Wenn ich Bürgermeisterin von Jüterbog wäre, oder: was schief läuft in Brandenburg

Expedition Die brandenburgische Stadt Jüterbog könnte attraktiv sein. Könnte. Ist sie aber nicht. Und Jüterbog könnte unattraktiv bleiben für Investoren, Touristen oder Zuzügler – wenn die AfD hier noch mehr als bisher den Ton angibt
Protest vor der Wiesenhalle in Jüterbog gegen den Landesparteitag der AfD (16.3.2024)
Protest vor der Wiesenhalle in Jüterbog gegen den Landesparteitag der AfD (16.3.2024)

Foto: Monika Skolimowska/picture alliance/dpa

Früher Spritztour mit dem Auto nach Paris für ein Croissant und Café, heute Fahrt ins Blaue ins südliche Brandenburg, nach Jüterbog, mit dem Deutschlandticket. Wenn ich aufzählen müsste, welche Initiativen der amtierenden Regierungskoalition wirklich zukunftsweisend waren, fällt mir einzig und allein das supertolle 49-Euro-Ticket ein.

Knapp 13.000 Einwohner zählt die Kleinstadt Jüterbog laut Wikipedia, Stand 2022. Die 13.000 Jüterboger haben sich indes heute am Sonntag gut versteckt, hängen wohl alle im Internet. Die Stadt ist – abgesehen vom stilecht verlotterten DB-Bahnhof – adrett hergerichtet und wirkt so adrett noch ausgestorbener, weil kein Mensch dazu ein fröhliches Gesicht macht. Ein paar versprengte Senioren sitzen in der 08/15-Bäckerei am Marktplatz. Glocken läuten.

Das zweite Café am Platz will hip sein, es gibt Frühstück à la carte, zusammengewürfeltes Mobiliar, es ist rappelvoll, alle Plätze reserviert. Irgendwie schauen die Gäste trotzdem miesepetrig, sind wir gemeint? Die Wirtin empfängt uns, als sei 1987: „Kann alles mindestens eineinhalb Stunden dauern!“ Ach nö, dann lieber in die 08/15-Bäckerei, wo alle nett sind. Da passen wir aber auch nicht ins Bild. Und ganz so als ahnte die ältere Frau, dass wir uns fragen, warum hier alles so ausgestorben ist, sinniert sie nun selbst in den Raum, warum alles dermaßen ausgestorben ist. „Selbst die Einkaufpassage an Wochentagen, total ausgestorben! Kaufen ja alle online!“

In Jüterbog wurde der neue AfD-Vize gewählt

Draußen in der Sonne beim Kaffee (und einem Croissant, das nach Paris schmeckt) hat man einen Blick auf das hübsche Rathaus, es ist das älteste Brandenburgs. In Jüterbog, werde ich später in der Berliner Zeitung lesen, wurde am Sonnabend beim AfD-Landesparteitag der neue Vize-Landeschef gewählt, der 44 Jahre alte René Springer, von 2004 bis 2009 war er noch Mitglied der SPD, tja. Rund 100 Demonstranten sollen sich unter dem Motto „Kein Bock auf Nazis in Jüterbog!“ am Sonnabend vor der Halle versammelt haben. Immerhin. Aber ein Bollwerk der Bürgerschaft ist das nicht.

Jüterbog liegt im Landkreis Teltow-Fläming, ist Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft namens „Städte mit historischen Stadtkernen“, entnimmt man Wikipedia und vielleicht ist in dieser AG und mit EU-Hilfe damals auch die Jüterboger Website mit der weltoffen anmutenden Adress-Endung „.eu“ entstanden. Die Stadt habe einiges zu bieten, hatten wir hier gelesen, zum Beispiel „einzigartige Kunstschätze des Mittelalters“ in der Nikolaikirche – „dem Wahrzeichen der Stadt“ mit den lustigen ungleichen Türmen, da wollen wir unbedingt rauf. Es gibt außerdem die Liebfrauenkirche, eine „Luthereiche“, ein Klosterquartier, eine kultur- und militärhistorische Stadtroute. „Ob mit Stadtführung, Audioguide oder ganz auf eigene Faust“ verspricht die Website, es gibt Tolles zu entdecken.

