Schuldenbremse: Wir werden Renten und Bürgergeld nicht für Panzer opfern

Meinung Wenn Christian Lindner und Olaf Scholz das Militärbudget gegen die Rente ausspielen, dann wiederholt sich die Politik der Bankenkrise: Die Wirtschaft schreibt die Sozialgesetze, und wir sind entmachtet. Wie wir uns empowern können
Ausgabe 08/2024
All das Geld für Panzer?
All das Geld für Panzer?

Foto: Imago/Depositphotos

Wofür wollen wir unser Taschengeld ausgeben? Für Bürgergeld und Rente – oder für Waffen? Diese Grundschulkinderfrage schreibt die Bundesregierung gerade vorne an die Tafel. Wenn die 100 Milliarden Sonder-Taschengeld für das Militär alle sind und ab 2028 vom normalen Taschengeld bezahlt werden müssen, können wir uns dann noch ein Rentenpaket von 127 Milliarden Euro leisten? Dass wir uns diese Frage so verkürzt stellen, ist Ergebnis der Schuldenbremse, die uns auf einem Schulhof mit kleinem Taschengeld einsperrt, über dessen Verteilung wir uns prügeln. Schuld daran ist, Sie erinnern sich? Die Bankenkrise!

Denn es war schon mal anders: Wir waren erwachsen. 2011 waren die Plätze des Westens geflutet, Hunderttausende forderten in Spanien, Griechenland und den USA: „Real democracy now! Democracia real ya!“ Echte Demokratie, das hieß damals: Es ist nicht in Ordnung, wenn die Banken sich verzocken und dann ihre Verluste mit dem Geld begleichen, das die Staaten für ihre Sozialsysteme bräuchten. 400 Milliarden Euro machte Angela Merkel für das Bankenrettungspaket 2008 locker. Zugleich wurde in Griechenland den Alten die Rente gestrichen, und in Deutschland Eltern, die von Hartz IV lebten, das Kindergeld. So ist das bis heute.

Die Leute waren nicht dumm, sie wussten genau, was diese Austeritätspolitik zur Folge haben würde: mehr Konkurrenz, Pleiten und Kränkung, einen Rechtsruck, und noch dazu ein Abwürgen jeder Innovation. Sie füllten die Plätze, sie protestierten. Sie scheiterten.

Empowerment: Nicht Rheinmetall reich machen, sondern den Staat

Die SPD zementierte mit der Schuldenbremse die halbierte Demokratie, wie der Soziologe Klaus Dörre sie nennt: Nur über die Verteilung des Staatsgeldes kann verfügt werden, nicht über seine Menge. Das führt zu einer Erfahrung der Ent-Mächtigung, deren Kehrseite der unbändige Drang zur Er-Mächtigung ist: Rechte wollen sich er-mächtigen, indem sie die Grenzen kontrollieren, Liberale, indem sie mit 200 Sachen über die Autobahn rasen, Eigenheimbesitzer verteidigen die „Macht“ über die Heizungskeller, Progressive und Konservative hauen sich im Streit über die Macht in der Sprache die Köpfe ein. Wir kämpfen um Macht, aber nur: auf unserem umzäunten Schulhof. Da draußen geht derweil das Erwachsenenleben ohne uns weiter. Denn während die SPD in der Kernzeit der wirtschaftlichen Transformation als größte Innovation die Schuldenbremse hervorbrachte, brachten die USA und China zwei Zukunftstechnologien voran: die Cloud-Datentechnologie und die Elektromobilität. Europa? Abgehängt.

„Warum setzen wir nicht Anreize, damit Menschen länger arbeiten wollen – statt die Rente mit 63 zu finanzieren?“ Diese Frage hat FDP-Finanzminister Christian Lindner gerade an die Tafel geschrieben, während in den höheren Jahrgängen längst 1,67 Millionen länger arbeiten – ein Viertel mehr als vor drei Jahren. Es ist wie in der Bankenkrise: Der Kapitalismus schreibt unsere Sozialgesetzbücher.

Echte Demokratie, das hieß 2011: Der Souverän möchte gefälligst nicht nur über den Schulhof verfügen, sondern über die ganze Stadt. Er möchte nicht nur für die Verluste der Wirtschaft zahlen, sondern die Gesellschaft an ihren Gewinnen teilhaben lassen. 13 Jahre später hält die SPD an ihrer Schuldenbremse fest und weiht Munitionsfabriken ein. Rheinmetall erwartet bis 2026 eine Verdopplung seines Umsatzes. Wie mächtig wir uns erst fühlen werden, wenn wir mit unserem Taschengeld eine Armee aufgebaut haben, so richtig mit Panzern und allem! Dann können wir unseren Schulhof aber richtig verteidigen.

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

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