Benjamin von Stuckrad-Barre mansplaint uns das Leiden der Frauen
Hype Schön, dass Benjamin von Stuckrad-Barre verstanden hat, in was für einer Männerwelt Frauen leben. Aber warum will man das als Frau so nicht lesen?
Benjamin von Stuckrad-Barre stellt im Berliner Ensemble sein neues Buch „Noch wach?“ vor
Foto: Hannes P. Albert/picture alliance/dpa
Benjamin von Stuckrad-Barre lese ich, obwohl ich eine Frau bin. Da auch dieser Autor vor allem über und für Männer und aus der Sicht von Männern schreibt, muss ich einen Trick anwenden, um mit seinem Protagonisten fühlen zu können: Als Leserin habe ich spätestens seit Winnetou gelernt, mich gedanklich zu verbiegen und für die Zeit der Lektüre von meinem Frausein abzulassen. Ich werde, gewissermaßen in gegengeschlechtlicher Aneignung, zu dem männlichen Ich, das da im Buch leuchtet: der Held, der Gute, derjenige, auf den es ankommt. So habe ich auch „Panikherz“ gelesen – und geliebt.
Obwohl mir Geniekult auf den Geist geht. Ich schrieb dem Autor sogar einen langen bewundernden Brief – natürlich kam keine Antwo
eine Antwort. Mag sein, dass mich das kränkte und ich jetzt nicht ganz unvoreingenommen Noch wach? lese. Aber ich habe mir fest vorgenommen, es gut zu finden. Schließlich gilt es als „sein bestes Buch bislang“ (FAZ), „und das Beste, was man heute lesen kann“. Die Nicht-mehr-Literaturkritiker von heute beschreien ja immer den Längsten, Größten, Tollsten, den AUSNAHME-Schriftsteller mit der GROSSARTIGEN Prosa.Aber von Stuckrad-Barres neuer Roman handelt, zumindest indirekt, von Journalismus, und damit handle ich ja auch, wenngleich das von Stuckrad-Barre nachgesagte monatliche 40.000 Euro Springer-Salär mein eigenes geringfügig übersteigt. Die Kollegen sind sich einig: (eigentlich) ein Schlüsselroman! Auch ich bin Voyeurin und will Springer-Chef Mathias Döpfner beim Dusche-Bauen zusehen (im Buch zärtlich „mein Freund“).Und mich genüsslich empören über die Ekelhaftigkeiten jenes wandelnden dreifachen Ausrufezeichens, jener absurd dauerempörten Macho-Brüll-Karikatur namens Julian Reichelt („der Chefredakteur“), der im Zuge der gescheiterten „Compliance“ (was Zustimmung heißt) als BILD-Chefredakteur spät gefeuert wurde und nun als Das-wird-man-ja-wohl-noch-lügen-dürfen-Youtuber noch weiter rechtsaußen marodiert.SelbstwichtigmachereiAlso bleibe ich wach – und werde beim Lesen sehr müde, vor allem wegen all der (leider hochansteckenden) SCHONs, AUCHs, NATÜRLICHs, ALSOs, IRGENDWIEs, IMMERs, EINFACHs, SEHRs, MALs, UNDs, TATSÄCHLICHs, die ungefähr die Hälfte des Textes bestreiten. Der Flachwort-Overkill soll wohl authentisch darüber hinwegtäuschen, dass dieses nur scheinbare Abschwächen, das Panieren von Inhalt mit Leere, als wäre Inhalt allein nicht zumutbar, auch nur Selbstwichtigmacherei ist. Die kommt zwar größtenteils locker-flockig daher, aber die fortwährende Coolness strengt fast so sehr an wie das ewige Frauenlächeln gegenüber Vorgesetzten.Und warum muss der Erzähler immer wieder betonen, dass er all seine Lässigkeit nur spielt? Ach so, weil dann die Empfindsamkeit noch tiefsinniger rüberkommt. Der total fiktive Protagonist durchschaut angeblich (fast) alles, sogar sich selbst, andernfalls könnte er sich nicht so vorteilhaft ausgeleuchtet mit-leidend über die weniger erleuchtete Restwelt erheben. Sein Herummoralisieren findet er vorsichtshalber, bevor es ein anderer tun kann, selber doof: „Moralisch im Recht zu sein oder auch nur mich zu wähnen, macht so dumm, das ist immer das Problem.