Republik leitet sich vom lateinischen res publica ab: die öffentliche Sache. Öffentlich ist das Gegenteil von verborgen. Und wenn das Absichtsvolle in diesem Wort vermieden sein soll, kann man es auch so sagen: das nicht für jederman Erkennbare, Einzuschätzende, Beeinflussbare. Wie mit dem Aufkommen der Philosophie die Figur des Weisen ins Abseits geriet, weil nun alles diskutiert wurde, so trat an die Stelle der Monarchie, in der ein einziger bestimmt, die Republik, in der alles grundsätzlich von jedem Einzelnen mitentschieden werden sollte. Für beide, den Philosophen wie Sokrates und den Politiker wie Cato, war die Redewendung: „Davon verstehst du nichts, da darfst du nicht mitreden“ einfach nicht statthaft.
In Frankreich haben Millionen Menschen während der letzten Tage genau dieses Prinzip der Welt vor Augen geführt. Hunderttausende in anderen Ländern Europas haben es ihnen gleich getan und gegen Gewalt und Terror protestiert. Das Besondere an ihrem Auftreten war, dass sie zu Vielen wurden, weil sie Einzelne waren. Sie waren nicht als Parteimitglieder, Verbandsfunktionäre oder Vereinsleute gekommen. Sie erschienen nicht unter dem Banner ihrer Bewegungen, Kirchen oder Interessengruppen. Die meisten Schilder, die sie zeigten, trugen die Aufschrift: „Je suis Charlie“ – „Ich bin Charlie“. Als Einzelne schufen sie Öffentlichkeit. Als millionenfach Einzelne demonstrierten sie, was eine res publica, was eine Republik ausmacht.
Massenversammlungen – gern auch als Aufmärsche organisiert – hat es in der Geschichte viele gegeben, gerade auch im zurückliegenden 20. Jahrhundert. Beliebt sind sie in Diktaturen, wo das erzwungene „Wir“ den Einzelnen auslöschen soll, wo Individualität als etwas Schimpfliches gilt. Man kann diesen Typ von Massenauftritten heute noch auf Bildern aus Nordkorea betrachten. In Deutschland funktionierte das nach der Formel „Du bist nichts, Dein Volk ist alles.“
Die Auftritte der Pegida-Leute in Dresden propagieren das Ziel: Dieses Volk muss für sich bleiben – andere sollen nicht dazugehören. Die werden als Bedrohung des kollektiven Eigenen empfunden. Das ist eingeschränkte Öffentlichkeit. Es ist übrigens das Gegenteil von dem Ruf der Leipziger „Wir sind das Volk“ aus den Tagen der friedlichen Revolution 1989. Das „Wir“ stand damals für „alle“. Alle sollten an der Republik teilhaben, jeder Einzelne. Es gibt Augenblicke in der Geschichte, die sind lehrreicher als jeder Gemeinschaftskundekurs und jede Vorlesung in Politikwissenschaft: Paris, Januar 2015.
Kommentare 4
Die Auftritte der Pegida-Leute in Dresden propagieren das Ziel: Dieses Volk muss für sich bleiben – andere sollen nicht dazugehören. Die werden als Bedrohung des kollektiven Eigenen empfunden. Das ist eingeschränkte Öffentlichkeit.
Wie man mittlerweile weiß, geht es den meisten Pegidia-Leuten weder um den Islam noch um Fremdenfeindlichkeit oder gar um Fremdenhass. Es geht ihnen auch nicht primär um Teilhabe an der öffentlichen Sache, denn sonst würden sie die reichlich dazu bestehende Gelegeheit ja wahrnehmen. Tatsächlich gehen die meisten zu Pegida, weil sie schlicht unzufrieden mit der Politik und mit den Medien sind.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-studie-in-dresden-marschiert-die-mittelschicht-a-1012913.html
Das ist denjenigen, die in Politik und Medien den Ton angeben, natürlich unheimlich, wo sie doch so einen guten Job machen und sich aus Sorge um die res publica tagtäglich den Allerwertesten aufreißen. Daher ihre Aufgeregtheit. Da muss man den Meckereren doch mal ganz schnell zeigen, dass sie auf dem Holzweg sind - und nicht etwa sich Gedanken machen, ob man selbst etwas falsch macht.
