Ein halbes Jahr SYRIZA-Regierung

Griechenland Ein Bilanz-Gespräch mit dem alten und neuen Arbeits- und Sozialminister George Katrougalos über die ersten 7 Monate SYRIZA-Regierung

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Am 11. September 2015 trafen sich in Berlin linke und grüne Politiker und Politikerinnen, Gewerkschafter, Mitglieder des Instituts Solidarische Moderne, Vertreter und Vertreterinnen der Rosa Luxemburg Stiftung sowie Initiatoren des Aufrufs „Griechenland nach der Wahl − Keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa“ zu einem Meinungsaustausch mit dem Arbeits- und Sozialminister der ersten SYRIZA-Regierung, George Katrougalos [1]. Katrougalos war während seiner Zeit als Minister ebenfalls für die Reform der griechischen Verwaltung verantwortlich. Vor seiner Ernennung zum Minister war G. Katrougalos Mitglied des Europäischen Parlaments.

Der folgende Text fasst diesen Meinungsaustausch zusammen. Um den Text lesbarer zu gestalten, ist er in Form eines Interviews abgefasst.

Frage: Wie lässt sich die gegenwärtige Situation in Griechenland auf den Punkt bringen?

George Katrougalos: Griechenland ist von der Euro-Gruppe zu einem neoliberalen Politiklabor gemacht worden, das ein Spiegelbild einer zutiefst neoliberalen EU darstellt. Diese Funktionalisierung Griechenlands erfolgte von außen in einem demokratischen Vakuum.

Die heutige Situation Griechenlands ist vergleichbar mit der Situation in Spanien 1936. Der Kampf, um den es heute geht, ist der Kampf um das europäische Sozialmodell. SYRIZA hat sich auf die Fahnen geschrieben, den sozialen „acquis“ in Griechenland zu verteidigen und eigene, nötige demokratische Reformen in Griechenland durchzusetzen.

Frage: Die Euro-Gruppe verlangt ja schon lange Reformen in Griechenland. Weshalb setzt nun auch SYRIZA auf innere Reformen in Griechenland? Was ist der Grund dafür?

George Katrougalos: Die zentrale Schwäche Griechenlands liegt in der weit verbreiteten Korruption. Sie hat den Staat soweit im Griff, dass er nicht mehr handlungsfähig ist. Die Ursachen für diese Korruption erklären sich aus der griechischen Geschichte, die lange durch das osmanische Reich bestimmt war.

Eine Ausnahmen bildet die griechische Mittelschicht. Zu ihr zählten Reeder und Geschäftsleute, die aufgrund ihrer internationalen Kontakte oft im Ausland lebten und nur marginal mit der osmanischen Verwaltung verwoben waren. Diese bürgerliche Mittelschicht hatte und hat ihr Geld überwiegend im Ausland.

Die innergriechische Mittelschicht war und ist aufgrund dieser historischen Entwicklungen nur sehr schwach ausgebildet.

In diesem Klima sind Korruption und Klientelismus über Jahrhunderte gediehen. Die Folgen der historisch entstandenen Korruption und des Klientelismus wirken bis heute in Form einer ineffizienten und leistungsschwachen staatlichen Verwaltung, da nicht Leistungsfähigkeit, sondern politische Loyalität das entscheidende Einstellungskriterium war und ist.

Seit 50 Jahren ist dieses Problem der griechischen Verwaltung bekannt. Aber es ist in dieser Zeit nicht behoben worden.

Der Erfolg von SYRIZA fußt eben darauf, dass SYRIZA Reformen durchsetzen und Korruption und Klientelismus bekämpfen will.

Frage: Dazu passt aber nicht das so genannte Memorandum of Understanding (MoU), dass die Euro-Gruppe gegenüber Griechenland durchgesetzt hat. Dort geht es doch um ganz andere Dinge, als um die Bekämpfung von Korruption und Klientelismus.