“ In der Tat – aber warum hört er dann nicht einfach damit auf?Von Stuckrad-Barres Masche, mit flotten Sprüchen als Schwimmflügeln in der Rührung am eigenen Leid an der Welt zu baden, funktioniert in diesem Buch nicht ganz so fluffig. Wie eine nicht enden wollende Läuterungs-Glosse quält es sich durch die Niederungen der Me-too-Biederness. Da springt ein geschwätziges Ich einer bildhübschen und wunderklugen Sophia retterisch zur Seite und entwickelt Gefühle. Ihr legt der Autor eine schwer erträgliche Babysprache in den Mund, mit dem sie die ohnehin redundanten Gedanken des Ich-Erzählers nachplappert, nur in 20 Jahre jünger.Jungefrau-DenglischDas von Stuckrad-Barresche Jungefrau-Denglisch zum Anfassen logorrhoert in fade aufgesetzter Abgeklärtheit etwa so: „Schnallen die aber nicht. Good for me. Echt, diese Typen! Wie viele Stunden habe ich in Hamburg bei so toten Studentenpartys mir diese Gülle angehört. Ja, geil, Malte, super Input, du Honk. Merkste selbst, oder? Ey Typ, was laberst du denn da für einen Schrott? Sei doch mal ganz kurz interessant, Alder. Go home, du Leiche.“ Und so weiter. Das wäre schon beim Zuhören deprimierend – gedruckt grenzt es an Körperverletzung. Und kontrastiert wenig glaubwürdig mit Sophias vertrauensseligen Verhalten.Bei der ersten Gelegenheit – halb zog er sie, halb sank sie hin – fällt sie auf billigste Anmachetricks ihres Chefredakteurs rein und mit ihm ins Bett. Aber natürlich hatten beide, Ich-Erzähler und die solcherart einvernehmlich Missbrauchte, eine schwere-Kindheit-kombiniert-mit-Drogenvergangenheit, mit der sich ihre Verletzlichkeit bedeutungsschwanger psychologisieren lässt. Das Opfer ist ein Opfer ist ein Opfer. Schön, dass von Stuckrad-Barre verstanden hat, in was für einer Männerwelt Frauen leben – aber warum lässt er alle Welt mit einem Bedeutsamkeitsgetue daran teilhaben, als wäre er der erste?Die schönen StellenWenn es nicht so traurig wäre, müsste man lachen. Tatsächlich lachen konnte ich an der Stelle, wo eine der Frauen im Scherz vorschlägt „Wir können ja alle mal ne Nacht darüber mit ihm [dem Chefredakteur-Unsympathen] schlafen.“ Gefallen hat mir auch die Mini-Reflexion über den gefallenen Ex-Manager Thomas Middelhoff, der von geistig Behinderten betreut und dadurch wieder Mensch wird. Und die Szene mit der „Feelgood-Managerin“ auf der Baustelle, wo der Pimmel, pardon, Turm des Medienunternehmens noch potenter, zukünftiger, größer, loungiger, new workiger, superlativig-innovativer wird und alle außer dem Schriftsteller-Ich-Erzähler begeistert die eigenen Lügen schlucken, ohne zu berücksichtigen, dass sie jahrelang kotzen müssten, um sich von all ihrem Zukunftsgeplärre (im Buch „Zukunftsgelalle“) zu entgiften.Und vielleicht noch der Seitenhieb auf den Elektroroller als „die letzte FDP-Scheiße“, da „beim Losfahren immer alle genau gleich guckten, mit diesem E-Roller-Fahrer-Blick, der ihnen selbst und der sie umgebenden Welt etwas sehr unwahrscheinlich Wirkendes bedeutete: Jetzt wird’s super. Und dann beschleunigten sie, hinfort, von einer Tristesse in die nächste.