Katharina Kollmann alias „Nichtseattle“: Anders als glücklich
Singer-Songwriterin Die Berliner Musikerin Nichtseattle etabliert sich mit ihrem neuen Album „Haus“ als kritische und berührende Stimme, die im politisierten deutschen Indie lange gefehlt hat
Musikalische Autofiktion? „Es ist die Erlebniswelt, in der ich mich bewege“, sagt Katharina Kollmann über ihre Texte
Foto: Meret Eberl für der Freitag
Es passiert nicht oft, aber manchmal halt schon. Dass man im Radio ein Lied hört, das einen tief berührt, weil es das Private, das Politische und die eigenen Erfahrungen so lakonisch auf den Punkt bringt: „Ich hab gedacht, man hat ein Leben lang, und gedacht, das dauert ewig lang, und gedacht, dafür wird’s ganz groß irgendwann“, singt die Berlinerin Katharina Kollmann in Fleißig (Schloss), als würde sie es einer engen Freundin erzählen. „Ich hab mich dafür grün und blau gewühlt, in zu schweren Sprachen strenge Selbstgespräche geführt. Ich hab gedacht, man muss nur ganz, ganz mutig sein, und alles andere kommt verdientermaßen wie von allein.“ Aus ihrer Gitarre fallen dazu einzelne verhaltene T
altene Töne und Akkorde, beharrlich wie Regentropfen an einem trüben Nachmittag. Gegen Ende wird die Sängerin, die sich Nichtseattle nennt, richtig wütend: „Ich bin immer sooo fleißig. Und trotzdem: Irgendwie reicht’s nicht.“Eine Stimme wie die von Nichtseattle hat im politisierten deutschen Indie-Pop lange gefehlt. Wo andere ihre Aussagen gerne mit Humor und Ironie puffern oder den Ärger über die Verhältnisse mit einem elaborierten Dandytum überspielen, zeigt sich das 1985 geborene „Wendekid“ Kollmann fast nackt und verletzlich. In ihren Liedern berichtet sie von der Ausweitung der Kampfzonen – hinein in die Kiez-Cafés, Altbauwohnungen und Proberäume. Der Künstlername Nichtseattle ist natürlich eine Hommage an die frühen Tocotronic und deren Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk von 1995. Seattle, das war Anfang der Neunziger die Heimat von Grunge-Bands wie Nirvana, Soundgarden und Pearl Jam, Sehnsuchtsort aller mit sich und der Welt ringenden Indie-Rocker*innen.Das Haus als Verhältnis„Das ist nicht mein Lieblingslied von denen“, sagt die Sängerin, „es ist eher dieses Gefühl oder Nicht-Gefühl, dass etwas nicht ist, oder nicht klappt. Da wo ich bin, da ist nicht Seattle – jedenfalls fühlt sich das oft so an.“ Katharina Kollmann sitzt vor dem Eingang der KulturMarktHalle, einer ehemaligen DDR-Kaufhalle im Mühlenkiez, dort, wo der Prenzlauer Berg langsam nach Weißensee übergeht. Angebote wie „Sozialberatung mit Tim“, „Stricken mit Edith“ oder der „Kaufhallen-Chor mit Kathi“ richten sich an Nachbarn und weniger an Prenzlberg-Hipster. Den Chor leitet Kollmann schon seit Jahren, zunächst wollte sie dort nur singen. Nun kümmert sie sich auch um das ganze Drumherum. Mit ihrem bunt gemusterten Pullover, aus dem der Kragen eines Holzfällerhemds ragt, kann man sich die Songschreiberin auch gut als Öko-Aktivistin vorstellen. Sie denkt schnell, lacht viel und mag es nicht, wenn Leute behaupten, Berlin sei nicht mehr das, was es mal war: „Es gab immer wieder unterschiedliche Phasen, aber ich mag Berlin irgendwie total gern.“ Hinter ihr erhebt sich ein breites Panorama aus Plattenbauten – in einem davon wohnt sie selbst.Haus, das dritte Album von Nichtseattle, das diese Woche bei Staatsakt erscheint, beschäftigt sich weniger mit Gebäuden und der Beschaffenheit ihrer Zimmer als mit den unterschiedlichen Gefühlswelten der Menschen, die darin leben. In Beluga (Eigentumswohnung) sehnt sich die Sängerin nach Nähe, muss aber stattdessen einem Quinoa und Bete mampfenden Ästheten und Freizeit-Yogi Fragen zum „Konzept Liebe“ beantworten. Wie beim Vorgänger Kommunistenlibido sind die detailliert und fein gearbeiteten Texte auch diesmal wieder stark autobiografisch, oder, wie es Kathi ausdrückt: „Es ist die Erlebniswelt, in der ich mich bewege, auch wenn ich hier und da dafür gesorgt habe, dass es etwas literarischer wird oder ein Bild besser passt.