„Komet“ von Apache 207 und Udo Lindenberg: So genial wie Schnapspralinen

Musiktagebuch Die Idee, Schnaps in Schokolade zu füllen: Genial! Noch genialer aber: Die Idee, den 77-jährigen Udo Lindenberg und den 25 Jahre jungen Rapper Apache für „Komet“ zusammen singen zu lassen. Ein Lied gleichermaßen für Abiball und Rentnerparty
Ausgabe 29/2023
Seine Zeiten scheinen noch längst nicht vorbei: Udo Lindenberg
Seine Zeiten scheinen noch längst nicht vorbei: Udo Lindenberg

Foto: Imago/Future Image

Stellen Sie sich vor: Sie werden Manager bei einem großen Musiklabel, dürfen für ein gutes Gehalt den schicken Titel A&R – „Artists and Repertoire“ – tragen und künftig nach neuen musikalischen Trends und ihrer marktlichen Verwertbarkeit Ausschau halten. Toll! Eine Karriere voll schillernder Partys, Shakehands und Schaumwein erwartet Sie!

Und der Job kann ja nicht so schwer sein, oder? Die Jugendlichen mögen – wie Generationen vor ihnen – irgendeinen Stil, der für sie identitätsstiftend ist. Danach muss man suchen, das muss man mit Geld bewerfen – fertig ist der Charterfolg! Schampus! „Das skaliert nicht!“, ruft Ihnen Ihr unzufriedener Labelchef entgegen. Jugendliche seien keine ernst zu nehmende Zielgruppe, sie seien chronisch pleite, wankelmütig – und vor allem: zu wenige. Die Hälfte aller Menschen in diesem Land ist 40 oder älter. Da wird noch Radio gehört, da werden Konzerttickets gekauft. Da liegt der Absatzmarkt!

Nun werden Sie nervös. Sollen Sie nun die nächste Helene Fischer finden, oder doch einen Tiktok-Rapper? Sie beschließen zu tun, was jeder gute A&R-Manager tut: Sie ziehen sich schick an, gehen in eine Bar, trinken – und verzweifeln. Ein melancholischer 80er-Jahre-Hit unterstreicht Ihr Gemüt. Etwas Vereinendes, das wär’s! Etwas, das Jung und Alt „abholt“. Etwas, das jeder kennt – aber neu! Etwas, das jeder mag – aber anders! Ein junger Rapper und ein … älterer Sänger! Ein Hit für jede „target audience“! Man bringe den Champagner!

So oder so ähnlich könnte es gelaufen sein, als der Song Komet, ein Feature zwischen dem Rapper Apache 207 und Sänger Udo Lindenberg, konzeptioniert wurde. Muss es aber nicht: Der 77-jährige Lindenberg, so wird berichtet, sei vielmehr bei einem Konzert des 25-jährigen Apache gewesen. Sie hätten sich kennen- und schätzen gelernt – und beschlossen, einen Song zu schreiben.

Ein musikalischer Geniestreich

Sektkorken dürften dann aber dennoch geknallt haben, denn: Tatsächlich wurde Komet zum ersten Nummer-1-Hit in der immerhin über 50-jährigen Karriere von Udo Lindenberg. Und nicht nur das: Das elegant-nostalgische Feature mit sentimentalem 80er-Jahre-Touch hat seit Januar die Top 10 der Charts nicht verlassen und rangiert nun neben Freddy Quinn und Matthias Reim unter den erfolgreichsten deutschen Songs aller Zeiten.

Kein Wunder: Das Lied ist ein Geniestreich. Komet spricht Teenager und Rentner an, taugt thematisch und musikalisch gleichermaßen für die Abiparty und Tante Hildegards 60. Geburtstag, verliert sich kompositorisch weder ganz in Nostalgie noch ganz im Trend. Eine Idee, so schräg und gleichzeitig so naheliegend wie Schnapspralinen.

Eingebetteter Medieninhalt

Vielleicht ist es einer gewissen popmusikalischen Gleichzeitigkeit geschuldet, dass nur fünf Monate später ein ähnliches Crossover in die deutschen Charts einstieg: Der Berliner Rapper Ski Aggu und der niederländische Künstler Joost Klein veröffentlichen im Mai 2023 ihren Techno-Remix Friesenjung. Darin enthalten: ein Sample des Songs von Otto Waalkes aus dem Jahr 1993 – der wiederum eine Parodie auf den Sting-Song Englishman in New York war.

Nachdem Ski Aggu den Song bereits mehrfach live gespielt hatte, baten er und seine Fans den Komiker um die offizielle Erlaubnis, das Sample benutzen zu dürfen. Waalkes stimmte zu. Die Parodie sei „die ehrlichste Form der Verehrung“, sagte er. Auch für den 74-Jährigen ist es der erste Nummer-1-Hit in Deutschland. Die 160 Beats pro Minute eignen sich nicht mehr ganz für Tante Hildegard, aber immerhin noch für den Junggesellinnenabschied, der Text frech, aber harmlos, die Inszenierung selbstironisch – clever!

Was erwartet uns als Nächstes? Nina Chuba vs. Vicky Leandros, Pashanim feat. Peter Maffay? Verzeihen Sie das abrupte Ende dieser Kolumne, liebe Leser*innen, aber ich habe einen Termin mit einem Labelchef ...

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