Es ist übrigens das Gegenteil von dem Ruf der Leipziger „Wir sind das Volk“ aus den Tagen der friedlichen Revolution 1989. Das „Wir“ stand damals für „alle“. Alle sollten an der Republik teilhaben, jeder Einzelne.
Es geht um Unzufriedenheit, die sich daraus speist, dass sich diese Gesellschaft zunehmend in "die da oben" und "wir da unten" spaltet. Daher ist der Hinweis: Wir, also "wir da unten," sind das Volk, durchaus berechtigt. Denn "die da oben" einschließlich der ihnen zuarbeitenden Medienleute, vergessen das zuweilen. Daher kann es nicht schaden, sie hin und wieder daran zu erinnern, z.B. dann, wenn sie ihre durchaus nicht immer zielführenden öffentlichen Diskurse in einer Sprache führen, die vor elitärer Abgehobenheit nur so strotzt. Denn da können "wir da unten" nicht wirklich mitreden, schon deshalb, weil wir dazu tüchtig üben müssten. Und das kann man nunmal schlecht, wenn man täglich acht oder mehr Stunden malocht und dabei wenig und/oder allenfalls fachchinesisch spricht. Da ist man "denen da oben" schnell unterlegen, und was erklärt, weshalb sich viele Pegidia-Leute nicht auf Diskurse einlassen wollen, wohlwissend, dass ihnen dabei zügig das Wort im Munde herumgedreht würde. Denn darin sind die Medienleute geübt. Allerdings überwiegend auch nur darin. Wenn es dagegen darum geht, einen Nagel gerade in die Wand zu schlagen, sieht es anders aus. Nur kommt man auch mit ordentlich in die Wand geschlagenen Nägeln nicht wirklich weiter. Das ist das Problem.
Es gibt Augenblicke in der Geschichte, die sind lehrreicher als jeder Gemeinschaftskundekurs und jede Vorlesung in Politikwissenschaft.
In der Tat.
Die Republik: Alle sollen teilhaben dürfen - jedenfalls solange sie dasselbe sagen wie die "Eliten".
Diesen in unserer real existierenden Republik leider nicht ganz unwichtigen Nachsatz hat der Autor vergessen, scheint mir.
Rom ging auch und trotz "res publica" unter. Der Schrei nach echter Beteiligung, nach echter Partizipation in Deutschland ist da. Er läuft unter dem terminus technicus: "Bürgerbeteiligung". Und was erleben wir? Die Kanzlerin tut ihrem Entdecker gleich, in dem sie sagt:"Ich bin die CDU!" Was bitte hat das mit res publica zu tun? Die Machtoption ist alles was hier interessiert. res publica - cui bono
Ich verstehe nicht so recht, inwiefern "Paris, Januar 2015" so ein Paradebeispiel für eine funktionierende Republik sein soll.
"Das Besondere an ihrem Auftreten war, dass sie zu Vielen wurden, weil sie Einzelne waren."
Das ist eine bloße Behauptung; mit vielen Blümchen und süßem Demokratie-Wunderland-Duft versehen. Ich sehe nicht, wie sich diese Behauptung an "Paris, Januar 2015", diesem Trauermarsch oder Protest gegen Terrorismus oder beides zusammen1 - man suche es sich aus -, stützen lässt. Klar: Es war keine von oben herab anberaumte Massendemonstration, an der man besser teilnimmt. Aber wozu dieser Vergleich mit Diktaturen? Demonstrationsfreiheit sowie die zwanglose Teilnahme an solchen, ist doch nu wahrlich nichts neues. "Paris, Januar 2015" hat nicht mehr oder weniger Republik bewiesen, als jede andere größere Demo in Frankreich.
Viel interessanter ist doch, zu beobachten, was passieren muss, damit einmal wirklich verdammt viele Menschen auf die Strasse gehen. Muss man da nicht die Frage stellen, wann die Republik überhaupt noch funktioniert? Zugegeben: Republik ist in Frankreich wohl trotzdem immer noch mehr spürbar, als in D oder anderswo.
1 Der Kollege Lethe hinterfragt nebenan sehr aufschlußreich, was es denn mit der Trauer um Charlie Hebdo auf sich habe.