“ Und obwohl hinter jedem Songtitel passende Szenarien gelistet sind – von der Plattenbauwohnung Q59 über den Fahrgastunterstand bis zum Proberaum, ein Haus ist für Nichtseattle kein Ding, sondern ein Verhältnis. „Es geht nicht um den Ort, sondern um die Beziehungen zu den Menschen. In einer Stadt wie Berlin wird das durch zu viel Fluktuation und Gentrifizierung erschwert. Das Gefühl, nicht zu Hause zu sein und nicht anzukommen, hat viele unterschiedliche Gründe.“ Einer davon liegt in der Biografie der Künstlerin.Geboren wurde sie als Tochter eines enttäuschten Kommunisten in Berlin-Karlshorst, vier Jahre vor dem Ende der DDR. „Mein Vater glaubte, alle Menschen seien Egoisten. Also wollte er sich auch ein größeres Stück vom Kuchen holen. Daran ist er zerbrochen.“ Als Kathi 18 ist, stirbt ihre Mutter, später der Vater – genug Stoff für zahllose Therapiesitzungen. Aus Ratlosigkeit und Trauer studiert sie Germanistik und Philosophie bis zum Bachelor, verkriecht sich in Büchern: „Das war eine Zeit, in der es mir nicht so gut ging. Ich hatte Angst vorm Erwachsenwerden und dachte, diese Fächer kann ich unauffällig studieren. Aber nach dem Studium war klar: Ich will nicht bei einem Verlag arbeiten, eine akademische Laufbahn hat mich nicht interessiert. Ich wollte lieber Musik machen und eigene Texte schreiben statt über die Texte von anderen.“ Doch der Traum vom Anderssein hat einen hohen Preis.Nur wenige Künstler und Bands der Indie-Szene arbeiten profitabel. Gelegentlich subventionieren Eltern die Selbstfindung ihrer Kinder. Kollmann hatte weniger Glück, musste ihre Auftritte mit Jobs in der Gastronomie, „ein bisschen Hartz IV“ und musikalischer Früherziehung querfinanzieren. Zuletzt hat sie als Dozentin an einer Schule für Sozialarbeit gearbeitet und künftigen Erzieher*innen beigebracht, wie man in Kitas Musik mit Kindern macht: „Eigentlich war das schön, aber so etwas ist kein Nebenjob. Mit meiner Musik hat das nicht mehr zusammengepasst.“Kuchenkrümel im GesichtAuf dem 2019 selbstveröffentlichten Debüt Wendekid verknüpft Kathi Kollmann ihre eigene Geschichte mit den gesellschaftlichen Entwicklungen nach 1989: „Die Wende mag zu jeder Kindheit dieser Welt gehören, aber das Wendekid bildet sich ein, nun ganz besonders zur Wende verurteilt oder berufen zu sein, denn es wendet sich sein Herz unaufhörlich hin und her, bleibt nie stehen, sagt meistens felsenfest die Wahrheit und widerspricht sich sofort aufrichtig, bis es sich womöglich nirgendwohin mehr bewegen kann“, schreibt sie auf der Musikplattform Bandcamp. Das Thema Wiedervereinigung, mit all seinen unglücklichen Konnotationen, hatte sie bis dahin nicht größer interessiert: „Aber dann merkt man, dass einen einiges davon schon beschäftigt.“Das zweite Album Kommunistenlibido beschert Nichtseattle eine deutlich größere Aufmerksamkeit, die Kritiker*innen jubeln über die eigenwilligen Songs und verleihen Bestnoten. Wegen des Namens Nichtseattle wird Kathi Kollmann gerne mal einem neuen Jahrgang der sogenannten Hamburger Schule zugerechnet, für sie selbst spielte der Diskurs-Pop der Neunziger keine allzu große Rolle: „Da haben mich höchstens noch einzelne Songs berührt, von den Sternen oder so, eigentlich war es wirklich allein Tocotronic. Als ich deren frühe Alben in meinen Zwanzigern entdeckte, damals, als ich innerlich so doll gekämpft habe, da war das für mich ein großer Trost. Gerade die Texte haben mich in diesen einsamen Phasen lange begleitet.