Roderich Kiesewetter: Ein evangelischer Naturschützer im Dritten Weltkrieg
CRINK Roderich Kiesewetter ist evangelischer Christ, schwäbischer Naturschützer, früherer Berufssoldat – und arbeitet daran, den Krieg nach Russland zu tragen. Eines Tages könnte der CDU-Politiker Verteidigungsminister werden
„Der Krieg muss nach Russland getragen werden“, fordert Roderich Kiesewetter. „Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden. Wir müssen alles tun, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, nicht nur Ölraffinerien in Russland zu zerstören, sondern Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände“, so der Obmann der CDU-/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages.
Foto: Bernd Elmenthaler/Imago
Oberst a. D. Roderich Kiesewetter sieht sich bereits im Dritten Weltkrieg. Doch die vielen friedensseligen Geisterfahrer, die ihm entgegenkommen, wollen das nicht wahrhaben. Sie begreifen nicht, dass CRINK die regelbasierte Ordnung des Westens für immer zerstören will. Diese Erkenntnis – es muss eine regelrechte Offenbarung gewesen sein! – hämmert Twitter-General Kiesewetter seinen rund 37.000 Followern unablässig in die Köpfe und erhält dafür aus den Echokammern des Internets tosenden Beifall.
Wissen Sie, wer CRINK ist?
Wie, Sie wissen nicht, wer CRINK ist? In welcher Traumwelt leben Sie? Glauben Sie, CRINK würde vor Deutschland Halt machen? Schon morgen wird er Europa terrorisieren wie einst Dschingis Khan mit seinen Mongolenhorden. Ja, l
risieren wie einst Dschingis Khan mit seinen Mongolenhorden. Ja, lachen Sie nur. Das Lachen wird Ihnen noch vergehen. Es ist schließlich kein Zufall, dass die heutigen Nachfolgestaaten auf dem Gebiet des früheren Mongolenreichs „eine enge Allianz“ gegen den Westen geschmiedet haben. Wir befinden uns in einem „Systemkrieg“. In einem Weltanschauungskrieg. Seht genau hin, ihr Hohlköpfe! CRINK ist die Abkürzung für China, Russland, Iran, Nordkorea. CRINK wird uns vernichten, wenn wir nicht bereit sind, die Ukraine mit allem zu unterstützen, was wir haben: „Whatever it takes!“So schreit es der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter, 60, in alle verfügbaren Medienkanäle, und man fragt sich besorgt, was den liebenswürdigen, Gedichte schreibenden Mann derart radikalisiert hat. Denn blickt man auf seine Website, sieht man einen treusorgenden Familienvater aus dem östlichen Baden-Württemberg, dem die Förderung des Mittelstands, der Ausbau der B29 und die Verkehrsentlastung bei Pflaumloch, Trochtelfingen und Aufhausen besonders am Herzen liegt.Mitglied im NABUDer gern die Schwäbische Alb durchwandert, im heimischen Gärtle stochert oder in der Küche Aalener „Spionle“ backt. Der als evangelischer Christ im Naturschutzbund „die Schöpfung bewahrt“ und einen Stiftungslehrstuhl für Erneuerbare Energien an der Hochschule Aalen initiiert hat. Wie gerät ein so friedlich scheinender Schwabe in den Dritten Weltkrieg?Mitte Februar forderte er zum Entsetzen vieler Bundesbürger: „Der Krieg muss nach Russland getragen werden. Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden. Wir müssen alles tun, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, nicht nur Ölraffinerien in Russland zu zerstören, sondern Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände.“ Kiesewetter will – wie unsere Vorfahren im Ersten und Zweiten Weltkrieg – bis Moskau vorstoßen. Es geht schließlich um alles! „Wir müssen Putin jetzt stoppen. Ansonsten breiten sich Genozid und Terror aus.“Eine Flamme entzündenAm 24. Februar steht Kiesewetter im Hoodie vor dem Brandenburger Tor und hält eine Rede zum zweiten Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine. Wieder wettert er gegen CRINK. Diese „unheilige Allianz“ wolle uns „auseinandertreiben“ und „einschüchtern“. Es seien aber „unsere Brüder und Schwestern“, die in den Schützengräben der Ukraine sterben, und daher wolle er – sichtlich ergriffen zitiert er ein Gedicht Friedrich Nietzsches – die Flamme der Begeisterung für „ein neues WIR“ entzünden, für den gemeinsamen Kampf gegen den „russischen Terrorstaat“, „Slava Ukraini!“. Auf Twitter bekräftigt er seine Rede mit vier Flaggen (Europa, Deutschland, Israel, Ukraine) und fünf Hashtags: #VictoryforPeace, #TaurusNow, #StopPutin, #WaffenfürdieUkraine und #SlavaUkraini. Gern posiert er auch für Selfies: mal mit der „Twitter-Freundin“ Franziska Davies, mal mit dem blau-gelb verkleideten Queer-Aktivisten und „Nafo“-Fella Frank Peter Wilde, mal im T-Shirt mit dem Slogan #UkraineNATOnow.Sein Fanatismus geht so weit, dass er dem Kanzler de facto Landesverrat unterstellt. „Die Verweigerung von Taurus durch Scholz“, schreibt Kiesewetter, „ist de facto eine Stärkung Russlands“, Scholz „schwächt Deutschlands Sicherheit und zeigt Putin: Einschüchterung und Desinformation haben im Kanzleramt vollen Erfolg“, das Lavieren bei Taurus bestätige, „dass Scholz mit voller Absicht der Ukraine diese effektive Waffe vorenthält. Er nimmt höhere Opfer in Kauf und stärkt somit wissentlich Russland.“ Scholz gehe „mit Russland“ einen „Sonderweg“, dabei könnten wir nur „mit der Ukraine gewinnen oder gemeinsam mit ihr verlieren“.Wäre Kiesewetter ein politischer Außenseiter, würde man angesichts derart überspannter Urteile vermutlich mit den Achseln zucken, doch er ist Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss und stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, also jener Institution, die BND, Militärischen Abschirmdienst und Verfassungsschutz kontrollieren soll. Kiesewetter könnte eines Tages Verteidigungsminister werden. Als ehemaliger Berufssoldat, der sich gleich nach dem Abitur 1982 der Bundeswehr verschrieb und viele Stationen bei EU und NATO durchlaufen hat, wäre er prädestiniert dafür. Er muss nur aufpassen, dass er nicht noch einmal so austickt wie vergangenen Sommer in Ellwangen. Da beschimpfte er, offenbar angetrunken, Sicherheitspersonal als „KZ-Wächter“.
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