“MachtfasziniertheitDas Beschleunigen gelingt dem Roman nur mit Abstrichen. Auf 373 Seiten mansplaint er, mitunter langatmig, – und man fragt sich die ganze Zeit, wem denn nur? – dass und wie bademantelige Weinsteinmonster auch hierzulande in den Chefetagen sitzen oder dass und wie Frauen bedürftig oder abhängig genug sind, sich für sie kleinzumachen. Trotz der „pop-literarischen“ Leichtverdaulichkeit liest sich das wie ein neverending Statement, kaschiert von UNFASSBAR vielen übergriffigen Adverbien. „Sagenhaft unterhaltsam“? – Äh, nee, ist man versucht, mit Sophia zu widersprechen. Das konsumiert sich über weite Stellen so weg, bleibt aber erfolgreich an der Oberfläche.Gern bildungsgehuberte Zitate von Geistesgrößen stammen ausschließlich von Männern, und die enttäuschte Liebe des einstigen Günstlings-Ich-Erzählers zu „mein Freund“-Medienmogul bleibt unbehelligt von Fragen nach der auch dieser innewohnende Machtfasziniertheit. Offenbar soll der Erzähler rein und unschuldig erscheinen wie ein Babypopo. Da spielt natürlich gaaaar keine Rolle, dass der großzügige Freund in VIP-Kreise (Elon Musk! Die Ratspräsidentin!) Einlass und Einblick gewährt.Die eigene Verführbarkeit, das Mitmächtigsein durch Atmen derselben Luft wie die Großen, ist kaum ein Thema. Nichts soll ablenken vom Kampf des Gerechten, dem der Verrat zum moralischen Gebot wird und der seine Illoyalität trefflich mit Wiglaf Droste rechtfertigt: „Loyal heißt das Hundefutter von Aldi“. Als könne loyal nur sein, wer keine Moral hat.So wird mit dem Ich-Erzähler groteskerweise ausgerechnet ein Profiteur des Profit-Patriarchats zum supermoralischen Retter der sich ebenfalls, nur viel schlechter, verkaufenden Frauen. Subtext: Ohne ihn, den (männlichen) Verbündeten, wären all die unschuldig glatthaarigen Blondinen völlig hilflos. Als Satire könnte so ein Setting – Die Schönen, das Biest und der selbstlose Drachentöter – amüsieren, ernst gemeint wirkt es beinahe so klebrig wie die Unterhosen von „der Chefredakteur“.Fern jeder ErektionUngewollt lustig wird es, wenn der Held sich von seiner Sophia – denn natürlich liebt er sie, märchenhaft zart und fern jeder Erotik oder gar Erektion – erklären lässt, was Mansplaining ist. Da fehlt DANN SCHON AUCH EIN BISSCHEN DER REALITY-CHECK also der Wirklichkeitsabgleich: Ein mittelaltes Erzähler-Ich mit eher linksliberaler Gesinnung hört davon zum ersten Mal? „Echt jetzt?“, würde Sophia spucken. Deren Schöpfer dagegen exemplifiziert das Erklären ausgiebig durch mit einem kaugummiartig das Offensichtliche durchdeklinierenden Aufklärungsbuch. Wie der Fake einer solidarischen Aktion, die sich als Literatur tarnt.Kann Mann lesen, muss Frau aber nicht. Denn am Ende wird es besonders zäh, irgendwie findet sich keines, oder nur ein abseitiges. Der Showdown wird zum Gähndown. Aber komm – egal! Wichtiger als die Qualität des Textes ist die der Haltung – isso! Hauptsache, die Guten können sicher sein, dass der Bösmensch böse bleibt und als Feind weiter zur Verfügung steht. Und der Medienbetrieb, dass die Marketingmaschine 24/7 verkauft. Ist SCHON AUCH EIN BISSCHEN Missbrauch. Merkste selbst, Alder, oder?