Die vergangene Woche begann am 17. Mai mit dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (kurz: IDAHOBIT) und endete am 23. Mai mit dem Geburtstag des Grundgesetzes. Daher ging es zwischen diesen Tagen nicht aus Zufall auch im Bundestag um sexuelle und Geschlechtsidentitäten. Am Mittwoch wurde unter anderem über die Abschaffung des Transsexuellengesetzes und die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetz debattiert, am Freitag dann über einen gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke zur Ergänzung des Artikels 3, Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) um das Merkmal „sexuelle Identität“. Nach viel Hoffnung und gescheiterten Abstimmungen bleiben Enttäuschung und Wut bei Betroffenen, Aktivist:innen und der Opposition – trotz des Wissens darum, dass die Fraktionen der Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD mit der AfD sowohl alle Gesetzentwürfe zur Stärkung der Rechte für trans- und intergeschlechtliche Personen, als auch die Grundgesetzänderung ablehnen würden. So kam es dann auch.
Art. 3 Abs. 3 GG sollte laut Entwurf um drei Worte oder 24 Buchstaben und ein Komma ergänzt werden: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner sexuellen Identität, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Sexuelle Identität wird im Entwurf als „ein andauerndes Muster emotionaler, romantischer oder sexueller Anziehung zu Personen eines bestimmten oder verschiedener Geschlechter und Teil der Identität eines Menschen“ verstanden (S. 5).
Gegner:innen der Grundgesetzänderung sprechen gerne von der reinen „Symbolfunktion“, die diese Forderung habe, denn „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ (Art. 3 Abs. 1 GG) und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts würde den Anforderungen bereits entsprechen. Aber Rechtsprechung unterliegt Wandel und dieser ist auch von gesellschaftlichen Stimmungen abhängig. Abgesehen davon, dass Betroffene auch heutzutage rechtlicher und sozialer Diskriminierung unterliegen, müsse daher, wie es im Gesetzentwurf heißt, die Rechtsprechung „gegen rückläufige Tendenzen“ abgesichert werden.
Besserer Schutz ist notwendig – findet auch die CUD
Als der Parlamentarische Rat 1949 spezifische Diskriminierungsverbote ins Grundgesetz aufnahm, um Personengruppen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, rechtlichen Schutz zu gewähren, wurden das Merkmal Behinderung und das Merkmal sexuelle Identität nicht einbezogen. Das hatte Folgen: So bestätigte das Bundesverfassungsgericht z. B. 1957 die Verfassungsmäßigkeit des § 175 StGB aus dem Jahr 1872, der einvernehmliche homosexuelle Handlungen von Männern unter Strafe stellte. Dieser Paragraph wurde erst 1994 aufgehoben. Ein Gesetz mit entsprechenden Inhalten wäre aktuell mit einfacher Mehrheit wieder beschließbar. Ebenfalls 1994 wurde das Merkmal der Behinderung im Artikel 3 ergänzt, wohingegen die sexuelle Identität (wie 2021) keine Zweidrittelmehrheit im Bundestag fand.
2011, als die FDP noch mit der Union regierte, lehnte sie alle Art. 3 GG betreffenden Gesetzentwürfe der damals von der SPD geführten Opposition ab, 2019 initiierte sie den aktuellen Gesetzentwurf mit, der an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen wurde. Am 12. Februar 2020 waren die Worte der geladenen Sachverständigen im Ausschuss deutlich: Ein besserer Schutz von sexuellen Minderheiten in Form einer Anpassung des Artikels 3 sei notwendig. Nun – eineinhalb Jahre nach der ersten Debatte im November 2019 – wurde diese am Freitag mit denselben Redner:innen und quasi denselben Argumenten wiederholt.
Als sei das Thema ganz neu auf der Agenda, erklärte Volker Ullrich (CSU), man müsse das Vorhaben „intensiv diskutieren“. Jan-Marco Luczak (CDU) betonte analog zum queerpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Karl-Heinz Brunner, man müsse erst einmal weiter nach Mehrheiten suchen. Beide seien zwar für die Grundgesetzänderung, könnten jetzt aber nicht zustimmen. Man müsse warten, beraten und überzeugen, aber die Opposition wolle nur mit „populistischen“ Anträgen Schlagzeilen machen, obwohl sie wüsste, dass es aktuell keine Zweidrittelmehrheit geben würde. Es gehe der Opposition darum, „einen Keil“ in die Regierungskoalition zu treiben. Besonders Brunners wütende Rede erscheint merkwürdig: Das Vorhaben sei richtig, die Abstimmung diene aber „der Sache nicht“. Das erwartete Abstimmungsergebnis essenzialisiert er, als könnten er und seine Fraktion nichts dafür, dass sie mit Nein stimmen.
Jens Brandenburg, queerpolitischer Sprecher der FDP, verwies hingegen auf die Scheinheiligkeit der Koalitionsfraktionen: „Wer am Montag die Regenbogenflagge hisst, darf am Mittwoch nicht der Community in den Rücken fallen“, als jegliche Beratung im Ausschuss blockiert worden sei. Auf die Scheinheiligkeit seiner Fraktion, die am Mittwoch dem Gesetzentwurf der Grünen zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes nicht zustimmte, ging er nicht ein. Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) stützte Brandenburgs Vorwürfe, Doris Achelwilm (Die Linke) verwies auf die Diskriminierungs- und Verfolgungsgeschichte.
