Warum wir einen Blue New Deal brauchen

Ozeane Die Bedeutung der Meere für das Klima und das Überleben der Menschheit wird gefährlich unterschätzt. Unsere Serie „Blue New Deal“ soll das ändern
Ausgabe 38/2023
Die Meere könnten unsere Beschützer werden – wenn wir einen neuen Umgang mit ihnen finden
Die Meere könnten unsere Beschützer werden – wenn wir einen neuen Umgang mit ihnen finden

Es gibt mehr Meer auf der Erde als Land. 71 Prozent der Erdoberfläche, 362 Millionen Quadratkilometer, 1,35 Milliarden Kubikkilometer Wasser. Trotzdem dient das Meer den meisten Menschen nur als Hintergrundkulisse romantischer Urlaubserinnerungen: Salz in den Haaren, Sand zwischen den Zehen, der Geruch von Sonnencreme auf der Haut. Doch das Meer ist kein Postkartenidyll. Es entscheidet über unser Überleben.

Zu diesem Projekt

Die Serie „Blue New Deal“ ist ein Projekt von drei freien ReporterInnen – Svenja Beller, Julia Lauter und Martin Theis – und einem Fotografen, Fabian Weiss. Im Freitag werden sie in den nächsten zwölf Monaten nach Lösungen suchen, die sowohl die Ozeane schützen als auch deren Potenzial nutzen, die Erderwärmung zu stoppen. Alle Artikel zur Serie finden Sie unter freitag.de/blue-new-deal

Das Projekt wird vom European Journalism Center (EJC) über den Solutions Journalism Accelerator finanziert. Dieser Fonds wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt. Weitere Informationen zur Finanzierung finden Sie hier. Alle Reisen werden kompensiert.

Die harten Fakten sind bekannt: Die Gletscher schmelzen. Die Meeresspiegel steigen immer weiter an. Die Ozeane werden immer saurer, sensible Ökosysteme sterben ab und die Nahrungskette droht zusammenzubrechen. Das Mittelmeer war im Juli mit durchschnittlich 28,7 Grad so warm wie nie zuvor; die Seegraswälder in der Ostsee sind zu sauerstoffarmen Wüsten geworden; die Korallenriffe in den tropischen Meeren erbleichen und sterben. Und die atlantische Umwälzzirkulation, die für den Austausch warmer und kalter Wassermassen im Atlantik sorgt und das Klima an Land maßgeblich bestimmt, könnte schon in den nächsten Jahren zusammenbrechen.

Die Ozeane werden in den kommenden Jahrzehnten entweder zur größten Bedrohung für die Menschheit – oder wir machen sie bei unserem Versuch, die Erderwärmung zu stoppen, zu unserem mächtigsten Verbündeten. Der Moment, das zu entscheiden, ist jetzt. Schon heute leisten die Weltmeere Enormes zur Regulierung des Klimas der Erde: Sie absorbieren ein Viertel des von der Menschheit ausgestoßenen CO2 und 93 Prozent der globalen Erwärmung.

75 Prozent der Ozeane sind unbeschriebene Untiefen

Trotzdem ist die Bedeutung der Weltmeere für das gesamte Erdsystem – und für das Überleben der Menschheit – ein blinder Fleck in unserem kollektiven Bewusstsein. „Wir haben bessere Karten von der Oberfläche des Mars und des Mondes als vom Grund des Ozeans“, sagte NASA-Ozeanograf Gene Feldman schon vor fast zwanzig Jahren. Daran hat sich kaum etwas geändert: Immer noch sind mehr als 75 Prozent der Ozeane unbeschriebene Untiefen. Zwar soll ein Drittel der Hochsee in Zukunft wenigstens vor Überfischung und Verschmutzung geschützt werden, doch um die Ökosysteme an den Küsten sieht es, wie bereits erwähnt, vielerorts düster aus. Der Meeresgrund ist trotz jahrelanger Verhandlungen weiterhin ungeschützt. Er könnte bald schon von Bergbauunternehmen auf der Jagd nach Rohstoffen umgegraben werden.

Dabei ist das Klimaschutzpotenzial intakter Ozeane unbezahlbar: Ein Bericht des World Resources Forum kam zu dem Schluss, dass die Umsetzung von meeresbasierten Lösungen die globalen Treibhausgasemissionen im Jahr 2050 um mehr als elf Milliarden Tonnen reduzieren könnte – das entspräche den jährlichen Emissionen aller Kohlekraftwerke der Welt.

Dafür müsste viel getan werden: der Schiffsverkehr dekarbonisiert, der Ausbau von Off-Shore-Windenergie beschleunigt, die Wellenenergie der Meere endlich nutzbar gemacht werden. Was fehlt, ist der Wille. Bis 2030 müssen wir die globalen Emissionen halbiert haben, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Wir sind jetzt schon bei 1,2 Grad Erderwärmung angelangt. Was uns zurückhält, ist die trügerische Hoffnung, dass auch ohne unser Zutun alles doch noch gut wird. Warum fällt es uns so schwer, uns davon zu verabschieden?

Küstenbewohner im Süden sind von der Klimakrise am stärksten betroffen

Weil wir nicht alle gleichermaßen betroffen sind: Die meisten der mehr als 680 Millionen Menschen, die in niedrig gelegenen Küstengebieten wohnen, leben im globalen Süden. Sie haben ein 15-mal höheres Risiko, durch Überschwemmungen und Stürme getötet zu werden, als wir in Deutschland.

Wer das Meer nur aus dem Urlaub kennt, kann steigende Pegel leichter ignorieren. Die Küstenbewohner*innen im globalen Süden dagegen stehen unter besonderem Druck. Sie sind es auch, die schon heute an Lösungen arbeiten, um das Zusammenleben mit den Ozeanen zu verbessern.

Für unsere Serie „Blue New Deal“ besuchen wir jene Menschen, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind. Wir treffen Mangrovenförster in Kenia, Fischer in Honduras, Gewerkschafterinnen in Bangladesch. Und wir sprechen mit Forscher*innen aus aller Welt. Sie alle arbeiten schon daran, die Ozeane zu retten und einen neuen Umgang mit ihnen zu finden – zu ihrem Schutz, und zu unserem.

Weitere Informationen zur Blue New Deal-Serie finden Sie auf unserer Projektseite

Julia Lauter studierte Philosophie und Politikwissenschaften in Tübingen. Sie arbeitete während ihres Studiums unter anderem für die Heinrich-Böll-Stiftung, für das Goethe-Institut Mumbai und im Bundestag. Nach ihrem Volontariat beim Greenpeace Magazin arbeitet sie seit 2017 als freie Journalistin und Autorin mit einem Schwerpunkt auf Wissenschaftsreports und Longreads. Ihre Texte wurden mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt und arbeitet in Hamburg und im Piemont.

Jetzt schnell sein!

der Freitag digital im Probeabo - für kurze Zeit nur € 2 für 2 Monate!

Geschrieben von

Julia Lauter

Freie Autorin

Julia Lauter studierte Philosophie und Politikwissenschaften in Tübingen. Sie arbeitete während ihres Studiums u.a. für die Heinrich-Böll-Stiftung, für das Goethe-Institut Mumbai und im Bundestag. Nach ihrem Volontariat beim Greenpeace Magazin arbeitet sie seit 2017 als freie Journalistin und Autorin mit einem Schwerpunkt auf Wissenschaftsreports und Longreads. Ihre Texte wurden mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt und arbeitet in Hamburg und im Piemont.

Julia Lauter

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden