Von Annalena Baerbock bis Nancy Faeser: Das unerträgliche Marketing zum EU-Asyl-Kompromiss
Meinung „Asylkompromiss“? Das gab es doch schon einmal – 1993. Wie die Pläne der EU-Innenminister Europa entwerten und Grüne wie Sozialdemokraten das verkaufen
Der Asylkompromiss ist weit weg von Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde jedes einzelnen Menschen ist unantastbar
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Der sogenannte Asylkompromiss der EU soll „historisch“ sein, lobt SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser sich lauthals selbst in jedes Mikrofon, flankiert von gleichlautenden „Einordnungen“. Auch Omid Nouripour und Ricarda Lang von der Grünen-Parteispitze haben sich abgesprochen. Man wolle öffentlich streiten, statt innerparteilichen Zoff „zuzukleistern“. Das wirkt ehrlich und transparent. Und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rühmt, ausgerechnet auf dem Kirchentag, den „Solidaritätsmechanismus“ zwischen den EU-Staaten als das Wichtigste an der „fairen“ „Verabredung“. Als ginge es um ein sportliches Match, nicht etwa um Menschen, die vor Kriegen, Hunger, Klimaschäden, Verfolgung fliehen.
Denn die
Verabredung“. Als ginge es um ein sportliches Match, nicht etwa um Menschen, die vor Kriegen, Hunger, Klimaschäden, Verfolgung fliehen.Denn die innereuropäische „Solidarität“ beinhaltet maximale Entsolidarisierung mit Geflüchteten: Viele sollen künftig, ihrer Freizügigkeit beraubt, an den Außengrenzen der Festung Europa monatelang in Lagern ausharren. Auch Kinder. Bevor sie – auch Kinder? – in reguläre sogenannte Abschiebehaft kommen und mit dem Segen des Rechtsstaates zurück ins Elend geflogen werden. So sieht es aus mit unserem „Kampf für Freiheit und Menschenrechte“.Annalena Baerbocks KrokodilstränenZwar sei ihr die Zustimmung, heißt es krododilstränengetränkt in einer Erklärung der angeblich wertebasierten Außenministerin Annalena Baerbock an die Parteimitglieder der Grünen, „persönlich sehr schwer gefallen“, aber es habe eben nur eine schlechtere Alternative gegeben: „Wer meint, dieser Kompromiss ist nicht akzeptabel, der nimmt für die Zukunft in Kauf, dass niemand mehr verteilt wird.“ Sprich: Wer den Asylkompromiss kritisiert, will, dass zu viele Geflüchtete in den überlasteten deutschen Kommunen landen – und arbeitet der AfD in die Hände. Auf dem Kirchentag, wo sich anscheinend alle hochrangig bigotten Politiker die Klinke in die Hand geben, bekräftigt sie das. Und nannte als Ziel, dass es „für die Mehrheit der Geflüchteten die Chance gibt, dass es besser wird“. Dazu gehöre dann eben leider, leider auch, „die bittere Wahrheit mit in Kauf zu nehmen, dass es für einige auch schlechter ist“ – „eine schwierige Entscheidung“.In der Tat! Zumal sie auf utilitaristischen Kosten-Nutzen-Erwägungen beruht, die sich im Kern weit weg von Artikel 1 des Grundgesetzes bewegen. In einem tatsächlich wertebasierten Denken und Handeln ginge es nicht um das „größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl“, sondern um Individuen: Die Würde jedes einzelnen Menschen ist unantastbar. Das heißt auch: Sie ist keine Ware, von der man hier ein bisschen wegnehmen kann, um dort ein bisschen hinzuzufügen, begleitet von einem zerknirschten „Sorry“. Wenn also einerseits – was auch erst zu beweisen wäre – durch den Asylkompromiss mehr Menschen anständig