Emmanuel Macrons Truppen-Überlegungen zum Ukraine-Krieg: Der Wahnsinn nimmt seinen Lauf

NATO Der französische Präsident Emmanuel Macron will notfalls französische Truppen in die Ukraine schicken. Man fragt sich nach der politischen Zurechnungsfähigkeit von europäischen Spitzenpolitikern und sieht, wie blank die Nerven gerade liegen
Ausgabe 09/2024
„Werden alles tun, damit die Ukraine den Krieg gewinnt“: der Präsident der Atommacht Frankreich, Emmanuel Macron
„Werden alles tun, damit die Ukraine den Krieg gewinnt“: der Präsident der Atommacht Frankreich, Emmanuel Macron

Foto: Lewis Joly/Pool/AFP via Getty Images

Man könnte es Emmanuel Macrons exorbitantem Geltungsbedürfnis zuschreiben, dass er diese Ankündigung macht. Sich bei der Pariser Ukraine-Konferenz auf die üblichen Hilfszulagen zu beschränken, das könnte zu wenig Eindruck hinterlassen, mag er sich gesagt haben. Warum nicht die Absicht mit einigem Nachdruck andeuten, französische Bodentruppen in die Ukraine zu schicken, um einen militärischen Sieg Russlands zu verhindern?

Das allerdings können sie nur, wenn sie dort auch kämpfen und nicht Flugplätze oder Munitionsdepots bewachen. In den Fronttruppen der Ukraine müssen die größten Lecks geschlossen werden, nicht irgendwo im Hinterland.

Mit dem Bündnisfall wäre zu rechnen

Über eines sollte man sich dann im Klaren sein: Ein Kampfeinsatz Frankreichs in der Ukraine verheißt einen Kriegseintritt Frankreichs gegen Russland, das ein solches Engagement nicht unbeantwortet lassen dürfte. Es wäre mit militärischen Reaktionen zu rechnen, die nicht nur Standorten französischer Truppen in der Ukraine gelten.

Ziele in Frankreich und damit auf NATO-Gebiet sind nicht auszuschließen. Käme es dazu, müsste das Beistandsgebot nach Artikel V des NATO-Vertrages greifen und die westliche Allianz hätte ihren Schlagabtausch, auf den sie zwei Jahren systematisch hingearbeitet hat. Man könnte auch sagen: dem sie allen Warnung zum Trotz entgegen gerobbt ist. Kommt es so weit, muss die NATO handeln – oder sie hätte ausgesorgt und würde zerfallen. Ein Ernstfall ist immer existenziell, im Kriegsfall ganz besonders.

Atomare Eskalation

Man sollte nicht naiv sein und glauben, Russland würde vor einer Konfrontation zurückschrecken. Die Führung unter Wladimir Putin hätte nicht den Ukraine-Krieg riskiert, könnte sie mit Wort-Case-Szenarien nicht umgehen – militärische Schlagkraft, Durchsetzungs- und Siegchancen hin oder her. Dass dann auch der Einsatz von Kernwaffen droht, ergibt sich schon aus der Tatsache, dass Truppenspender Frankreich Atommacht – jedoch gemessen an den russischen Arsenalen – hoffnungslos unterlegen ist. Wie würde das kompensiert? Natürlich, indem die nuklearen Potenziale der USA zum Einsatz kämen. Was das bedeutet, muss nicht weiter beschrieben werden – was von Europa übrigbliebe, ist auf keinerlei Mutmaßungen angewiesen. Es sind Gewissheiten, die für diesen Fall allein zählen.

Die mögliche, wenn nicht absehbare Kettenreaktion vom Kriegseintritt Frankreichs bis zum nuklearen Inferno wäre ungemein kurz, nähme der Wahnsinn seinen Lauf und müsste sich unterwegs nicht mit Anflügen von Vernunft und Überlebenswillen messen.

Macron will in den Krieg ziehen, Scholz ihn für Deutschland vermeiden

Man fragt sich, wie es um die politische Zurechnungsfähigkeit von westeuropäischen Spitzenpolitikern wie Macron bestellt ist, denen es gefällt, mit ihrer Verantwortung wie Hasardeure zu spielen. Frankreichs Staatschef hat seine Absichten just an dem Tag kundgetan, da der deutsche Kanzler seine Ablehnung, deutsche Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, damit begründet hat, dass mit diesen Systemen auch deutsches Bedienungspersonal auf den Kriegsschauplatz müsste. Was ja wohl als Truppenentsendung einzustufen wäre.

Macron will in den Krieg ziehen, Scholz ihn für Deutschland vermeiden, ein eindrucksvolles Beispiel für die westliche Geschlossenheit in der Ukraine-Frage. Und mehr als nur ein Indiz dafür, wie die Nerven in Europa derzeit blank liegen. Man verfügt schließlich über die historische Erfahrung, dass die USA sich aus Krieg zurückziehen, die sie nicht mehr gewinnen können – das war 1973 in Südvietnam nicht anders als 2011 im Irak und 2021 in Afghanistan. Diesmal kommen als maßgebende Umstände noch die Präsidentenwahl am 5. November und die Verwicklung in den Gaza-Krieg hinzu. Hat alles Joe Biden zu verantworten, Donald Trump kann abwarten.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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