Zwei Jahre des Grauens mit hohen menschlichen und materiellen Verlusten in der Ukraine, aber auch für Russland lassen fragen, wie lange noch? Folgt man der gängigen Denkschule westlicher Politik und eines Großteils der Mainstream-Medien, lautet die Antwort: „As long as it takes.“ Der Krieg werde noch lange dauern – es sei denn, Donald Trump kommt an die Macht. Dann könne es für Deutschland und seine Partner unangenehm werden. Folglich müssten die Bundeswehr und die Bevölkerung kriegstüchtig werden. Sollte die Ukraine verlieren, so die Befürchtung, würde das Baltikum das nächste Opfer sein. Und da stehen deutsche Soldaten als Teil der NATO. Um dieses Szenario zu verhindern, müsse Kiew befähigt werden, weiter
er standzuhalten, westliche Hilfe die Waffenarsenale auffüllen und 2025 mit modernster Ausrüstung wieder in die Offensive gegangen werden. Diese Argumentation setzt auf Mittel- und Langstreckensysteme wie die amerikanischen ATACMS M57 mit 300 Kilometern Reichweite oder deutsche Taurus-Marschflugkörper mit 500 Kilometern. Ihnen schreibt Ex-US-General Ben Hodges die Qualität eines „game changers“ zu, der es erlaube, russische Logistik- und Kommandozentren auf der Krim zu zerstören, sodass diese für Moskau nicht mehr zu halten sei.Weitreichende Raketen hätten gewiss negative Wirkungen auf russische Stellungen, aber sie wären nicht kriegsentscheidend. Die 165 Kilometer weit fliegenden ATACMS M39, von denen Kiew 2023 zwanzig erhielt, haben russische Landebahnen zerstört, waren also taktisch erfolgreich. Mehr aber auch nicht. Eine andere vermeintliche Wunderwaffe, der deutsche Panzer Leopard 2, wurde in russischen Minenfeldern zur leichten Beute. Der Einsatz amerikanischer HIMARS-Raketenwerfer ein Jahr zuvor war anfangs effektiv, doch dann stellte die russische Armee sich darauf ein, was einmal mehr die Erfahrung bestätigte, dass Kriege unberechenbar sind.Der Glaube an Wunderwaffen zeugt von statischem Denken. Das Verhalten Russlands ist jedoch alles andere als das. Es wurden unerwartet starke Verteidigungsbastionen aufgebaut, Munitionsdepots und Logistik weiter ins Hinterland verlegt. Zugleich gibt es inzwischen leistungsfähigere Störgeräte, um die ukrainische Kriegsführung mit Drohnen zu behindern. Ganz abgesehen davon, dass russische Militärs über ein Vielfaches an Angriffsdrohnen im Vergleich zur Ukraine verfügen. Selbst wenn der Westen mehr Langstreckenwaffen liefern würde, hätte Moskau genug Möglichkeiten zu antworten, angefangen mit asymmetrischen Reaktionen bis hin zu vermehrten Luftschlägen in der gesamten Ukraine. Vor allem ist es eine Illusion zu glauben, man könne die Krim ohne eigene große Bodenoffensive und eine mögliche nukleare Eskalation zurückholen.Statt zu glauben, man müsse nur viel mehr weitreichende zielgenaue Waffen liefern, um der Ukraine im Abwehrkampf beizustehen, sollte sich der Westen eingestehen, dass ein militärischer Sieg Kiews im Sinne der offiziellen Ziele nicht möglich ist. Auch die bescheidenere Variante, Kiew durch die Abnutzung des Gegners und eine langfristige „aktive Verteidigung“ in eine bessere Verhandlungsposition zu bringen, verheißt noch viele Jahre Krieg, extreme Kosten und hohe politische Risiken.Bestmögliche LösungDarum sollten sich die Protagonisten am historischen Beispiel Finnland orientieren, in das Stalin Ende 1939 einfiel, um Russland in eine bessere geostrategische Position zu bringen. Ähnlich der Ukraine gelang es den Finnen, der Übermacht länger standzuhalten als von Moskau kalkuliert. Dem Waffenstillstand 1940 und dem „Fortsetzungskrieg“ Finnlands an der Seite Deutschlands folgte 1947 ein Friedensvertrag, mit dem zehn Prozent finnischen Territoriums abgetreten wurden, aber die politische Unabhängigkeit erhalten blieb – die Gewähr für eine demokratische, wirtschaftlich prosperierende Entwicklung, die letztlich 1995 in die EU und 2023 in die NATO führte. Die Lehre lautet, es kann trotz damit verbundener Schmerzen sinnvoll sein, auf Gebiete zu verzichten, um das Überleben der Nation zu sichern. Gewiss haben „Finnlandisierung“ und Neutralität bei westlichen Experten einen schalen Beigeschmack. Beides hat sich während des Kalten Krieges aber als stabilisierend erwiesen. Es wurden die Sicherheitsbedürfnisse der UdSSR berücksichtigt und im Gegenzug Finnlands Souveränität gewahrt.Der britische Osteuropa-Experte Anatol Lieven verweist darauf, dass angesichts einer 300 Jahre währenden russischen Dominanz es wie ein Sieg aufgefasst würde, wenn vier Fünftel der Ukraine – gesichert durch internationale Garantien – unabhängig blieben. Ob Wladimir Putin einem solchen Deal zustimmen würde, müsste der Westen erkunden. Die Zeit scheint eher für Moskau zu arbeiten. Da aber der Krieg ein Chamäleon ist, das sich ständig verändert, kann sich Putin eines Erfolges nicht sicher sein. Darum sollten der Westen und die Ukraine Verhandlungsbereitschaft signalisieren. Wenn dann am Ende eine „Finnlandisierung“ der Ukraine dabei herauskäme, wäre das – gemessen an einer ukrainischen Niederlage oder eines westlichen Kriegseintritts – die bestmögliche Lösung.