George Katrougalos: Das MoU der Euro-Gruppe ist für die heutige wirtschaftliche und soziale Situation in Griechenland von zentraler Bedeutung. Vorgesehen war es als Antwort auf die hohe öffentliche Verschuldung Griechenlands, die 2010 festgestellt wurde. Sie betrug zu dem Zeitpunkt 128% des BIP.

Wäre es angesichts dieser Verschuldung durch mangelnde Umschuldungsmöglichkeiten zu einem Zahlungsausfall gekommen, hätte es in Griechenland einen Banken- Crash gegeben. Davon wären außerhalb Griechenlands vor allem auch deutsche und französische Banken massiv betroffen gewesen. Das hätte weitere Bankenrettungsaktionen durch die öffentliche Hand in Deutschland und Frankreich erfordert. Dieses Szenario wollten die deutsche und französische Regierung verhindern.

Mögliche Alternativen zu einem Banken-Crash waren theoretisch eine geordnete Insolvenz oder ein Schuldenschnitt.

Die Euro-Gruppe entschied sich jedoch für einen anderen Weg. Die Schulden, die die griechischen Banken unter Druck gebracht hatten, waren private Schulden. Um die Banken vor einem Crash zu bewahren, wurden die Schulden der Banken durch einen europäischen Rettungsfonds (ESM) auf die öffentliche Hand umgewälzt. Aus privaten Schulden sind so öffentliche Schulden geworden. Gleichzeitig ist durch die Auflagenpolitik der Troika die griechische Wirtschaft zerstört worden (BIP -25%). Durch das gesunkene BIP und einen weiteren Anstieg der Schulden des griechischen Staates ist die Schuldenquote von 128% auf 180% des BIP in die Höhe geschossen.

Angesichts dieses Ergebnisses muss man diese Strategie der Euro-Gruppe als gescheitert betrachten.

Frage: Das MoU ist aber nicht einfach nur gescheitert, es hat fatale Folgen in allen gesellschaftlichen Bereichen Griechenlands hinterlassen. Wie genau hat das MoU gewirkt?

George Katrougalos: Das MoU umfasst tatsächlich weit mehr als die gescheiterte Schuldenregelung. Es enthielt eine ganze Reihe von Reformvorgaben, die sich auf völlig andere Politikbereiche als den Staatshaushalt bezogen.

Diese Reformen haben zu einer inneren Abwertung geführt. Löhne und Renten sind um rund 35% gekürzt worden. Die Folge war ein Einbruch der Wirtschaftsleistung um rund ein Drittel.

Gleichzeitig wurden die Preise aber nicht gesenkt, da die meisten der in Griechenland verkauften Produkte importiert sind. Die beabsichtigte Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft wurde auf diesem Weg ebenfalls nicht erreicht.

Zu den weiteren MoU-Maßnahmen gehörten Steuererhöhungen, die von der alten Regierung in mehreren Schritten durchgeführt wurde. Das erzeugte den Eindruck eines unsicheren, schwer kalkulierbaren Steuersystems in Griechenland. Folglich wurden Investoren abgeschreckt und für Griechenland dringend nötige Investitionen bleiben aus. Lediglich im Tourismusbereich hat es einige Verbesserungen gegeben.

Auf dem Arbeitsmarkt kam es zu umfassenden Deregulierungen. Dazu zählen u.a. auch die Auswirkungen der Privatisierungen.

Die klassischen Arbeitsbeziehungen in der griechischen Wirtschaft wurden im Zuge der Deregulierung aufgelöst.

Es gibt keine Tarifverträge mehr.

Mindestlöhne werden nicht mehr von Gewerkschaften ausgehandelt, sondern per Gesetzt festgelegt. Obgleich sich sowohl Gewerkschaften als auch Unternehmer gegen eine Kürzung des Mindestlohn ausgesprochen hatten, wurde er von der alten Regierung um 20 % gekürzt.

Der Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen wurden insgesamt sehr weitgehend beschnitten.

Tarifverhandlungen wurden auf die Betriebsebene verlagert. Nun handeln Betriebsräte ohne Gewerkschaften die Lohn- und Arbeitsbedingungen mit den Unternehmensleitungen auf Betriebsebene aus.

