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Wohnraum Münchner Bürger haben heimlich und auf eigene Kosten eine leerstehende städtische Wohnung renoviert, um zu zeigen: Man kann bezahlbaren Wohnraum schaffen, wenn man will

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Müllerstraße 6. Hier ziehen bald 20 Münchner Alleinerziehende mit ihren Kindern ein. Vielleicht
Müllerstraße 6. Hier ziehen bald 20 Münchner Alleinerziehende mit ihren Kindern ein. Vielleicht

Screenshot aus Goldgrund-Video

Eines Tages rief das Leben bei mir an, und da ließ ich mein Münchner WG-Zimmer mit Belüftung zur Vierspurigen und graublauer Teppichauslegeware für 428,50 Euro zurück, packte meine Topfpflanze und zog nach Berlin in eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung mit Fenster für 451,13 Euro (warm inkl. Strom und Gas). In München hatte ich seinerzeit wochenlang nach einem halbwegs zentral gelegenen WG-Zimmer gesucht, in Berlin nahm ich mir einfach eine Wohnung.

Das ist einige Jahre her, und in Berlin, jedenfalls irgendwo mittendrin, werden auch kaum noch Zweieinhalb-Zimmer-Wohnungen mit Fenster für 451,13 Euro neuvermietet. Aber München, wo überraschenderweise nicht nur Pelzmäntel zu Hause sind, sondern auch jede Menge Alleinerziehende, Friseure, Erzieher, Mechatroniker in der Ausbildung, Onlinejournalisten, Lehrbeauftragte und andere ganz normale Herumwohner, spielt mietpreislich nochmal in einer anderen Liga.

Jetzt kommt die Geschichte: In der Münchner Müllerstraße, das ist mittendrin zwischen Glockenspiel am Marienplatz und renaturierter Isar, steht ein Haus, das Eckhaus Müllerstraße 6, das die Stadt, die es besitzt, abreißen will. Es stand 15 Jahre lang leer, was angesichts der Wohnungsnot etwas erstaunlich ist, und von außen wie von innen sieht es auch wirklich etwas abgerockt aus. Hier sollen dereinst wohl neue Wohnungen entstehen. Das ist erstmal schön, denn die werden in München gebraucht. Ärgerlich nur: Wohnraum zu schaffen, ist teuer.

"Die Kosten für den Neubau wurden im vergangenen Jahr von der Stadt recht vorsichtig mit 5,2 Millionen Euro beziffert", wie die an dieser Stelle bereits einmal angepriesene ehrliche Immobilienorganisation Goldgrund berichtet. "Planung, Grundstücksfreimachung, Abbruch, Außenanlagen, Ausstattung sind hier noch nicht eingerechnet, so dass das ganze Projekt nach Aussagen von Architekten mit mindestens 7 Millionen Euro zu Buche schlagen wird." Dem Kommunalreferat zufolge sei eine Erhaltung des Gebäudes "nur mit ganz erheblichem Kostenmehraufwand" möglich, heißt es in der Pressemitteilung von Goldgrund, die an diesem Dienstag die Welt erreicht. Soweit die Position der Stadt München.

Goldgrund dazu allerdings: "Das", also das mit dem erheblichen Kostenmehraufwand, "glauben wir nicht."

Goldgrund ist natürlich kein Immobilienbüro, sondern ein Bürgerprojekt, zu dem für das neueste Vorhaben bekannte Münchner wie Mehmet Scholl, Fiva, Dieter Hildebrandt, Marcus H. Rosenmüller, Blumentopf, die Sportfreunde Stiller, Luise Kinseher und die Brass-Band Moop Mama gestoßen sind (siehe auch das sozusagen Musikvideo zur Aktion), die sich beim Pinseln und Parkettverlegen abwechselten.

Was die "Goldgrund Family" der Welt heute vorstellt, ist eine eigenhändig und auf eigene Kosten renovierte und sanierte Wohnung in der besagten Müllerstraße 6, die beweist, dass man wohl schon schnell bezahlbaren Wohnraum schaffen könnte, wenn man nur will. Auf der Website heißt es:

"Die Gebäude sind nach Aussagen von Architekten keineswegs abbruchreif. Eine zeitgemäße Sanierung würde einen Bruchteil eines Neubaus kosten. Es ensteht zwar etwas weniger Wohnfläche, dafür aber kurzfristig und billig. Wir haben schonmal damit angefangen und in den vergangenen Tagen eine der Wohnungen grundsaniert: neues Parkett, neue Küche, neues Bad, und ansonsten einmal schönmachen. Das Ergebnis: eine 'Goldgrund-sanierte' Wohnung, nach der sich zehntausende Münchner Wohnungssuchende die Finger lecken würden… Das Ganze hat einen Bruchteil des Neubaus gekostet. Diese wurden in diesem Fall von uns getragen. Die Kosten der Modernisierung des gesamten Komplexes würden, nach unserer Einschätzung, maximal ein Fünftel des Neubaus betragen."

Würde man die jetzt bestehenden Gebäude sanieren, hätte man in einem halben Jahr 20 Wohnungen für kleines Geld, so Goldgrund. Es gehe an der Müllerstraße nicht um Luxus-Suiten, sondern um Sozialwohnungen, heißt es dagegen aus der SPD. Dennoch wird sich die Stadt München zumindest eine gute Erklärung einfallen lassen oder – falls sie wirklich gute Argumente hat – weitaus größere Transparenz schaffen müssen, wenn sie dieses Gebäude tatsächlich abreißen und einen Neubau errichten will.

Was für eine großartige Idee.

(Die Besichtigung der Musterwohnung ist möglich nach einer Podiumsdiskussion in der nahen Glockenbachwerkstatt am Mittwoch, 6. März, um 18 Uhr.)

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