Wahlkampfveranstaltung der AfD in Brandenburg an der Havel, August 2019
Foto: Nils Stelte/Ostkreuz
Jemand weist mich darauf hin, dass das Wort „ausmerzen“ zum NS-Jargon gehört. Ich fühle mich ertappt. Wie viel Nazi steckt in mir? In der Schule hatten wir mindestens dreimal Nationalsozialismus, fuhren ins KZ Sachsenhausen und erfuhren von legalen Verbrechen und Schuld. Bei den „Falken“ lernte ich Gitarrespielen und dass nur linke Menschen gute Menschen sind. Später kamen natürlich Zweifel, aber immer noch singe ich den Degenhardt: wie die Felder wieder mit altem Mist gedüngt werden, von den Wölfen mit blutbefleckten Schnauzen, die Feuer legen – „Kinder spielt, vom Rauch dort wissen wir nichts!“ Denn sie kommen wieder, die Wölfe, kommen auf mehlweißen Pfoten mit samtigen Stimmen, kommen auch in Gestalt eines
ommen auf mehlweißen Pfoten mit samtigen Stimmen, kommen auch in Gestalt eines Maximilian Krah. Und ich dachte, ich wäre resilient.Aber stimmt das auch? Mein Herz ist so unpolitisch weich, dass es mitfühlt, wenn etwa AfD-Mann Tino Chrupalla bei einer Talkshow irgendwie traurig aussieht, neben denen von der richtigen Seite, die abfällig ihre Mundwinkel dehnen. Chrupalla wirkt, als wäre er auf dem Schulhof in eine Sache hineingeraten. Hat sich mit den Falschen eingelassen und kommt aus der Nummer jetzt nicht mehr raus, obwohl er doch am dringendsten, eigentlich, eine Umarmung bräuchte, keine Talkshow. Bin ich, linkssozialisiert, nicht verpflichtet, Gemobbten beizustehen? Doof gebor’n ist keiner, doof wird man gemacht! Und bin nicht auch ich spätestens seit Corona erschüttert von der latent antidemokratischen Selbstverzwergung, mit der eine lautstarke Haltungslinke jeden abweichenden Gedanken, Text oder Comedian reflexartig als „Schwurbeln“ oder „rechts“ in den Giftschrank sperrt?Wie rechtsoffen ist mein Mindset?Ich beschließe einen Selbstversuch und bestelle, mit mulmigen Gefühlen, „Politik von rechts. Ein Manifest“. Laaange liegt es unberührt auf meinem Schreibtisch, die Finger machen einen Bogen drum herum. Am meisten fürchte ich mich davor, hier oder da einverstanden zu sein mit dem AfD-Autor, dem Spitzenkandidaten für die Europawahlen.Sein Buch will etwas Besseres sein: Düsterschick prangt darauf in dezentem Blau eine Abbildung des Zisterzienserklosters Maulbronn – man denkt an Kultur, Tiefsinn, geschichtssatte Erkenntnisbereitschaft. Auch Krahs Outfit und Umgangsforen sind stilvoll. Er will „eine europäische Renaissance“, gern im Bündnis mit einer postmarxistischen Wagenknechtpartei; das rechte Denken, sei „nicht so kleinlich“, es herrsche darin „eine gewisse Lässigkeit in der Theorie bei einem Primat des Praktischen“. Eine vornehme Umschreibung für Denkfaulheit, mit der sich auch das Christentum – Krah ist Katholik – rechtsidentitär erneuern und für völkische Zwecke reaktivieren lässt: „rechte Politik braucht eine spirituelle Verankerung“.Laut Verlag handelt es sich um den „Entwurf für eine weltanschaulich fundierte Alternative zum dominierenden Linksliberalismus“. Auf 227 Seiten mit vielen Redundanzen steht schwarz auf weiß, was „Alternative für Deutschland“ bedeutet: Diese „Politik von rechts“ erstrebt eine Alternative für die Bundesrepublik; das Land soll zu einer Ethnokratie werden, einer Herrschaft des Völkischen. Es geht um die Zerstörung meiner demokratischen Heimat.