Das Ergebnis des MoU: Die Arbeitslosigkeit ist seit Beginn der Krise auf ca. 27% gestiegen, die Jugendarbeitslosigkeit auf über 50%.

Rund 300.000 Menschen sind infolge der Wirkungen der MoU-Maßnahmen aus Griechenland abgewandert.

Und es darf nicht vergessen werden: Ein Teil der MoU-Maßnahmen verstieß gegen die EU- Sozialcharta.

Frage: Am 25. Januar 2015 hat SYRIZA mit großem Vorsprung die Wahlen gewonnen gehabt. Mit welchem Ziel und welcher Strategie hat SYRIZA die Regierung im Januar 2015 übernommen?

George Katrougalos: Die Situation nach dem Wahlsieg vom 25. Januar war ein äußerst hoffnungsvoller Moment. SYRIZA ging davon aus, über Spanien und Portugal einen Dominoeffekt auslösen zu können, der den neoliberalen Mainstream bricht. Denn Griechenland ist gegenüber Spanien, Portugal und Irland keineswegs eine Ausnahme, wie immer wieder behauptet wird.

SYRIZA wollte einen tiefen und weitgehenden politischen und wirtschaftlichen Wandel einleiten, und dabei nicht den Fehler wiederholen, der beim US-New-Deal in den 1930er Jahren gemacht wurde, dass nämlich nicht weit genug gegangen wurde im Verschieben der Machtverhältnisse.

SYRIZA hat sogar Obama auf der eigenen Seite gesehen, der sich ebenfalls gegen die Austeritätspolitik der EU ausgesprochen hat. Man ging davon aus, dass die EU zu dem Zeitpunkt auf globaler Ebene isoliert dasteht.

Bald musste die neue SYRIZA-Regierung aber ernüchternd feststellen, dass der Dominoeffekt nicht eintrat. Und ebenso ernüchternd mussten wir feststellen, dass wir die demokratische Arbeitsweise der Regierungen im EU-Rat völlig überschätzt hatten.

Auch die Aggressivität der neoliberalen Regierungen gegenüber Griechenland hat SYRIZA völlig unterschätzt.

Weiterhin haben wir die Rolle Junckers, der eine durchaus eigenständige Rolle gegenüber Merkel spielt, in seinen Möglichkeiten falsch eingeschätzt. Juncker und die Kommission waren verhandlungsbereiter als die Euro-Gruppe. Aber sie haben sich nicht so gegen Merkel und Schäuble durchsetzen können, wie SYRIZA es gehofft hatte.

Frage: Wie hat SYRIZA auf diese Erfahrungen reagiert?

George Katrougalos: SYRIZA hat auf diese Erfahrungen mit dem Referendum am 5. Juli 2015 geantwortet. Das war die demokratische Waffe der SYRIZA-Regierung gegen die Euro-Gruppe.

Die Euro-Gruppe hat ihrerseits dann damit gedroht, die griechischen Banken zu schließen. Tatsächlich hat die EZB die Liquidität der griechischen Banken nicht mehr erhöht, sondern hat sie blockiert. Und das, obgleich die griechischen Banken den Stresstest gut überstanden hatten.

SYRIZA hat die Euro-Gruppe für wesentlich pragmatischer gehalten, als sie sich entpuppt hat. Wir waren davon ausgegangen, dass in diesem Pokerspiel die Euro-Gruppe nicht bis an den Punkt gehen würde, einen Grexit zu riskieren. Doch die Euro-Gruppe hat sich in dieser Auseinandersetzung als weitaus ideologischer erwiesen als SYRIZA.

Da ein Grexit aufgrund seiner unabsehbaren negativen Folgen für Griechenland für SYRIZA nicht in Frage kam, hat Alexis Tsipras unter diesen Bedingungen den Vorgaben der Euro-Gruppe zustimmen müssen. Eine Ablehnung einer Einigung mit der Euro-Gruppe hätte zum Zerfall des griechischen Staates führen können.