behandelt werden, kann man damit nicht ausgleichen, Verletzungen der Menschenwürde an anderer Stelle IN KAUF zu nehmen.Asylkompromiss: Einknicken vor dem RechtspopulismusDas Marketing des Asylkompromisses wäre nicht ganz so schwer erträglich, wenn viele der ihn rechtfertigenden Politiker nicht an anderer Stelle so grundsätzlich auf Werte und Prinzipien abhöben. Wenn sie also nicht so tun würden, als ginge es um etwas anderes als Zahlen. Zum Beispiel um die Umfragewerte der AfD, der wenige Tage vor der EU-Innenministereinigung eine Meinungsumfrage 18 Prozent bescheinigte, so viel wie der SPD. Prompt schoben sich Nicht-AfD-Politiker gegenseitig die Verantwortung dafür zu – die allzu klimawoke Ampel sei schuld, die Merz-CDU sei schuld. Wie sie damit die Bürger paternalisierten, bemerkten sie offenbar nicht. Als handle es sich um launische Unzurechnungsfähige, die bei der kleinsten Unsicherheit reflexartig nach rechts abwandern und dort die Schlechte-Laune-Partei wählen, die am wenigsten zur Lösung von Problemen beiträgt.Vor diesem Hintergrund wirkt der Asylkompromiss wie ein Einknicken vor dem Rechtspopulismus. Ein unangenehmes Déjà– vue – schon 1993 erfolgte, damals grundgesetzlich, eine Einschränkung des Grundrechts auf Asyl, auch damals getrieben von „Ausländer-raus“-Parolen. Machen wir doch die menschenfeindliche Politik selber, scheint sich die Ampel jetzt gedacht zu haben. Und lässt, indem sie sich zur Erfüllungsgehilfin der Schäbigkeit macht, eine in Teilen faschistische Partei de facto mitregieren. So wird die Angst vor dem Rechtsruck zur selbsterfüllenden Prophezeiung.Während die FDP die Chuzpe hatte, bei einem vergleichsweise lachhaften Thema wie dem Verbrennungsmotor die gesamte EU gegen sich aufzubringen, verbrennen SPD und Grüne ihre Werte widerstandslos auf dem Scheiterhaufen des Pragmatismus. „Hätten wir uns jetzt nicht geeinigt, hätten uns mehr nationalstaatliche Abschottung und weiterhin vollkommen ungeregelte und teilweise unmenschliche Verhältnisse an den Außengrenzen gedroht“, unkt Faeser. Und redet sich, ähnlich wie Baerbock, mit Zahlen heraus: Es müssten ja nur diejenigen in die Lager, die wenig Aussichten auf Asyl haben.Michael Kretschmer macht sich ehrlichSprich: Wer nur arm und nicht politisch verfolgt ist, kann menschenunwürdig behandelt werden, damit für weniger aussichtslose Kandidaten die kontingentierte Menschlichkeit ausreicht. Dass Menschenhandel umgekehrt betrieben wird – „schmerzhaft“, aber nicht zu ändern. Denn so lautet ein weiterer Teil des Deals: EU-Länder, die sich weigern, bei der sogenannten „Verteilung“ Geflüchteter mitzumachen, sollen zahlen. Jeder Geflüchtete, der draußen bleibt, kostet 20.000 Euro – ein Schnäppchen. Fast so billig wie „unsere“ Werte.Während Sachsens christdemokratischer Ministerpräsident Michael Kretschmer, dieser immerhin ehrlich, eine neue Grundgesetzänderung nicht ausschließt, behauptet Faeser: „Das Asylrecht bleibt unangetastet.“ Wirklich? Eher entsteht der Eindruck, dass exakt die Werte, für deren Verteidigung wir grundgütigen EU-Europäer milliardenschwere Waffen in die Ukraine liefern, an den EU-Außengrenzen rasant an Wert verlieren. Zumindest, wenn es um nicht-EU-Bürger geht. Und dass UNSERE vielgerühmten europäischen Werte besser verteidigt, wer EU-Asyl-Regeln bricht. Oder gegen das Ertrinken an unseren Außengrenzen spendet.