„Schampus-Max“ biedert sich an beim „einfachen Mann“Mit Schlagworten schattenboxend wanzt sich der, den sie auch „Schampus-Max“ nennen, an seine Zielgruppe heran, die er offenbar für ziemlich verblödet hält: „Bier statt Cocktail“, „Filterkaffee statt Chai-Latte“, „Auto statt Fahrrad“, „Fleisch statt vegan“. Sein Kulturkampf bleibt konsequent an der Oberfläche, verzichtet auf Argumente, beschwört ein schlechthin gutes, ursprüngliches, ethnisches Kollektiv, dessen Substanz nicht hinterfragt, sondern absolut gesetzt wird: „die eigene Position nur noch intellektuell zu begründen“ hieße, es den Linken, den „Woken“ – dem „Feind“ – nachzumachen. „Rechte Politik“ hingegen sei „gerade nicht nur Ratio, sondern eben auch Fühlen, Spüren und Erfahrung: Thymos und Mythos“. Wo so geraunt wird, hat Vernunft keine Chance, das Publikum soll Oh! und Ah! staunen; Wagner! Heidegger!! Antike!!!Auf Quellenangaben großzügig verzichtend, zitiert Krah einen Herder zugeschriebenen Aphorismus: „Heimat ist, wo man sich nicht erklären muss“. Und hält sich dran, erklärt nur sich selbst zum großartigen Politiker, verwechselt Sentiment (gern auch als Ressentiment) mit Programmatik. Die argumentative Inkonsistenz garniert er mit rechtsintellektueller Deko à la Carl Schmitt oder gar, ungenannt, mit Rousseau. Sein Denkgebäude wirkt kulissig, aus Spanholz zusammengeklebt; beim kleinsten (selbst)kritischen Gedanken würde es bröckeln, dieses verwackelte Patchwork-Völkeln, in dem „Fühlen“ und „Spüren“ die Anstrengung des Gedankens ersetzen sollen. Nee, damit kriegt er mich nicht, auch wenn im Vorbehalt gegen den Rationalismus immer eine Versuchung steckt: denn er reicht ja nicht.Emotionales Angebot für OrientierungsloseFür diejenigen, die sich fremd im eigenen Land fühlen, die innerlich von der Demokratie desertieren, will Krah – und hier ähnelt sein Populismus tatsächlich dem von Sahra Wagenknecht – ein emotionales Angebot machen, für die Orientierungslosen, die sich mit hypermoralischen Ansprüchen überfordert fühlen, „für viele sozial Ausgeschlossene, für die vergessenen Männer und Frauen“ sei die AfD „die einzige Hoffnung“. Es gebe in der Moderne nur noch „ein permanentes Suchen und Wandeln“; übrig bleibe „ein entkernter und entwurzelter Mensch, dessen Selbstbild von den äußeren Umständen abhängig ist“. Und weil da zumindest gefühlsmäßig etwas dran ist, bin ich kurz geneigt anzudocken. Auch ich will nicht ständig unterwegs sein, nicht jede digitale oder sprachliche Volte mitmachen, nicht alles gut finden müssen, was man heute gut zu finden hat, um dazuzugehören. Aber das Propagieren eines re-homogenisierten Volkes mittels „Remigration“ der als volksfremd Imaginierten stößt mich sofort ab, macht es das Falsche doch nur noch falscher.Um diesen Angriff auf Menschenwürde und Rechtsstaat vernünftig abzuwehren, braucht es Gefühle, sonst bleibt die Demokratie ohne Anziehungskraft. Das Unbehagen am neoliberal zur unablässigen Selbstoptimierung verdammten Individuum, das sich immerzu „neu erfinden“ soll, unendlich viele Möglichkeiten hat und nirgendwo richtig daheim sein darf – es existiert. Denn Krah hat recht: Ein Mensch ist verbunden mit Familie, Vorfahren, Heimat. Nur weil das als „rechts“ gilt, kann er solches Empfinden für sein identitäres Bullerbü beanspruchen. Und schon auf Seite 33 sanft hinführen zum „Erbgut der Generationen“, zur „Gemeinschaft der Ähnlichen“. Behauptungen, die nicht mal Gefühle sind: Fast bin ich enttäuscht: Dr. Krah serviert kein eigenständiges Denken, nur eine piefige braun-„alternative Gegenkultur“, die sich „staatlicher Übergriffigkeit“ entzieht: Sommerlager für Kinder, Singe- und Theaterabende im Rahmen von aus 30, 40 Familien bestehenden „genossenschaftlichen Wohnprojekten in niedergehenden, alternden Dörfern und Kleinstädten“, „ein sauberes Leben“, kinderreich, „gesund“, in intakter Natur mit regionaler Selbstversorgung. „Sauber“ ist der Abwehrzauber gegen den „Schund und Schmutz der urbanen Wegwerfgesellschaft“. Naturschutz sei ein „Bekenntnis zu Ort und Werk der Vorfahren“, „Klimawahn“ derweil nur „ein besonders übler Dämon“, Religionsersatz für Dystopisten. Auch hier könnte es interessant werden, wenn es nicht so strunzdumm weiterginge: „echte Menschen“ könnten mit jedem Wetter umgehen, prahlt Krah, mit „Mut, Zuversicht und Hoffnung“.Heimat ist nichts „Rechtes“, und Völkeln kein PatriotismusEr ist sogar so dreist, sich ausgerechnet auf Kurt Tucholsky zu berufen: „Das Volk denkt zumeist falsch, aber es fühlt zumeist richtig.