Frage: Aber hat SYRIZA nicht damit alle Positionen, mit denen sie zur Wahl im Januar angetreten war, geopfert?

George Katrougalos: Insgesamt sind die Auflagen tatsächlich gegenüber dem zweiten Hilfspaket noch einmal verschärft worden.

In zwei Punkten hat SYRIZA jedoch Veränderungen erzielen können, die Spielräume eröffnen, die es zuvor nicht gab. So sind die Bereiche Wasser, Energie und Post aus dem Privatisierungsprogramm ausgenommen worden. Das räumt auch der zukünftigen Regierung Handlungsspielräume im Umgang mit Energie-Armut ein. SYRIZA hat in diesem Punkt bereits einiges getan.

Ebenso sind Verbriefungen von Häuserkrediten bei den Banken verhindert worden. Das ermöglicht ein einfacheres und flexibleres zukünftiges Umgehen mit diesen Häuserkrediten[2] seitens der Regierung.

Insgesamt enthält das neue MoU weniger konkrete Regelungen. Statt dessen heißt es nun, dass die vereinbarten Reformen sich an „best practice“ Beispielen innerhalb der EU orientieren sollen. Diese Regelung eröffnet Spielräume.

Politisch gesehen stellt die Debatte um Griechenland in der ersten Jahreshälfte 2015 einen wichtigen Erfolg dar: Sie wurde nämlich nicht mehr allein auf nationaler Ebene geführt. Varoufakis ist u.a. in deutschen Medien ausführlich zu Wort gekommen. Und Schäuble ebenso in griechischen Medien. Hier ist im Ansatz ein europäischer Raum im Sinne Habermas' entstehen. Und das ist eine Errungenschaft!

Frage: Am 20. August hat Alexis Tsipras öffentlich seinen Rücktritt als griechischer Premier verkündet. Für den 20. September 2015 sind Neuwahlen angesetzt. Welche Perspektiven hat SYRIZA eine Woche vor den Neuwahlen? Und wer käme als Koalitionspartner für SYRIZA in Frage angesichts der Umfragen, die darauf hindeuten, dass SYRIZA keine absolute Mehrheit erreichen wird?

George Katrougalos: Im Wahlkampf erklärt SYRIZA natürlich das, was in der Zeit vom 25. Januar bis jetzt gemacht und erreicht wurde.

SYRIZA wird den zuvor beschriebenen neuen Spielraum innerhalb des MoU erklären und im Falle eines erneuten Wahlsieges nutzen, um die Situation in Griechenland zu verbessern.

Und selbstverständlich will SYRIZA die nötigen Reformen zur Bekämpfung von Korruption und Klientelismus weiterhin durchsetzen.

Die Bekämpfung von Korruption und Klientelismus lässt sich allerdings nicht mit der Nia Demokratia (ND) durchsetzen. Deshalb wird es mit der ND auf keinen Fall eine Koalition geben. Denkbar ist eine Koalition mit PASOK, da PASOK mittlerweile eine neue Vorsitzende hat, die nicht durch Korruptionsskandale vorbelastet ist.

Frage: Für eine linke Partei sind Gewerkschaften wichtige Bündnispartner. Welches Verhältnis hat SYRIZA zu den griechischen Gewerkschaften?

George Katrougalos: Die griechischen Gewerkschaften stellen für SYRIZA ein nicht zu unterschätzendes Problem da. Ihre Leitungsorgane sind oft in Korruption und Klientelismus verwickelt. Gewerkschaften haben deshalb im Privatsektor ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Bekämpfung von Korruption und Klientelismus trifft also auch die Gewerkschaften. Daher rechnet SYRIZA mit Widerstand gegen Reformen aus den Gewerkschaften. Das macht eine Zusammenarbeit mit den griechischen Gewerkschaften so, wie sie heute sind, schwierig.

Frage: Wie oben dargelegt wurde, ist die von der Euro-Gruppe erzwungene Sparpolitik nachweisbar gescheitert. Statt auf Austerität setzt SYRIZA auf Wachstum. Welche wirtschaftspolitische Strategie verfolgt SYRIZA?

