dass es dazu kommt. Scholz ist bedacht, es nicht darauf ankommen zu lassen, ob Russland mit seinen vielen impliziten Nukleardrohungen nur blufft oder nicht.

Die ukrainische Regierung dementiert aber, den Taurus tatsächlich auf Ziele in Russland zu richten. Das mag derzeit auch stimmen. Aber niemand kann garantieren, dass diese Zusicherung auch dann hält, wenn der Krieg militärisch eskalieren sollte; oder die Ukraine sogar in eine militärische Niederlage schlittern sollte. Scholz ist hier bedacht und vorsichtig; ihm Zögern vorzuwerfen, verkennt die Verantwortung, die er für eine gefährliche Eskalation des Krieges trüge.

Gibt es eine Kommunikation der Russen in Sachen Taurus?

Auch die USA trauen ukrainischen Zusicherungen nicht, mit den Boden-Boden Raketen ATACMS keine Ziele in Russland anzugreifen. Nur wenige Raketen dieses Systems wurden bislang an die Ukraine geliefert; vor allem aber wurden sie mit einer Reichweitenbegrenzung von ca. 160 km geliefert. Biden scheinen ähnliche Überlegungen wie Scholz anzutreiben. Warum sollte die deutsche Regierung aber forscher und risikobereiter vorgehen als die der USA?

Sind die Vorbehalte von Scholz aber nur vage Befürchtungen? Oder hat der Kanzler Informationen, die seine Zurückhaltung bestimmen? Gab es eine Kommunikation der russischen (oder alliierter) Seite, dass die Lieferung tatsächlich zu einer massiven militärischen Eskalation führen würde? Gut möglich. Wenn ja, wie viele Regierungsmitglieder wären darin eingeweiht?

Zögern und Zaudern von Scholz kritisieren die einen; Bedachtsamkeit und Vorsicht loben die anderen. Scholz hat wohl gute Gründe für seine Ablehnung, Taurus Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern.

Gerhard Mangott ist Professor für Politikwissenschaft mit der Spezialisierung auf Internationale Beziehungen und Sicherheitsforschung im post-sowjetischen Raum an der Universität Innsbruck

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