Taylor Swift legt sich mit der Musikindustrie an: Zurück in die Swifties
Swiftonomics Taylor Swift nimmt nicht nur ihre alten Songs neu auf, um die Rechte daran zurückzugewinnen. Die Sängerin ist selbst zum Wirtschaftsfaktor geworden, der Milliarden an Konsumausgaben garantiert
Sie ist eine Kämpferin für die Entrechteten in der Musikbranche
Foto: Jutharat Pinyodoonyachet/NYT/Redux/Laif
Man kann nichts gegen Taylor Swift sagen. Schließlich ist sie der beliebteste Popstar der Welt. Sie singt über gebrochene Herzen und Unsicherheiten, die wohl jeder kennt. Sie ist nicht so nervig perfekt wie andere Sängerinnen, läuft und springt wie Menschen, die nie zuerst ins Sportteam gewählt wurden. Sie macht echte Musik, mit ihren echten Händen an der echten Gitarre – und sie kann sich so unheimlich schön freuen. Swift kann nur ein guter Mensch sein! Mit dieser Kumpelhaftigkeit hat sie es sogar geschafft, nicht dafür kritisiert zu werden, dass sie der Popstar mit den meisten Privatjet-Meilen ist. Gerade wird wieder hochjauchzend über Taylor berichtet. Diesmal gilt sie als die große Retterin der Kunstfreiheit, weil sie nämlich
ich ihre Songs, an denen sie keine Rechte mehr hat, neu aufnimmt und so wieder zu ihrem Eigentum macht. Eine beispiellose „Songrechte-Ermächtigungsgeste“ nennt der Spiegel das. Aber ist Swift wirklich die Robin Hood der Musikindustrie, als die sie gefeiert wird?Die Rolle von Scooter Braun, des Ex-Managers von Justin BieberAngefangen hat der Ärger, als 2019 ihr früheres Label „Big Machine Label Group“ verkauft wurde. Swift hat dort ihre ersten sechs Alben veröffentlicht, nachdem sie mit 15 Jahren den Vertrag unterschrieben und die Rechte an den Aufnahmen abgegeben hatte. Taylors Musik, so las man, mache 35 Prozent des Marktanteils von Big Machine aus. Dann wurde die Firma verscherbelt (Swift war 2018 bereits zu einem anderen Label gewechselt), und mit der Firma die Rechte an ihren Songs. Und zwar an den Unternehmer Scooter Braun.Das war eine Geschäftsentscheidung, die Swift damals persönlich nahm.Scooter Braun ist Talentmanager, Investor und war früher mal der Manager von Justin Bieber. Swift beschwerte sich öffentlich via Tumblr über den Deal, weil sie sich von Braun schon länger gedemütigt fühlte. Dieser Mann habe sie manipulativ schikaniert, ließ Swift damals wissen. Unter anderem habe er mit Kanye West zusammengearbeitet, der wiederum nicht nur Swift öffentlich gedisst hatte, sondern in einem Song sogar rappte, er habe diese „bitch“ berühmt gemacht.Später legte West sie in seinem Musikvideo – nicht die echte Taylor Swift – nackt ins Bett mit Donald Trump oder Rihanna. Kanyes damalige Ehefrau Kim Kardashian reagierte auf Swifts öffentliche Beschwerde mit einem mitgeschnittenen Telefongespräch. Dort klang es so, als hätte Swift ihre Zustimmung zu dem Diss-Text gegeben. Höhepunkt der billigen Klatschbefriedigung. Justin Bieber postete dann auch noch ein Foto, auf dem er, Braun und West zu sehen waren, und das sei dann noch eine weitere Schikane gewesen. Doch ist es glaubwürdig, dass Scooter Braun geschätzte 300 Millionen Dollar ausgibt, einzig um Swift zu ärgern? Und kann eine Künstlerin entscheiden, an wen ihr ehemaliges Label verkauft wird?Aufruf an die „Swifties“Der damalige Label-Chef Scott Borchetta veröffentlichte persönliche Nachrichten, die im Laufe der Vertragsverhandlungen von Swift und ihrem Team verschickt worden waren. Die sollten unter anderem beweisen, dass Swift schon vorher von dem Verkauf wusste, weil ihr Vater vier Prozent Anteile an der Firma besessen habe, während sie sagte, sie habe in den Medien davon erfahren. Letztlich wissen wir über die Interna der Schlammschlacht zu wenig, um uns ein Urteil zu erlauben.Scooter Braun jedenfalls verkaufte die Masterrechte der Songs dann später wohl recht lukrativ an die Investmentfirma Shamrock Capital weiter. Im Juni 2019 kündigte Taylor Swift an, ihre ersten sechs Alben neu aufzunehmen. Sie rief ihre „Swifties“, also die Ultra-Fans, dazu auf, ausschließlich die neuen Versionen ihrer Songs zu spielen. Und während sie in den letzten Jahren Milliarden von Streams mit Neuaufnahmen ihrer Originalhits sammelte, verlieren die Originale wohl an Wert – was Labels weltweit beunruhigen dürfte.Am 27. Oktober dieses Jahres wurde 1989 (Taylor’s Version) auf Spotify zum meistgestreamten Album und sie zur meistgestreamten Künstlerin an einem Tag. Der schwedische Streaming-Marktführer teilte mit, dass sie ihren eigenen Rekord vom Oktober 2022, als ihr Album Midnights innerhalb eines Tages öfter gestreamt worden war als jedes anderes Album zuvor, nun auch noch selbst überholt hatte. Die Streaming-Plattform mit den für