Merch Cuts bei Konzerten: Einfach nicht mehr mitmachen?

Musiktagebuch Immer mehr Veranstalter verlangen von Bands einen Teil des Merch-Umsatzes bei Konzerten, den „Merch Cut“. Doch langsam regt sich Widerstand: Bands wehren sich gegen Veranstalter
Ausgabe 25/2023
Wesentliche Einnahmequelle: Band-Merchandise
Wesentliche Einnahmequelle: Band-Merchandise

Foto: Kevin Winter/Getty Images für Sirius XM

Es muss eine skurrile Zeit gewesen sein, als die Straight-Edge-Bewegung im US-amerikanischen Punk an Fahrt aufnahm. Etliche Jugendliche, die eben noch hemmungsloses Saufen und Drogennehmen als Ausdruck ihres hedonistisch-anarchistischen Lebensstils begriffen, hörten Anfang der 1980er Jahre den Song Straight Edge der Hardcore-Band Minor Threat und wollten fortan mit Alkohol und anderen Drogen nichts mehr zu tun haben.

Den Veranstaltern von Konzerten gefiel das gar nicht. Sie stellten fest, dass ihre Shows zwar gut besucht waren – die Besucher*innen aber kaum noch tranken. Ein wesentlicher Teil ihres Gewinns am Abend ging damit flöten. Schnell kamen sie auf eine pfiffige Idee: Geld floss zwar nicht mehr an der Bar, dafür aber am Verkaufstisch für Merchandise-Artikel. Warum also nicht dort ein wenig mit abgreifen?

Der „Merch Cut“ war geboren. Das Prinzip funktioniert so: Verkauft eine Band auf einem Konzert Shirts und andere Artikel, verlangt der Veranstalter am Ende des Abends einen Teil vom Umsatz. Gerechtfertigt wird das seitens der Veranstalter damit, dass sie Räumlichkeiten und Personal für das Konzert zur Verfügung stellen und daher ein Anrecht auf Beteiligung hätten. Manchmal nehmen die Veranstalter den Bands das Merch-Geschäft sogar komplett aus der Hand und beauftragen ein externes Unternehmen mit dem Verkauf – natürlich gegen Provision.

Für Bands und Künstler*innen sind Merch Cuts ärgerlich, denn: Merchandise-Verkäufe gehören zu den wenigen Einnahmequellen für sie, bei denen ein großer Anteil vom Geld direkt in die eigene Kasse fließt. Gerade in Zeiten, in denen selbst hohe Streamingzahlen nicht garantieren, dass Musiker*innen von ihrer Kunst leben können, sind diese Einnahmen aus dem Livegeschäft enorm wichtig geworden.

Die Musikindustrie versucht, Merch Cuts als normal zu etablieren

In der jüngst veröffentlichten, gelungenen BR-Dokureihe Dirty Little Secrets, welche die dunklen Ecken der Musikbranche beleuchtet, kommt das Thema Merch Cuts kurz zur Sprache. Dort ist es die Gießener Band OK KID, die während des Interviews überrascht feststellt, dass sie am gleichen Abend in einem Haus spielen wird, das einen Merch Cut verlangt. So weit verbreitet wie in den USA ist die Praxis hierzulande noch nicht, aber sie wird europaweit immer häufiger und betrifft längst nicht mehr nur die ganz großen Stars mit ihren Arena-Shows.

Eingebetteter Medieninhalt

So häufig, dass schon im Februar der Schlagzeuger der britischen Metalband Architects, Dan Searle, auf Twitter einen Aufstand nahelegte: „Wann streiken wir und werden diese irren Merch Cuts los?“ Zwar blieb ein Streik aus, doch viele Bands meldeten sich – und zeigten, welche Veranstalter eine Kommission verlangen und wie viel. Vor einigen Wochen haute dann die US-amerikanische Metalband Russian Circles bei einer Show in Paris auf den Putz. Der Veranstalter verlangte eine 25-prozentige Provision auf alle Merch-Verkäufe, plus 20 Prozent Umsatzsteuer. „Wir haben nun offenbar die Wahl, unsere Preise anzuziehen oder Geld zu verlieren“, schrieb die Band im März auf Instagram. Sie entschied sich dafür, gar keinen Merch zu verkaufen, und verwies auf einen Online-Shop.

Die Musikindustrie gibt sich viel Mühe, das Verfahren als neue Normalität zu etablieren. Doch es regt sich ein wenig Widerstand. In Großbritannien listet die Initiative #100PercentVenues alle Clubs, die keinerlei Kommission verlangen – und schafft so ein wenig Transparenz für Künstler*innen und Fans.

Ob Merch Cuts wirklich einst als Reaktion auf die Straight-Edge-Bewegung entstanden sind, ist nicht bewiesen. Trotzdem lässt sich aus diesem Moment der Punk-Szene eine Lehre ziehen: Manchmal muss nur einer nicht mehr mitmachen, und schon wird plötzlich alles anders.

Jetzt schnell sein!

der Freitag digital im Probeabo - für kurze Zeit nur € 2 für 2 Monate!

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden