Nationaler Veteranentag: Der lange Kampf des „Staatsbürgers in Uniform“
Bundeswehr Auch in Deutschland soll ein jährlicher Veteranentag die Leistungen von Soldaten würdigen. Nicht pompös, inklusive Heroisierung und Rekrutierung, sondern als Familienfest. Umstritten bleibt der Umgang mit ehemaligen DDR-Soldaten
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Aktualisiert am
25.04.2024, 13:10
Im Grunde ist es ein Skandal: Soldaten, die infolge ihrer Einsätze an posttraumatischen Belastungsstören (PTBS) leiden, müssen jahrelang mit der Verwaltung um Unterstützung kämpfen. 90 Prozent von ihnen sind nicht mehr in der Bundeswehr. Ihre Erkrankung wird meistens erst Jahre später erkannt – und gemeldet. „Viele sind inzwischen Reservisten, sind im Zivilleben, und für die ist es dann schwer, an ihre Leistungen zu kommen“, erzählt Luftwaffenoffizier Johannes Arlt, der für die SPD im Bundestag sitzt und sich für einen „nationalen Veteranentag“ und bessere Versorgung stark macht. Es fehle eine „Vertrauenskultur“, meint er, „Behörden sind nicht empathisch.“
Da auch die Gesellschaft ih
lschaft ihren Soldaten gegenüber wenig empathisch ist, wird es wohl erst mal Verwirrung geben. Viele denken eher an alte Autos, auch die Suchmaschine spuckt bei „Veteranentreffen“ alles Mögliche zu Oldtimern aus. Um die Veteranen „in die Mitte der Gesellschaft“ zu holen und aus dieser Mitte heraus wertzuschätzen, soll eine jährliche Ehrung jetzt auch in Deutschland Standard werden, jeweils an dem Wochenende, das dem 15. Juni am nächsten ist. Weil am 15. Juni 2019 erstmals das 2013 gestiftete Veteranenabzeichen verliehen wurde – und weil sich die Veteranen einen Sommertag gewünscht haben. Der 12. November, der mal im Gespräch war, als Gründungstag der Bundeswehr (1955), ist damit vom Tisch. Am 25. April berät der Bundestag den Antrag „Für eine umfassende Wertschätzung – Einen nationalen Veteranentag einführen und die Versorgung der Veteranen und deren Familien verbessern“, den die Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gemeinsam einbringen. Es sind nur wenige Abgeordnete im Saal, doch diese applaudieren lange, als das Parlament den Antrag mit den Stimmen aller Fraktionen gegen die Stimmen der Linken annimmt.Aus Sicht von Mitinitiator Johannes Arlt ist, nachdem seit 2011 mehrere Anläufe scheiterten, eine solche öffentliche Wertschätzung überfällig: „Wir haben sehr lange dafür gekämpft, es gibt zehn Millionen Veteranen in Deutschland.“ Gemeint sind nach der umfassenden Definition des Verteidigungsministeriums alle, die mindestens sechs Monate militärischen Dienst in der Bundeswehr geleistet haben, egal ob Wehrpflichtige, Zeit- oder Berufssoldaten, Reservisten oder „ehrenvoll Ausgeschiedene“. Wenn man die Familien dazu zählt, ist das eine beträchtliche – mehr oder weniger ignorierte bis diskriminierte – Minderheit.3.387 Tote seit 1956Im Vorfeld habe es Diskussionen gegeben, weil nicht nur die rund 500.000 besonders gefährdeten „Einsatzsoldaten“ gewürdigt werden. Viele kämen zwar „persönlich gestärkt“ zurück und brächten „viele positive Geschichten“, aber Tausende litten danach unter psychischen und physischen Problemen. „Deren Leben wird nie wieder so wie vorher“, sagt Luftwaffenoffizier Arlt, der selbst sieben Einsätze hinter sich hat, zuletzt in Mali. Seit 1956 starben im Dienst 3.387 Soldaten, Soldatinnen und zivile Mitarbeitende.