“ Die Bewunderung beruht auf Gegenseitigkeit: Tocotronic nahmen Nichtseattle mit auf Tour, im Video zu Krümel noch da (Tagescafé) schaut sie Dirk von Lowtzow beim Kuchenessen zu: „Ein Kuchenkrümel in deinem Gesicht. Ich wünschte, die Grenzen gäb’ es nicht, die Grenzen von einem Leben in Stein, die Grenzen von nicht naiv sein“, singt sie da.Illusorische GlücksidealeMit Haus hat sich Nichtseattle einen Platz am Tisch der deutschen Singer-Songwriter*innen erobert, die gerne als Orakel für die sich ändernden Zeiten befragt werden. Denn das Scheitern, das sie in ihren Liedern erzählerisch beschreibt, ist universell. Etwa, wenn sich im feministischen Frau Sein (Werkstatt) die Aussagen von Frauen verschiedener Generationen bündeln, von „keinen Feiertagen“, „ewigen Dramen“ bis hin zum altbackenen Rat „Halte einen Mann, aber behalte deinen Stolz“. „Will ich nicht, ich will das nicht! Frau sein, Frau sein“, ruft die Sängerin verzweifelt im Refrain. Als älterer Pophörer denkt man bei Nichtseattle schon auch an Blumfeld und Zeilen wie „Anders als glücklich“ oder „Kommst du mit in den Alltag?“. Dem Soziologen Hartmut Rosa und seinem Standardwerk Resonanz verdanken wir außerdem die Einsicht, dass uns oft gerade die Musik berührt, die Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit oder Zerrissenheit zum Ausdruck bringt, weil wir sie als Resonanz auf unsere eigene Trauer, Melancholie oder Zerrissenheit erleben. Rosa schreibt: „Erst wenn wir von Musik nicht mehr berührt, bewegt oder ergriffen werden, erleben wir Entfremdung oder, im Steigerungsfalle, Depression, weil uns dann die Welt stumm wird, auch wenn sie noch so laut ist.“Dennoch steht man als deutschsprachige Sängerin und Songschreiberin immer mit einem Fuß in der Armutsfalle. Die Band, die sich Nichtseattle seit einiger Zeit leistet und die in den dezenten Arrangements gute Arbeit macht, ist bei Touren kaum finanzierbar: „Wenn ich live immer mit Band spielen würde, dann würde sich das nicht rechnen.“ Und da sind wir wieder am Anfang und der Erkenntnis: „Ich bin immer sooo fleißig. Und trotzdem: Irgendwie reicht’s nicht.“Es sind nicht nur Kreative, die auf allen Lebensebenen und in allen Lebensbereichen alles geben. Sich wirklich bemühen und trotzdem nie das Gefühl haben, es ist gut so. Ich habe mein Ziel erreicht. Nun kann ich mich ausruhen. „Ich glaube, das hat viel mit einem Glücksideal zu tun, das eigentlich eine Illusion ist“, sagt Kollmann. „Eine neoliberale Erzählung, die auch dazu genutzt wird, um dieses ganze System zu befeuern. Aber ich glaube, es geht nicht um Glück. Es gibt Momente der Freude, aber eben auch andere. Ein sensibler Mensch, der seine Gefühle spürt, wird in dieser Welt nicht immer glücklich sein.“ In der Popkultur ist die Suche nach dem Glück längst ein Leitmotiv: Wer oder was möchtest du heute sein? Welche Modemarke spiegelt am besten deine komplexe Persönlichkeit? Auch in den Altbau- und Eigentumswohnungen mühen sie sich ab, sind ständig auf der Suche nach einem noch besseren Leben im falschen. „Ich will was Größeres als korrekt einkaufen!“, singt Kathi Kollmann in Attribute (Fahrgastunterstand) und träumt von einer gesellschaftlichen Utopie. Wie die aussehen könnte, zeigt das selbstgedrehte Video zu Fleißig (Schloss), in dem Frauen unterschiedlichen Alters gemeinsam ein Haus renovieren. Ein Idyll, das mit der Enttäuschung im Text wenig zu tun hat: „Das Video endet damit, dass wir aufhören zu arbeiten und nur noch dasitzen und lachen. Obwohl es noch total chaotisch aussieht. Die Utopie wird in solchen Momenten des Zusammenseins erfüllt, und nicht unbedingt mit dem Haus.“Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1
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