Die beste Analyse des Konformismus und fehlender politischer Ambitionen, die uns einfällt, ist ein halbwitziger Spruch: „Viel Spaß mit dem Wahlergebnis“, schrieb César Rendueles in dem klugen Buch Gegen Chancengleichheit. Man könnte es auch mit Kurt Tucholsky versuchen: „Was brauchst du Grundsätze, wenn du ’nen Apparat hast?“
Der Apparat wird in absehbarer Zeit nicht mehr funktionieren wie bisher. Aus einem nicht mehr tragfähigen Konstrukt werden zwei – tja, was eigentlich?
Die Tatsache, dass es an Grundsätzlichem fehlt, an einem Bauplan, wird schmerzlich zutage treten lassen, dass es mit der Linkspartei erst mal ein Jammer ist. Was nicht dazu verleiten sollte, der und dem Linken die Grabrede zu halten. Denn die und das L
halten. Denn die und das Linke war und ist auch immer noch zum Glück mehr als eine inhaltlich zunehmend auf Verschleiß fahrende Partei und deren parlamentarische Vertretung auf Bundesebene, die in bedauerlich großen Teilen nur mehr einer Beutegemeinschaft gleicht. Bedauerlich für all jene, die ihr Mandat als politischen Auftrag verstehen und weniger als Whiteboard, auf dem sie ein Mindmap ihrer persönlichen Hybris und Karrierebestrebungen malen können. Bedauerlich vor allem auch für all die, die in dieser Biszuletzt-noch-Bundestagsfraktion, in den Landes- und Kommunalparlamenten unter ganz und gar nicht einfachen Bedingungen versuchen, linke Politik zu machen.Sahra Wagenknechts BündnisNatürlich ließe sich das Maß an Verantwortungslosigkeit und Arroganz entlang einzelner Personen und Namen erzählen. Aber wozu soll das gut sein? Doch höchstens, sich noch einmal klarzumachen, wie sehr die lähmende Fixierung auf Figuren lange übertönen – aber nie übertünchen – konnte: dass die Schwäche der Linkspartei inhaltlich begründet ist. Für diese inhaltliche Schwäche steht, dass sich aus ihr heraus und über so viele quälende Jahre hinweg – alimentiert und ausreichend ausgestattet durch Mandate und Logistik der Partei – eine „linkskonservative“ (in Anführungszeichen, weil links da eigentlich nicht reingehört) Sammlungsbewegung entwickeln konnte.Das Vorerst-Bündnis will eine Partei werden, die sich nationalstaatlich versteht, auf Abschottung setzt und gleichzeitig politisch dort fischt, wo es eh schon ausreichend parteipolitische Angebote gibt. Also irgendwie rechts von einer Mitte, die höchstselbst zunehmend rechte Schlagseite kriegt. Eine Partei, die ein Wohlstandsversprechen gibt, das die Welt nicht nur außen vor lässt, sondern reklamiert, dass dieser gemeinte Wohlstand ein deutsches Recht beziehungsweise das Recht der Deutschen und all jener ist, die sich im Deutschen auflösen. Was sollte diese Partei nach dem, was man bisher hört, im Kern unterscheiden von einem AfD-Chef, der fordert, Deutschland möge eine Burg sein?Linkspartei nach WagenknechtUnd was hat eine Linkspartei, die sich nun entweder erneuert und findet oder im Orkus der Geschichte verschwindet, dem inhaltlich entgegenzusetzen? Erst einmal zu wenig. Sie hat sich einer programmatischen Diskussion verweigert, die Voraussetzung gewesen wäre, einer Gegenwart der Gefahren und Verwerfungen einen solidarischen, ökologischen und sozialen Gesellschaftsentwurf entgegenzusetzen. Anträge, sich dieser Debatte zu stellen, wurden auf den Parteitagen 2016 und 2023 abgewehrt. Programmdebatte? Wozu das denn? Wir haben doch unsere Schlagworte: Superreiche besteuern, umverteilen, soziale Gerechtigkeit, Wohlstand für alle, die Grünen sind doof (das hat Sahra Wagenknecht mit der „gefährlichsten Partei“ nur noch mal fernsehtauglicher ausgedrückt).Lässt sich auf etwas aufbauen? Eine Vorstellung entwickeln, programmatisch debattieren und im besten Fall auch als Matrix für eine erneuerte Linke zur Grundlage des Handelns und Kämpfens machen?Vielleicht hilft doch ein Blick zurück. Als die 2010 ins Leben gerufene Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt“ drei Jahre später ihren Bericht vorlegte, formulierte die Linke in einem Minderheiten-Votum diesen Vorschlag: „Für die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger sind drei Fragen von zentraler Bedeutung, wenn es um die Lebensqualität geht: Bin ich an der wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt oder geht sie an mir vorbei? Ist die Teilhabe an den sozialen Aspekten der Lebensqualität und an der Gestaltung der Gesellschaft gesichert oder bestimmen nur die ‚oberen Zehntausend‘, was in unserem Land geschieht? Wie steht es mit den natürlichen Lebensgrundlagen bei uns und global, und was muss getan werden, damit unsere Kinder und Enkel auch in Zukunft gut leben können?“Globales, solidarisches WohlstandsversprechenDamals gab es in der Linksfraktion eine Arbeitsgruppe „Plan B“, die sich mit der Frage befasste, wie eine sozialökologische Transformation aussehen könnte. Plan B wurde beerdigt. Gleichheit als Ausgangspunkt und Ziel linker Politik im Sinne einer Verantwortung für alle Menschen verkam zur Worthülse. Ökonomie des Maßhaltens angesichts anstehender planetarer ökologischer Katastrophen und deren Verheerungen für die Spezies Mensch – nichts von alldem wurde ernsthaft diskutiert und ausbuchstabiert.Stattdessen läuft man mit einem Wachstums- und Wohlstandsversprechen rum, das durch keine Entwicklung der Gegenwart auch nur im Ansatz unterlegt werden kann. Das ist politischer Tribalismus, der versucht, das ökologische Paradigma zu ignorieren. Es ist unehrlich und: Es ist nicht links. Schon gar nicht öffnet es die Tür für eine gesellschaftliche Linke, die sich in die Lage versetzt – trotz aller Verschiedenheit –, eine Alternative zu formulieren, die nicht nur aus Floskeln besteht und Menschen davon überzeugen kann, dass es sich lohnt, dafür einzustehen oder diese Alternative zumindest zu wählen.Unter dem Paradigma planetarischer Grenzen, die fast sämtlich überschritten sind, lässt sich linke Politik nicht einmal im Ansatz nationalstaatlich und somit ohne globalen, solidarischen Ansatz formulieren. Oder anders ausgedrückt: Unter diesem Paradigma wird Sahra Wagenknechts Partei eine Fußnote in der Geschichte sein.Wenn das keine Chance ist.