George Katrougalos: In der Wirtschaftspolitik setzt SYRIZA auf eine Neuausrichtung, das heißt auf eine Stärkung der griechischen Wirtschaft statt auf eine weitere innere Abwertung, die die Wirtschaft in den letzten Jahren in die Rezession getrieben hat.

Zur Neuausrichtung der griechischen Wirtschaft gehört die Gründung einer Förder- und Entwicklungsbank, die aus der Fusion zweier bereits bestehender Banken hervorgehen soll.

SYRIZA baut bei der Neuausrichtung der Wirtschaft weiterhin auf das QE-Programm[3] der EZB und auf den Juncker-Plan[4], um an dringend benötigte Finanzmittel für Investitionen zu kommen.

Frage: Mangelnde Investitionen sind nur ein Problem. Ein anderes ebenso großes Problem sind die makroökonomischen Ungleichgewichte innerhalb des Euro-Raums, die Handelsbilanzüberschüsse der einen, wie z.B. Deutschlands, und die Handelsbilanzdefizite der Länder wie z.B. Griechenland. Wie soll damit aus Sich von SYRIZA umgegangen werden?

George Katrougalos: Zur Bekämpfung der makroökonomischen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone sind Ausgleichsmechanismen nötig. Die vorhandenen EU-Strukturfonds sind dazu zwar gedacht, sie leisten aber bei weitem nicht den nötigen Ausgleich. Für einen angemessen Ausgleich ist eine Vertiefung der politischen Integration der EU nötig.

Bei der gegenwärtigen neoliberalen Ausrichtung der großen Mehrheit der Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten bedeutet eine Vertiefung der politischen Integration allerdings zugleich eine Stärkung des Neoliberalismus. Das ist das Dilemma, das zu lösen ist. Deshalb ist eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse innerhalb der EU unumgänglich.

Frage: Welche weiteren auch inneren Reformen und Schritte gegen die von der Euro-Gruppe erzwungene Verarmungspolitik plant SYRIZA im Falle eines erneuten Wahlsieges?

George Katrougalos: Das Auslandsvermögen von griechischen Staatsbürgern wird nicht mehr geschont und die Klientel der alten Parteien wird grundsätzlich nicht mehr geschützt. Erste Schritte hat SYRIZA bereits in den zurück liegenden Monaten getan, etwa im Blick auf die so genannte Lagarde-Liste.

SYRIZA hat in der staatlichen Verwaltung mit einem Problem zu tun: Es gibt zu wenig Beamte, um die nötigen Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerflucht und Steuerbetrug kurzfristig umsetzen zu können. Seit 2010 ist die Zahl der Beamten auf Druck der Euro-Gruppe von ca. 920.000 auf rund 600.000 nach aktuellem Stand verringert worden. Die Steuerbehörde muss also teils neu aufgebaut werden, um die nötigen Aufgaben erfüllen zu können.

Insgesamt sind die Dienstleistungen der Verwaltungen schlecht. Sie sollen verbessert werden. Dazu will SYRIZA das schwedische 360-Grad- Evaluationssystem einführen.

Im Blick auf die Renten, die um bis zu 40 % gekürzt wurden, gibt es die Vereinbarung mit der Euro-Gruppe im neuen MoU, dass Kürzungen im Bereich der niedrigen Renten zurückgenommen werden können, sobald ein neues, modernisiertes Rentensystem eingeführt ist.

Frage: Ohne eine Machtverschiebung innerhalb der EU sind die meisten politischen Ziele von SYRIZA kaum umzusetzen. Um eine Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der EU zu erreichen, braucht SYRIZA Bündnispartner. In den letzten Monaten sah es so aus, dass SYRIZA auf EU-Ebene mehr und mehr isoliert dastand. Wo sieht SYRIZA die nötigen Bündnispartner für eine Machtverschiebung in der EU?

George Katrougalos: In den Monaten der SYRIZA-Regierung hat es eine interessante Entwicklung innerhalb der europäischen Sozialdemokratie gegeben. Der linke Flügel in den sozialdemokratischen Parteien in Italien, Frankreich, Österreich und Luxemburg ist sehr viel sichtbarer geworden auf EU-Ebene. SYRIZA hofft, von dieser Seite zukünftig auf eine breitere Unterstützung ihres politischen Kurses auf EU-Ebene.

Die IAO (Internationale Arbeitsorganisation in Genf) fordert die Wiedereinführung eines Tarifrecht in Griechenland. Das ist eine Unterstützung für SYRIZA, denn die Wiedereinführung eines Tarifrechts ist auch unser Ziel.

Die deutsche Arbeitsministerin Andreas Nahles (SPD) hat mich zu einem Gespräch eingeladen.

Alexis Tsipras hat sich mit einem Brief an Martin Schulz gewandt.

Ich habe mich in einem Brief an das Europäische Parlament dafür eingesetzt, dass das Europäische Parlament im Blick auf die Troika eine Rolle erhält. Der Ausschuss des Europäischen Parlaments für Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten (EMPL)[5] soll nach meinem Vorschlag die Hauptverantwortung innerhalb des EP im Blick auf die Troika übertragen bekommen.[6]

Diese Entwicklungen sind erste Zeichen für eine beginnende Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der EU.

Frage: Was erwartet SYRIZA von der Wahl am 20. September?

George Katrougalos: SYRIZA hat wegen der Kompromisse etwa ein Drittel seiner Abgeordneten im griechischen Parlament verloren. Die Kompromisse sind aber nötig gewesen um zu verhindern, dass der griechische Staat zerfällt.

Deshalb sind nun aber auch Neuwahlen nötig, um die griechischen Bürger und Bürgerinnen über diese politische Entwicklung abstimmen zu lassen und sie zu legitimieren.

SYRIZA hofft, dass es erneut einen ausreichenden Widerstand gegen das alte Regime gibt. Die Unterbindung von Steuerflucht, Korruption und Klientelismus, die nötige Reform Griechenlands erfordert einen Mentalitätswechsel und eine Qualifikation der Verwaltungsmitarbeitenden in Griechenland. Diese Reformen können nicht von außen kommen, sondern nur von innen.

[1]

George Katrougalos wurde nach der für SYRIZA erfolgreichen Wahl am 20. September 2015 erneut zum Arbeits- und Sozialminister ernannt.

[2]

Eine Hauptursache für Privatinsolvenzen in Griechenland sind Häuserkredite, die aufgrund der krisenbedingten Einkommensverluste nicht zurückgezahlt werden können; daher die Bedeutung dieser Vereinbarung.

[3]

QE = quantitative easing = quantitative Lockerung, gemeint ist das Aufkaufprogramm der EZB für Staatsanleihen, um Rezession und Deflation im Euro-Raum zu bekämpfen.

[4]

Gemeint ist der Europäischer Fond für strategische Investitionen (EFSI), der von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angestoßen wurde und daher meist als Juncker-Plan bezeichnet wird.

[5]

Vorsitzender des EMPL ist derzeit der linke MEP Thomas Händel.

[6]

In der bisherigen Diskussion zu diesem Punkt ist noch nicht klar zu erkennen, wie das EP bzw. der EMPL sich zur Troika verhalten sollte. Sinnvoll ist ohne Zweifel eine parlamentarische Aufsicht des EP über die Arbeit der Troika und eine Legitimierung der Arbeit der Troika allein auf der Basis der so genannten Gemeinschaftsmethode, also eines Gesetzgebungsverfahrens, an dem EU-Rat und Europäisches Parlament als gleichberechtigte Mitgesetzgeber beteiligt sind. In diese Richtung gehen auch die Forderungen des Berichtes des EP zur „Rolle und Tätigkeiten der Troika in Bezug auf Programmländer des Euro-Raums (2013/2277(INI))“ vom 13. März 2014.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

klute

Jürgen Klute, Mitglied des Europäischen Parlaments von 2009 - 2014. Theologe, Sozialpfarrer, Publizist & Politiker aus dem Pott.

klute

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