„Eine moderne Erinnerungskultur“ soll, sagt Arlt, all denen Anerkennung zollen, „die bereit waren und sind, ihr Leben für unser Land zu geben“. Das Ganze soll familienfestähnlich und ohne viele Reden „für jeden zugänglich“ in der Nähe des Bundestags stattfinden, erstmals groß 2025, aber man hoffe, schon in diesem Jahr etwas hinzukriegen. Als Schirmfrau steht Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) zur Verfügung. Angestrebte ist eine öffentliche Sichtbarmachung und Wertschätzung der Soldaten – keine Militarisierung oder Heroisierung. Es soll auf dem Fest keine Rekrutierungsversuche geben, sondern man will „die Bindungen zwischen Bundeswehr und Gesellschaft“ stärken, wie es im Antragstext heißt.Das Ideal des „Staatsbürgers in Uniform“Übrigens war ebendiese stärkere Verbindung mit der deutschen Gesellschaft 1956 eines der Argumente für die Einführung der Wehrpflicht, damals entstand das Ideal des „Staatsbürgers in Uniform“. Darin liegt eine gewisse Ironie, hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) doch an Kabinett und Parlament vorbei gegen große Widerstände in der Bevölkerung und an der kirchlichen Basis die Wiederbewaffnung durchgesetzt. Eine Allianz aus Kanzleramt und Kirchenleitung – besonders unrühmlich tat sich der evangelische Bischof Otto Dibelius hervor – schuf kaum zehn Jahre nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ auf undemokratische Weise militärische Fakten. Der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann, Mitbegründer der CDU und friedensbewegter Weltkriegsveteran, trat 1950 aus Protest gegen Adenauers Militarisierungsbestrebungen als Bundesinnenminister zurück, 1957 schloss er sich der SPD an.Kosten und konkrete Zuständigkeiten des Veteranentages sind noch unklar, im Antrag ist nur von „im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel“ die Rede. Auch der Umgang mit Ehemaligen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR, die nicht in die Bundeswehr übernommen wurden, werde noch debattiert. Es dürfte jedoch unwahrscheinlich sein, dass etwa Grenzsoldaten, die auf Mauerflüchtlinge schossen, mit nationaler Würdigung der Bundesrepublik rechnen können.Einem ehemaligen NVA-Mann, der nicht genannt werden will, ist das „persönlich egal.“ Ausgeschlossen fühle er sich nicht, fände es eher „seltsam, wenn die NVA-Leute Bundeswehr-Veteranen werden, wir hatten ja einen ganz anderen Eid geschworen, und die Bundeswehr war unser Gegner.“ Sein Sohn, ein Oberleutnant der Bundeswehr, der seinen Namen ebenfalls nicht veröffentlicht lesen will, meint, die Initiative zum Veteranentag entspringe keinem „unmittelbaren Wunsch oder Bedürfnis der Soldaten“, sondern sei „politisch getrieben“ und wirke deshalb „etwas künstlich“. Grundsätzlich jedoch sei „eine Stärkung der Rolle von Soldaten und die Würdigung ihrer Leistungen für die Nation und die Gesellschaft immer gut“. Wichtig sei, „dass man als Soldat wie als Feuerwehrmann, Polizist oder Rettungssanitäter einfach den gebührenden Respekt für seinen Dienst erhält und als ein Bestandteil der Gesellschaft wahrgenommen wird.“ Tatsächlich sähe Arlt andere Kräfte wie Polizisten „eindeutig auch als Veteranen“.Was Verteidigungsminister Boris Pistorius sagteWährend in der Bundestagsdebatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) „ein starkes, ein wichtiges, ein überfälliges Zeichen“ sieht, findet Dietmar Bartsch (Linke) die Entwicklung hin zur „Kriegstüchtigkeit“ insgesamt problematisch. Ein Veteranentag sei „Symbolpolitik“. „Natürlich verdienen unsere Soldaten Respekt und Würdigung“, versichert Bartsch. Er rate jedoch zu Haltung und Verhalten eines Gustav Heinemann. Der hatte bei seinem Abschied 1974 auf den üblichen Großen Zapfenstreich der Bundeswehr verzichtet und stattdessen zu einer fröhlichen Bootsfahrt auf dem Rhein eingeladen.Der Bundesrepublik hat offenbar eine Debatte über eine neue Feier- und Würdigungskultur der Parlamentsarmee Bundeswehr nötig.
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