Scheinheilige Regenbogenfahnen

Grundgesetzänderung Im Bundestag wurde über ein Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität diskutiert. Union und SPD verweigerten die Zustimmung. Warum?

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Vergangene Woche begingen viele Menschen den Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (kurz: IDAHOBIT) mit Kundgebungen, wie hier in Potsdam
Vergangene Woche begingen viele Menschen den Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (kurz: IDAHOBIT) mit Kundgebungen, wie hier in Potsdam

Foto: Martin Müller/Imago Images

Die vergangene Woche begann am 17. Mai mit dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (kurz: IDAHOBIT) und endete am 23. Mai mit dem Geburtstag des Grundgesetzes. Daher ging es zwischen diesen Tagen nicht aus Zufall auch im Bundestag um sexuelle und Geschlechtsidentitäten. Am Mittwoch wurde unter anderem über die Abschaffung des Transsexuellengesetzes und die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetz debattiert, am Freitag dann über einen gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke zur Ergänzung des Artikels 3, Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) um das Merkmal „sexuelle Identität“. Nach viel Hoffnung und gescheiterten Abstimmungen bleiben Enttäuschung und Wut bei Betroffenen, Aktivist:innen und der Opposition – trotz des Wissens darum, dass die Fraktionen der Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD mit der AfD sowohl alle Gesetzentwürfe zur Stärkung der Rechte für trans- und intergeschlechtliche Personen, als auch die Grundgesetzänderung ablehnen würden. So kam es dann auch.

Art. 3 Abs. 3 GG sollte laut Entwurf um drei Worte oder 24 Buchstaben und ein Komma ergänzt werden: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner sexuellen Identität, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Sexuelle Identität wird im Entwurf als „ein andauerndes Muster emotionaler, romantischer oder sexueller Anziehung zu Personen eines bestimmten oder verschiedener Geschlechter und Teil der Identität eines Menschen“ verstanden (S. 5).

Gegner:innen der Grundgesetzänderung sprechen gerne von der reinen „Symbolfunktion“, die diese Forderung habe, denn „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ (Art. 3 Abs. 1 GG) und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts würde den Anforderungen bereits entsprechen. Aber Rechtsprechung unterliegt Wandel und dieser ist auch von gesellschaftlichen Stimmungen abhängig. Abgesehen davon, dass Betroffene auch heutzutage rechtlicher und sozialer Diskriminierung unterliegen, müsse daher, wie es im Gesetzentwurf heißt, die Rechtsprechung „gegen rückläufige Tendenzen“ abgesichert werden.

Besserer Schutz ist notwendig – findet auch die CUD

Als der Parlamentarische Rat 1949 spezifische Diskriminierungsverbote ins Grundgesetz aufnahm, um Personengruppen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, rechtlichen Schutz zu gewähren, wurden das Merkmal Behinderung und das Merkmal sexuelle Identität nicht einbezogen. Das hatte Folgen: So bestätigte das Bundesverfassungsgericht z. B. 1957 die Verfassungsmäßigkeit des § 175 StGB aus dem Jahr 1872, der einvernehmliche homosexuelle Handlungen von Männern unter Strafe stellte. Dieser Paragraph wurde erst 1994 aufgehoben. Ein Gesetz mit entsprechenden Inhalten wäre aktuell mit einfacher Mehrheit wieder beschließbar. Ebenfalls 1994 wurde das Merkmal der Behinderung im Artikel 3 ergänzt, wohingegen die sexuelle Identität (wie 2021) keine Zweidrittelmehrheit im Bundestag fand.

2011, als die FDP noch mit der Union regierte, lehnte sie alle Art. 3 GG betreffenden Gesetzentwürfe der damals von der SPD geführten Opposition ab, 2019 initiierte sie den aktuellen Gesetzentwurf mit, der an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen wurde. Am 12. Februar 2020 waren die Worte der geladenen Sachverständigen im Ausschuss deutlich: Ein besserer Schutz von sexuellen Minderheiten in Form einer Anpassung des Artikels 3 sei notwendig. Nun – eineinhalb Jahre nach der ersten Debatte im November 2019 – wurde diese am Freitag mit denselben Redner:innen und quasi denselben Argumenten wiederholt.

Als sei das Thema ganz neu auf der Agenda, erklärte Volker Ullrich (CSU), man müsse das Vorhaben „intensiv diskutieren“. Jan-Marco Luczak (CDU) betonte analog zum queerpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Karl-Heinz Brunner, man müsse erst einmal weiter nach Mehrheiten suchen. Beide seien zwar für die Grundgesetzänderung, könnten jetzt aber nicht zustimmen. Man müsse warten, beraten und überzeugen, aber die Opposition wolle nur mit „populistischen“ Anträgen Schlagzeilen machen, obwohl sie wüsste, dass es aktuell keine Zweidrittelmehrheit geben würde. Es gehe der Opposition darum, „einen Keil“ in die Regierungskoalition zu treiben. Besonders Brunners wütende Rede erscheint merkwürdig: Das Vorhaben sei richtig, die Abstimmung diene aber „der Sache nicht“. Das erwartete Abstimmungsergebnis essenzialisiert er, als könnten er und seine Fraktion nichts dafür, dass sie mit Nein stimmen.

Jens Brandenburg, queerpolitischer Sprecher der FDP, verwies hingegen auf die Scheinheiligkeit der Koalitionsfraktionen: „Wer am Montag die Regenbogenflagge hisst, darf am Mittwoch nicht der Community in den Rücken fallen“, als jegliche Beratung im Ausschuss blockiert worden sei. Auf die Scheinheiligkeit seiner Fraktion, die am Mittwoch dem Gesetzentwurf der Grünen zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes nicht zustimmte, ging er nicht ein. Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) stützte Brandenburgs Vorwürfe, Doris Achelwilm (Die Linke) verwies auf die Diskriminierungs- und Verfolgungsgeschichte.

Die Regierungsfraktionen verweigern also aus Prinzip die Zustimmung zu einem Vorhaben, das angeblich viele von den eigenen Abgeordneten richtig fänden. Nach eineinhalb Jahren beklagen sich SPD und Union über zu wenig Beratungszeit – als komme das alles plötzlich und unerwartet. Die Scheinheiligkeit, besonders der SPD ist grotesk. Sie ist sauer auf die anderen, weil sie sich selbst nicht traut, zuzustimmen. Weil sie selbst kein Zeichen setzen, keinen Druck auf ihren Regierungspartner ausüben will. Somit verbietet zwar das europäische Recht in Art. 21 Abs. 1 der EU-Grundrechtecharta sowie Art. 10 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung und auch mehrere Landesverfassungen enthalten ein Diskriminierungsverbot wegen der sexuellen Identität. Das Grundgesetz aber hängt weiter zurück. Das Thema aber sollte und wird weiter bleiben. Und das entlarvende Verhalten von SPD und CDU sollten wir nicht vergessen, wenn diese mal wieder eine Regenbogenfahne vor ihren Parteizentralen hissen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

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