Künstlerinnen und Künstlern ungünstigen Geschäftspraktiken lebt von diesen Meldungen, genauso wie die Künstlerin, die sie zur Musikerin der Superlative machen.1989 ist nicht nur das Geburtsjahr der Sängerin, sondern auch ihr erfolgreichstes Album. Über zwölf Millionen Mal, so liest man, sei es verkauft worden. In seiner neuen Version ist es die vierte von geplanten sechs Neuaufnahmen. Taylor’s Version enthält fünf bisher unveröffentlichte Songs. Und natürlich gibt es auch neues Merchandise zu der neuen alten Platte.It’s the swiftonomy, stupid!Die Sängerin hat einen Ruf als gute Geschäftsfrau. Das sieht man an unfassbar teuren Konzerttickets oder am im Eigenvertrieb kürzlich in den Kinos weltweit gezeigten (und künstlerisch eher unmotivierten) Konzertfilm, mit dem vor allem Swift verdient und kein nerviger Vertrieb. Und sie hat eine große Marktkraft. Ihre aktuelle „Eras Tour“ soll in den USA allein bis zu fünf Milliarden Dollar Konsumausgaben generieren. Das heißt, dort, wo sie auftritt, werden ganze Regionen wirtschaftlich beflügelt. Der Marktforscher Dan Fleetwood sagte, wenn Swift eine Wirtschaft wäre, wäre sie größer als 50 Länder. Selbst ihre aktuelle Beziehung mit einem Footballstar wird gekonnt vermarktet. Es heißt, der Geliebte habe sich nach Beginn der Beziehung schnell ein paar Markennamen gesichert. Denn schon nach Bekanntwerden nahmen die Trikot-Verkäufe der Football-Liga NFL zu. „Swiftonomics“ wird der Effekt genannt.Allerdings ist es auch nicht das erste Mal, dass die Musikerin Vertragspraktiken öffentlich kritisch anspricht, wie beim Verkauf ihres Labels an Scooter Braun.Im Jahr 2014 etwa hatte sie ihre Musik nicht für die Streaming-Plattform Spotify freigeben wollen, um so gegen deren kostenloses, durch Werbung finanziertes Abspielen zu protestieren und aufzuzeigen, dass Künstler zu wenig am Streamingmarkt verdienen. Geändert hat sich an diesen Praktiken nur marginal etwas. 2017 gab sie die Songs frei. Doch 2018, als sie den neuen Plattenvertrag mit Republic Records und Universal Music Group verhandelte, wurde berichtet, dieser Vertrag mache sie zur Kämpferin für Musiker. Denn sie forderte unter anderem, die Rechte an ihren Aufnahmen zu behalten und eine Ausschüttung an die Künstler aus dem Verkauf der Spotify-Anteile des Labels Universal. Jedenfalls wird nun berichtet, dass Plattenfirmen daran arbeiten, dass so etwas wie mit Swift erst mal nicht mehr passiert.Universal und andere Labels haben Verträge für Nachwuchsstars überarbeitetUniversal Music Group, Sony Music Entertainment und Warner Music Group haben laut dem US-Musikmagazin Billboard ihre Verträge für Nachwuchsstars überarbeitet. Künstlern sollen nun zehn, 15 oder sogar 30 Jahre warten, bis sie nach Weggang aus der Plattenfirma ihre Songs neu aufnehmen dürfen. Früher waren es meist fünf bis sieben Jahre nach Veröffentlichung des Originals oder zwei Jahre nach Ablauf des Vertrags. Für Künstler, die nicht so erfolgreich, reich und berühmt sind wie Taylor Swift (und es vielleicht auch nie werden) und die ihren Vertrag verlieren, wird es dann schnell existenziell.Für die Labels, die Künstlerinnen aufbauen, ist es zumindest aus geschäftlicher Sicht verständlich, dass sie ihr Kuchenstück nicht später wieder abgeben wollen. Billboard schreibt, Künstler und ihre Anwälte seien aber in letzter Zeit dazu übergegangen, Lizenzverträge abzuschließen, das heißt, das Eigentum an ihren Masteraufnahmen zu behalten und mit den Labels nur einen Vertrag über den Vertrieb der Musik für einen bestimmten Zeitraum abzuschließen. Das Recht, das Swift nun mit ihrer Marktmacht angeblich „erkämpft“ hat, ist allerdings für die wenigsten Künstler überhaupt wichtig, weil nicht oft vorkommt, was Swift passiert ist. Außerdem haben die allerwenigsten Künstler so viel Macht in den Verhandlungen wie sie. Swifts Protest ist vor allem interessant, weil er auch ein Machtspiel ist.Aber geht es hier wirklich um die Frage, wer mit Kunst wie viel Geld verdient, also um die interessante Frage, ob ein Künstler und sein Werk eigentlich ihm selbst gehören? Und nach welchen Regeln? Die Antwort gibt Swifts Bestreben nämlich nicht. Es zeigt vor allem, dass auch die echte Kunst längst zum Investment geworden ist. Und dass wir komplett im Zeitalter des Girl-Boss-Feminismus angekommen sind. In dem kann sich jede Geschäftsentscheidung für die eigene Firma immer auch als Empowerment für alle Frauen auf der ganzen Welt verkaufen lassen. Vielleicht aber ist Taylors Widerstand statt Selbstermächtigung auch einfach nur das: die charmante Geste einer Frau, die vor kurzem die Milliardärsgrenze geknackt hat.
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