“ Doch Krah zitiert unsauber – und völlig gegenläufig zum Gemeinten. „Das Volk versteht das meiste falsch; aber es fühlt das meiste richtig“, schrieb Tucholsky 1931 alias Ignaz Wrobel in der Weltbühne, und fuhr fort: „Daß nun dieses richtige Grundgefühl heute von den Schreihälsen der Nazis mißbraucht wird, ist eine andre Sache.“Die mit Kreide geschmierten Schreihälse der „Neurechten“ missbrauchen die Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Wenn Linke diese Sehnsucht verdammen, überlassen sie neorechten Retroideologen das Feld. Heimatliebe muss auch Demokraten „erlaubt“ sein, und nicht peinlich. Denn Gefühle entziehen sich politischer Korrektheit, sind weder rechts noch „binär“ noch identitär. Erst wenn sie, wie es im linksgebildeten Milieu üblich geworden ist, klassistisch belächelt, verleugnet, geächtet werden, entsteht ein Vakuum, in das falscheinfache menschenfeindliche Parolen stoßen können, die sich kuschlig geben: „Niemand wird zurückgelassen“ – außer denen, die (sich) nicht (an)passen, die müssen den Gleichförmigen weichen. Damit es nämlich stilvoll ethno-ordentlich wird im schönen neuen Totalitarismus, sind im Inneren plurale Kulturförderung, Gewerkschaften und Sozialstaat abzuschaffen.Krahs „solidarischer Patriotismus“ erfordert die Ächtung von „unproduktiven Berufen“ wie in den „absurden Geisteswissenschaften“ – was amüsiert, sitzt der Jurist doch ganz unhandwerkerlich steueralimentiert im EU-Parlament. Dort wirkt er gegen „die globalistische Einheitsordnung des neuen Einheitsmenschen“, wettert gegen den universalen Anspruch von Menschenrechten, fordert ein „neues partikularistisches Völkerrecht“ und solidarisiert sich mit Autokratien. Kritik an Menschenrechtsverletzungen hält Krah für „unsympathische“, ja neokoloniale Übergriffigkeit. Die Menschenwürde ist ihm auch im Innern lästig, er will Zwangsarbeit für Arbeitslose, Abschaffung der Erbschaftssteuer und Ausweitung der sozialen Kontrolle zu einem Denunziantenstaat mit „repressive(r) Staatsgewalt“ und schweren Strafen für kleinste Vergehen zumindest gegenüber der „multikulturelle(n) Bevölkerung in den Ballungsräumen“.Eine braunblütige „Gemeinschaft der Ähnlichen“ zeugt InzestMan sieht: Krahs „,wildes Denken‘“ ist nicht wild, sondern borniert autoritär. Es verharrt in einem völkischen Denkrahmen von „Erfahrung, Intuition und Glaube“, unbeweglich bis zum Schießbefehl, der die „ethnische Kontinuität im Volk“ sichert. Da kann er noch so viel identitären Weihrauch schwenken, seine braunblütige „Gemeinschaft der Ähnlichen“ zeugt nur unfruchtbaren Inzest.„Rasch, holt die Sensen, sonst ist es zu spät“, rief Degenhardts alter Schäfer, er hörte Wölfe mitten im Mai, doch keiner hörte auf ihn. Sie sind da, Maximilian Krah heult mit ihnen. Es ist immer noch und schon wieder die alte Leier, und Auf-der Hut-sein immer noch kein alter Hut, sondern Bürgerpflicht. Im Kampf gegen die rechtsextreme Gefahr könnte helfen, dass die intellektuelle Unredlichkeit, die sein Manifest tränkt, einen nur mangelhaft gerüsteten Gegner offenbart. Wenn so dumpf das Erbe meiner Vorfahren aussieht, verzichte ich gern. Mein Deutschland hat Besseres verdient.Placeholder authorbio-1
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