Jüterbog hätte einiges zu bieten. Stimmt. Leider nur im Konjunktiv. Wir können zwar das berühmte Dammtor durchschreiten, ansonsten ist aber rein gar nichts von innen zu besichtigen, abgesehen vom Bäcker am Marktplatz. Mittags wollen wir daher schon wieder zurück, nur leider fährt jetzt zwei Stunden lang kein Zug. Einmal rauscht ein ICE durch, als wir an der Bushaltestelle stehen, wie ein ausgestreckter Mittelfinger. Immerhin, unser Bus fährt am Kloster Zinna vorbei nach Luckenwalde und von da geht ein Zug nach Berlin. Kaum ein Fahrgast zückt das Deutschlandticket.

Umstrittener Bürgermeister Arne Raue

Und jetzt so im Nachhinein: Lag da in dem hippen Café ein Hauch AfD in der Luft und der waberte rüber über den Marktplatz und lungerte überall in den Straßen? Man erinnert sich an die Baseballschlägerjahre. Selbst als Biodeutsche wollte man nicht mehr überall raus ins Grüne fahren.

Ach, Brandenburg. Im Zug überlege ich, was ich tun würde, wenn ich Bürgermeisterin von Jüterbog wäre. Jüterbog würde unter meiner Ägide mindestens so attraktiv werden wie zum Beispiel die Stadt Brandenburg und zwar in jeder Hinsicht – Mieten, Kitas, Schulen, Tourismus, Eissorten. So attraktiv, dass das Goethe-Schiller-Gymnasium sich teilen müsste in zwei Schulen, eine für Schiller, eine für Goethe, wegen der vielen Zuzüge aus Berlin. Ein super Freibad hat Jüterbog übrigens schon. Nicht nur das, das örtliche Krankenhaus scheint auch noch in Betrieb.

Aber. Die Jüterboger haben ja schon einen Bürgermeister, einen sehr umstrittenen. Es ist der parteilose Arne Raue, der als äußerst AfD-nah gilt und nur aus taktischen Gründen parteilos sein soll. Raue ist seit 2011 im Amt, 2019 erfolgte die Wiederwahl mit 56 Prozent der Stimmen für weitere acht Jahre. Und Raue hat noch mehr Ambitionen. In diesem Jahr will der Verwaltungsfachwirt rein ins Landesparlament. Für seinen Mitbewerber ums Landtagsmandat, Erik Stohn (SPD), gebürtiger Jüterboger, ist „Raue letztlich nichts anderes als ein AfD-Kandidat“, einer der, liest man auf Facebook, wohl Projekte am Bahnhof blockiert, die diesen attraktiver machen würden. Einer, der immer wieder mit fragwürdigen Facebookposts auffällt. Immer wieder soll er dort Einladungen zu dem rechtslastigen „Jüterboger Bürgerstammtisch“ gepostet haben, „mehrfach trat er dort auch selbst auf, unter anderem mit dem AfD-Landesvizevorsitzenden Daniel Freiherr von Lützow“ – kurz: Arne Raue wirkt sicher abschreckend auf die allermeisten potenziellen Investoren, Zuzügler und Touristen gleichermaßen, nur leider nicht abschreckend genug für die Jüterboger, im Gegenteil, er wurde ja wiedergewählt. Und je mehr man liest, desto tiefer watet man durch die AfD-Sümpfe im sandigen Brandenburg. Am 9. Juni finden die Kommunalwahlen statt und womöglich bröckelt in Jüterbog mit Raue eine Brandmauer ohne viel Aufsehen.

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

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