Wir stehen vor einer Zeitenwende. Eine, die nicht mit Panzern und Raketen daherkommt und dennoch von Massensterben, Gewalt und millionenfacher Vertreibung begleitet ist. Weder wurde sie durch die Einzelentscheidung eines Politikers oder einer Politikerin in Gang gesetzt, noch kann sie durch die Entscheidung Einzelner beendet werden. Man könnte sagen: Sie ist die Mutter aller Zeitenwenden, die Krise aller Krisen, eine Herausforderung der Menschheit nie dagewesener Art. Denn die Klimakrise stellt nicht weniger als die Zukunft selbst in Frage, zumindest soweit es die menschliche Gesellschaft betrifft, wie wir sie kennen.
Und Europas Verantwortliche? Denen fallen nur Maßnahmen aus dem Gestern ein: Mauern, Zäune, Lager. Der nun beschlossene „Asylkompromiss“ sieht vor,
ieht vor, dass an Europas Außengrenzen künftig so genannte Asylzentren errichtet werden. Hier sollen Menschen aus Ländern mit geringen Anerkennungsquoten darauf warten, dass über ihren Asylantrag im Schnellverfahren entschieden wird. Bei Ablehnung droht die Abschiebung in so genannte sichere Drittstaaten.Europa schottet sich also ab und schaut zu, wie die Menschheit vor die Hunde geht, für noch ein paar Jahre des Wohlstands. Dafür ist man bereit, Europa zu opfern. Dafür nimmt man in Kauf, aus dem Kontinent der Ideen von Aufklärung, Menschenrechten und relativer ökonomischer Gleichheit eine Gated Community für die Rentner:innen des industriellen Zeitalters und der kolonialen Globalisierung zu machen, die vom einstigen Wohlstand zehren, ohne die Grundlagen für neuen zu schaffen oder schaffen zu können.Eine zynische Anpassung an die Realität der KlimakriseMenschen, die keine Zukunft mehr brauchen, schließen andere Menschen aus der Zukunft aus. Denn parallel zur Abschottung verweigern sich Europas Gesellschaften auch effektiven Klimaschutzmaßnahmen. „Nach uns die Sintflut“, dieser der Marquise de Pompadour zugeschriebene Ausspruch bewahrheitet sich angesichts steigender Meere leider im wörtlichen Sinne. Damit diese Auswirkungen der Klimakrise aber nicht Europa erreichen, baut man lieber Dämme, Mauern, Zäune.Insofern ist die europäische Asylrechtsreform vor allem eine zynische Anpassung an die Realitäten der Klimakrise. Eine verlogene noch dazu. Denn was in der populistischen Rhetorik so überzeugend daherkommt als Unterschied zwischen politischem Asyl oder vor Krieg flüchtenden Menschen auf der einen und so genannten „Wirtschafts-“ oder „Wohlstandsflüchtenden“ auf der anderen Seite, ist nicht nur geistige Brandstiftung. Schließlich zeigt die Erfahrung, dass jede Verschärfung der Flüchtlingspolitik Rassist:innen und Xenophoben nicht das Wasser abgräbt, sondern es vielmehr auf deren Mühlen leitet. Die Abschottung macht uns auch blind für die Konsequenzen der unterlassenen, unterbundenen Klimaschutzpolitik: Flüchtende aus ökonomischen Gründen, aus dem Globalen Süden, sind vor allem Klimaflüchtende. Sie sind Opfer einer ökologischen Gewalt, die ganz überwiegend vom Globalen Norden ausging und ausgeht.Denn Europa ist der Ursprung jenes Raubbau- und Verschwendungskapitalismus mit seiner Ideologie des permanenten Wachstums, die uns die Klimakrise bescherte. Mehr als 500 Jahre lang, bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, drückte es während eines euphemistisch „europäische Expansion“ genannten Prozesses der Welt, überwiegend gegen deren Willen, seinen Stempel auf. Europäerinnen und Europäer lebten spätestens seit dem 16. Jahrhundert über ihre Verhältnisse, das heißt, sie verbrauchten mehr Ressourcen, als sie selbst in Europa zur Verfügung hatten und als ihnen pro Kopf der Weltbevölkerung zugestanden hätte. Die territoriale Expansion ermöglichte es Europa, seinen wachsenden Ressourcenbedarf zu decken, ohne dass die Konsequenzen in Europa selbst zu spüren gewesen wären. Diese Politik setzt man nun fort. Dafür ist man bereit, das liberale Europa – das Europa der Menschenrechte, der Freiheit, der Gleichheit – zu Grabe zu tragen.Welche „Lehren der Geschichte“?Einige Jahrzehnte lang schien Europa die großen Versprechen seiner Geschichte einlösen zu wollen: Aufklärung, Menschenrechte, Wohlstand für alle. Und das auch zu können, zumal nach dem Einkassieren der „Friedensdividende“ nach 1989/91. Heute aber steht Europa vor einem menschenrechtspolitischen Scherbenhaufen. Das Recht auf politisches Asyl, eine der zentralen Lehren aus der Geschichte des so genannten „Dritten Reichs“ und des Zweiten Weltkriegs, wird weiter eingeschränkt. Und das von einer Generation von Politiker:innen, die häufiger die angeblich gezogenen „Lehren aus der Geschichte“ im Munde führen und mehr Gedenkreden halten als jede Generation vor ihnen. Im entscheidenden Moment ziehen sie diese Lehren jedoch nicht.Jetzt sollen wieder Lager errichtet werden, ganz offiziell, an Europas Peripherie, Menschen sollen eingruppiert werden in solche, die eine Zukunft haben dürfen, und solche, für die das nicht gilt. Dass Kinder in Lagern gehalten werden sollen, wurde zu Recht skandalisiert. Dass Kinder in vielen Teilen der Welt ohne Zukunftsperspektive aufwachsen müssen, ist aber der viel größere Skandal.