Die Regierungsfraktionen verweigern also aus Prinzip die Zustimmung zu einem Vorhaben, das angeblich viele von den eigenen Abgeordneten richtig fänden. Nach eineinhalb Jahren beklagen sich SPD und Union über zu wenig Beratungszeit – als komme das alles plötzlich und unerwartet. Die Scheinheiligkeit, besonders der SPD ist grotesk. Sie ist sauer auf die anderen, weil sie sich selbst nicht traut, zuzustimmen. Weil sie selbst kein Zeichen setzen, keinen Druck auf ihren Regierungspartner ausüben will. Somit verbietet zwar das europäische Recht in Art. 21 Abs. 1 der EU-Grundrechtecharta sowie Art. 10 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung und auch mehrere Landesverfassungen enthalten ein Diskriminierungsverbot wegen der sexuellen Identität. Das Grundgesetz aber hängt weiter zurück. Das Thema aber sollte und wird weiter bleiben. Und das entlarvende Verhalten von SPD und CDU sollten wir nicht vergessen, wenn diese mal wieder eine Regenbogenfahne vor ihren Parteizentralen hissen.
Kommentare 3
Wenn die Koalition keinen speziellen LGBT-Artikel im Grundgesetz möchte, sollte sie auch den speziellen Artikel für Kinderrechte zurücknehmen - dort scheint mir die selbe Logik zuzutreffen.
Und wenn die LGBT-Verbände dazu auffordern, sollten Union und/oder SPD sicherlich auch keine Regenbogenfahnen hissen. Aber ich sehe in ihrer Entscheidung nichts grundsätzlich Illegitimes.
Union und SPD verweigerten die Zustimmung. Warum?
Sehr einfach. Die Politik der hiesigen Bundesregierung (CDU/CSU und SPD) basiert sehr oft auf Diskriminierung oder Legitimierung der Diskriminierung bestimmter Menschen. So auch ein neues Vorhaben, eine Reform, die für weitere Risse in der Gesellschaft sowie mehr Neid sorgen könnte.
Die Bundesregierung hat sich auf eine Pflegereform verständigt, die am kommenden Mittwoch vom Kabinett gebilligt werden könnte. Finanziert werden soll das Vorhaben ab 2022 u.a. durch eine Anhebung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung für Kinderlose um 0,1 Punkte auf 3,4 Prozent des Bruttolohns…
Es ist nicht nur eine diskriminierung von kinderlosen Menschen oder Familien. Es gibt gravierende Unterschiede in Bezug auf Kinderlosigkeit in Deutschland, ausgehend von:
- Ost vs. West,
- Bildung,
- Regenbogenfamilie oder heterosexuelle,
- Alter,
- Migrationshintergrund...
https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61553/kinderlosigkeit-und-kinderzahl
Auch in diesem Zusammenhang bzw. bei diesem Thema oder der Nicht-Abstimmung lt. Artikel ist es schon wie eine Belästigung für die Ohren, zu hören, dass Herr Steinmeier seine Amtszeit verlängert haben will. Begründet hat er es damit, dass er nach der Pandemie Deutschland mit aufbauen, Risse in der Gesellschaft flicken und den Zusammenhalt wieder aufbauen etz. will…
Dabei hat gerade die SCHEINSOZIALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS für die größten Risse in der Gesellschaft gesorgt! Hier kann man u.a. die Agenda 2010 erwähnen.
Verfassungswidriges diskriminierendes Vorgehen der Behörden der Bundesregierung gegen Menschen mit Migrationshintergrund in Bezug auf sexuelle Orientierung
Das Innenministerium und das Auswärtige Amt haben in einem gemeinsamen Schreiben an den Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Fehler bei der Behandlung von queeren Asylbewerber*innen zugegeben.Zuvor hatte der LSVD Mitte März öffentlich kritisiert, dass das Auswärtige Amt auf Bitten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in mehreren Fällen die sexuelle Orientierung der Antragsteller*innen offenbart hatte. Die Überprüfungen von Fluchtgründen seien dabei durch Anwält*innen deutscher Botschaften und Konsulate in den jeweiligen Herkunftsländern der Asylsuchenden durchgeführt worden.In Pakistan etwa habe ein Anwalt mit dem Vater eines Betroffenen über alle Informationen gesprochen, die sein Sohn im deutschen Asylverfahren angegeben hatte: Ob es in der Region eine „homosexuelle Szene“ gebe, habe er gefragt und auch, ob der Asylbewerber bisexuell sei. Die Familie soll daraufhin den Kontakt zu dem Asylsuchenden abgebrochen haben.Verfassungswidrigkeit von Zwangsoutings
Auf die Verfassungswidrigkeit der Zwangsoutings haben zudem auch die queerpolitischen Sprecher*innen der grünen Bundestagsfraktion, Sven Lehmann und Ulle Schauws, hingewiesen. Sie forderten vom Auswärtigen Amt, die Praxis zu beenden. „Menschen, die in Deutschland Schutz vor Tod und Verfolgung suchen, dürfen durch deutsche Behörden nicht weiter gefährdet werden“, so Schauws und Lehmann.
Die Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke kritisierte unterdessen, dass Asylanträge von verfolgten LSBTIQ noch immer mit der Begründung abgelehnt würden, die Betroffenen könnten ihre Sexualität ja geheim halten. „Dabei haben sowohl der Europäische Gerichtshof als auch das Bundesverfassungsgericht das sogenannte Diskretionsgebot klar und unmissverständlich verworfen“, so Jelpke.
Anfang Mai hatte der LSVD zudem vor einem geplanten Gesetz gewarnt, nach dem Daten zur sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität im Ausländerzentralregister gesammelt werden sollen.
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/bei-der-ueberpruefung-von-fluchtgruenden-asylsuchende-mussten-sich-outen-ministerien-geben-fehler-zu/27236750.html
Auch hier sehen wir, dass nur die Parteien die Linke und die Grünen gegen Diskriminierungen vorgehen bzw. die Gleichbehandlung wirklich leben.