Cyberspionage: Von Glashäusern umzingelt

NSA global Snowdens Flucht nach Hong Kong wäre eine Chance für Beijings "public diplomacy" - wenn es keine anderen politischen Ziele gäbe

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Unterstützer von Edward Snowden in Hong Kong am 15.06.2013
Unterstützer von Edward Snowden in Hong Kong am 15.06.2013

Foto: Jessica Hromas/ AFP/ Getty Images

Snowdens Enthüllungen seien ja gar keine, argumentierten in den letzten Tagen amerikanische Kolumnisten, Blogger und Kommentierer. Tatsächlich werde die Geschichte aufgebauscht und in irreführender Weise dargestellt. Offenbar nur rund die Hälfte der vom 7. bis 9. Juni Befragten einer Umfrage des Washington Pew Research Centers verfolgten die Berichterstattung überhaupt sehr aufmerksam oder ziemlich aufmerksam, und Anzeichen eines Umdenkens nach Snowdens Leaks schlugen sich darin auch ncht nieder.

Jeffrey Toobin, Autor und Jurist, fällte schon einmal ein Urteil: Edward Snowden sei ein bombastischer Narzisst, der es verdiene, im Gefängnis zu sein.

Diese Diskussionen spielen sich im Mainstream ab - Kolumnisten, die vielfach als "liberal" gelten, versuchen, die NSA-Story zu relativieren oder zu diskreditieren.

Al Franken, Demokrat und Senator für Minnesota, sah sich korrekt von der Exekutive informiert und verteidigte in einem Interview am 10. Juni die praktizierte Geheimhaltung: es gebe Dinge, bei denen es angebracht sei, dass er bestimmte Dinge wisse, die die bad guys nicht wissen sollten. Das amerikanische Volk könne nicht alles wissen, weil alles, was es wisse, auch den bad guys bekannt würde. Aber sicherlich habe man noch nicht so ganz die richtige Balance zwischen Sicherheit und Transparenz gefunden.

Es ergibt sich ein überparteiliches Bündnis: sowohl der Sprecher des Repräsentantenhauses John Boehner, ein Republikaner, als auch die demokratische kalifornische Senatorin Dianne Feinstein nannten Snowden einen Verräter, oder bezeichneten sein Vorgehen als Verrat.

Tatsache ist, dass die NSA-Praktiken jetzt öffentlich diskutiert werden. Und Brad Sherman, Feinsteins demokratischer Parteifreund im Repräsentantenhaus, war nach eigenem Bekunden vom Umfang der Überwachungsmaßnahmen überrascht.

Ob sich daraus eine Veränderung im amerikanischen Meinungsbild - in Umfragen wie des Pew Research Centers - ergibt, ist eine andere Frage. Dass Snowden sich in einem Interview mit der Hong Konger "South China Morning Post" (SCMP) amerikanischen Cyberspionage-Aktivitäten in Hong Kong und im chinesischen Festland zuwandte, wird auch kein Abgeordneter oder Senator der Demokratischen Partei öffentlich belobigen.

Mit welchem Plan Snowden nach Hong Kong reiste, wird mindestens einstweilen wohl unbekannt bleiben. Allerdings hat er sich mit seinem SCMP-Interview möglicherweise ein schwer bestimmbares Maß an Schutz aus Beijing vor einer Auslieferung gesichert. Denn in China, so Evan Osnos im "New Yorker", habe Snowden jetzt Fans. Allerdings habe er sich aus der Höhle des Tigers (Amerika) in das Lager des Wolfs (China) begeben, zitierte Osnos zuvor, am 10. Juni, den Hong Konger Blogger Wen Yunchao.

Das war vor der Veröffentlichung der Snowdenschen Äußerungen zu amerikanischer Cyberspionage. Und wie für die amerikanische Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der NSA-Überwachung, ergibt sich im Zusammenhang mit der mutmaßlichen U.S.-Spionage jetzt auch in China und in der Weltöffentlichkeit ein neues Bild.

Wenn die Aussage, Snowdens Ausführungen hinsichtlich der Überwachung von Amerikanern durch die NSA seien keine Neuigkeit, so gilt erst recht hier, dass es nicht ernsthaft überraschen kann, wenn es chinesische Hacker-Angriffe auf amerikanische Netzwerke gibt. Es kann auch nicht ernsthaft überraschen, wenn es amerikanische Hacker-Angriffe auf China gibt. Spionage gegen "Rotchina" gibt es, seit die Volksrepublik existiert. Sie verschob sich nach 1949 lediglich nach Hong Kong und Taiwan. Es wäre seltsam, wenn nicht auch die dunkleren Seiten des Internets ausgiebig von allen Seiten genutzt würden.

Die Wandlung in der öffentlichen Wahrnehmung liegt vermutlich darin, dass die chinesischen Beteuerungen, auch ihre Seite sei Ziel von Cyberattacken, nun eine Art Beglaubigung erfährt, die sie in der Weltöffentlichkeit ganz anders aussehen lässt. Noch während des amerikanisch-chinesischen Gipfels am vorigen Wochenende in Kalifornien hatte der chinesische Partei- und Staatschef, wie in den vorigen Jahren auch Angehörige der vorangegangenen chinesischen Führungsgeneration,auf eigene Besorgnisse hinsichtlich der "Cyber-Sicherheit" hingeweisen. Allgemeine Reaktion: Achselzucken.

Allerdings waren sowohl Obama als auch Xi zurückhaltend bei der Kritik des jeweiligen Gegenübers: Obama machte China laut einem Associated-Press/Daily-Mail-Bericht vom 8. Juni nicht für orchestrierte Hacking-Angriffe verantwortlich, und Xi äußerte bei der Äußerung seiner Cyber-Besorgnisse gar nicht erst konkrete Schuldzuweisungen.

Neben der "Volkszeitung" und der Nachrichtenagentur "Xinhua" ist die Nachrichtensendung Xinwen Lianbo ein Hauptkanal, auf dem man erfahren kann, welche Themen der chinesischen Parteiführung für die Öffentlichkeit vorsieht. Snowdens NSA-Leaks gehören dazu: am Donnerstag waren sie - möglicherweise nicht zum erstenmal - eine Hauptnachricht, auch wenn der eigentliche Beitrag zum Thema mit knapp zwei Minuten eher kurz ausfiel.

Eine andere Frage ist, wie Beijing mit Snowdens Aufenthalt in Hong Kong umgehen soll. Sofern Snowden nicht als außen- oder verteidigungspolitisches Thema definiert werden kann (hier wäre Beijing auch für Hong Konger Angelegenheiten zuständig), liegt die Entscheidung nicht bei Beijing, sondern in Hong Kong. Dort entscheiden die Gerichte.

Vielleicht stellt das für Beijing die bestmögliche Lösung dar. Denn einerseits will die Führung, deren Priorität die Entwicklung "moderaten Wohlstands" in China ist, eine "neue Form der Beziehung zwischen Großmächten", und möglichst wenig zusätzlichen Knatsch mit Amerika. Man liefe außerdem Gefahr, dass Snowden von chinesischen Dissidenten gefeiert würde, mit dem Ruf, dass man jetzt auch einen chinesischen Snowden brauche.

Aber gleichzeitig wäre ein beträchtlicher Teil der chinesischen Öffentlichkeit mindestens irritiert, vermutlich aber auch entsetzt und wütend, würde Beijing Snowden ostentativ zugunsten größerer politischer Ziele "opfern". Es spricht viel dafür, dass sich Snowdens Zukunft zunächst in Hong Kong entscheidet.

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