Nach mehr als zehn Jahren der einbrechenden Verkaufszahlen glaubt die Musikindustrie, Streaming-Dienste könnten ihr den Weg zurück zum Wachstum weisen. Doch viele prominente Musiker sind anderer Meinung. Thom Yorke etwa nannte Spotify unlängst „den letzten verzweifelten Furz eines Sterbenden“. Und nun gibt Taylor Swift, als Weltstar der Stunde, der Debatte Zunder, indem sie all ihre Alben für Spotify sperrt.
Es geht vor allem darum, ob werbefinanzierte Gratis-Streamingangebote für die Branche den gleichen Wert haben wie reklamefreie „Premium“-Dienste, die eine monatliche Abo-Gebühr erheben.
„Die Premiumklientel sind für mich echte, aktive Plattenkäufer“, sagte Jonathan Dickens, der Manager von Adele, vor wenigen Tagen auf der Technologiekonferenz „Web Summit“. „Mein Vorschlag im Fall Taylor Swift wäre, neue Veröffentlichungen anfangs nur im Premiumdienst zugänglich zu machen und erst später im Gratisdienst. Aber das wird Spotify nicht tun.“
Gerade der Streit mit Taylor Swift könnte für Spotify gefährlich werden. Gewohnt ist man dort Künstler/innen wie Adele, Coldplay und Beyoncé, die ihre neuen Alben in den ersten Monaten von den Streamingdiensten fernhalten, um CD-Verkäufe und Bezahl-Downloads zu maximieren. Indem sie jedoch all ihre bisherigen Veröffentlichungen von Spotify abzieht, hebt Swift die Diskussion auf eine neue Ebene. Ihre Musik bleibt per Streaming zugänglich, aber nur bei der reinen Premiumkonkurrenz wie Rdio, Napster oder Beats Music.
„Mein Lebenswerk soll nicht zu einem Experiment beitragen, bei dem die Schöpfer der Musiker nicht angemessen vergütet werden“, erklärte Swift in einer ersten Stellungnahme. „Ich bin überhaupt nicht einverstanden mit der Haltung, dass Musik keinen Wert habe und kostenlos verfügbar sein solle.“
Scott Borchetta, der Chef von Swifts Plattenfirma Big Machine, betonte, die Künstlerin stehe mit ihrer Ansicht nicht allein: „Spotify ist ein toller Dienst. Aber sie müssen ein besserer Partner werden.“
Im Gegenzug argumentiert Daniel Ek, Geschäftsführer bei Spotify, 50 Millionen aktive Nutzer, darunter 12,5 Millionen zahlende Abonnenten, und zwei Milliarden Dollar Tantiemen, die man seit 2008 an Label und Musikverlage ausgezahlt habe, seien Beweis genug, dass gerade die Politik, den Gratisnutzern keine Musik vorzuenthalten, zu wachsenden Abonnentenzahlen führe. In einem Blogbeitrag schreibt Ek: „Über 80% unserer Abonnenten haben als Gratisnutzer angefangen. Will sagen: Ohne Gratiskunden keine Bezahlkunden und keine zwei Milliarden Dollar.“
Schon jetzt hat Spotify mehr zahlende Kunden als all seine Rivalen zusammen. Seinen 12,5 Millionen Abonnenten stehen fünf Millionen bei Deezer entgegen. Rhapsody und Napster kommen zusammen auf zwei Millionen; von Rdio und Beats Music sind keine Zahlen bekannt.
Geschäftsführer Ek behauptete allerdings auch, Spotify zahle für Streams von „einem Top-Star wie Taylor Swift“ jährlich bis zu sechs Millionen Dollar, worauf Labelchef Borchetta erwiderte, im vorigen Jahr habe Big Machine für Spotify-Streams von Swifts Musik in den USA genau 496.044 Dollar erhalten. Spotify hielt dem wiederum entgegen, für Streams weltweit habe man in diesem Zeitraum zwei Millionen Dollar an Big Machine überwiesen, und 500.000 allein im Monat vor Swifts Rückzug.
Da die eine Seite mit US-Zahlen und die andere mit weltweiten argumentierte, hatte am Ende keine von beiden ganz Unrecht, doch der öffentliche Streit bezeugt ein gründlich zerrüttetes Geschäftsverhältnis. Wie um dies noch zu unterstreiche, sind die Swift-Alben neuerdings auch bei Googles „YouTube Music Key“ verfügbar, dem erst diesen Monat an den Start gegangenen jüngsten Spotify-Rivalen. Und das, obwohl sich auch dieser Dienst keineswegs bereit zeigt, Streamingangebote auf Bezahlkunden zu beschränken.
Bisher zieht Spotify im Streit mit Swift den Kürzeren. Ihr gerade erschienenes Album 1989 hat sich in der ersten Woche allein in den USA 1,2 Millionen Mal verkauft, während Spotifys Geschäftsmodell in der Kritik steht wie nie zuvor.
Schon länger beklagen Musiker, sie verdienten am Streaming nicht genug Geld. Und die Tatsache, dass sich Spotify in Gestalt von Aktienpakten, die beim Aushandeln der ersten Lizenzen verteilt wurden, zu mindestens 18% im Besitz großer Musikkonzerne befindet, verstärkt das Misstrauen. Manche Künstler haben den Verdacht, die Konzerne spekulierten bloß auf den Reibach, den sie bei einem Börsengang oder Verkauf von Spotify machen würden. Diese Profite, so die Befürchtung, würden dann – wie auch die riesigen Vorschüsse, die Spotify den Labels mit jedem neu verhandelten Lizenzvertrag gewährt – nicht fair mit den Musikern geteilt.
Dieses schwelende Misstrauen bildet den Hintergrund zum Streit mit Taylor Swift. U2-Frontmann Bono sagte in seiner Rede auf der „Web Summit“-Konferenz: „Der eigentliche Kampf ist nicht der zwischen Download und Streaming, sondern der zwischen Undurchsichtigkeit und Transparenz. Das Musikgeschäft blickt auf ein ziemlich ansehnliches Register von Betrügereien zurück.“
Darauf kommt auch Spotify-Geschäftsführer Ek in seinem Blogbeitrag zu sprechen: „Viele Probleme, an denen die Industrie seit ihren Anfängen krankt, bestehen weiterhin. Wenn sie die Tantiemen, die wir auszahlen, nicht pünktlich und transparent an die Kreativen weitergibt, ist das ein großes Problem.“
Spotify legt seine Tantiemenberechnungen detaillierter offen als die Konkurrenz und versorgt auch die Künstler mit Analysen, wie oft ihre Musik gestreamt wird. Doch die von Bono benannte „Undurchsichtigkeit“ liegt vor allem in den Lizenzverträgen und in den Arrangements zur Aufteilung der gezahlten Vorschüsse – und zwar nicht nur bei Spotify, sondern ebenso bei YouTube, Apple und jeder Firma, die im digitalen Musikgeschäft mitmischt. Nun kämpfen immer mehr Künstler (und auch ihre Manager) für größere Transparenz. Und bei dieser Schlacht, in der sie als wirksamste Waffe den Entzug ihrer Musik einsetzen, ist Spotify ins Kreuzfeuer geraten. Streaming ist für die Musikindustrie ein wesentlicher Teil der Zukunft, doch gedeihlich kann diese Zukunft nur sein, wenn dabei die Künstler nicht gelinkt, ausgegrenzt oder – wie im Fall von Taylor Swift – vergrault werden.
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