Warum wir nicht von K.-o.-Tropfen sprechen sollten
Missbrauch In der Berichterstattung über mutmaßliches Drogen-Spiking hat sich ein Begriff eingeschlichen, der Tätern nützt und ein misogynes Frauenbild reproduziert
Nicht nur wegen der aktuellen Vorwürfe gegen die Band Rammstein, auch wegen eines besonders ekelhaften Falles innerhalb der Berliner Polizei, ist derzeit wieder viel von sogenannten K.-o.-Tropfen zu lesen, die heimlich verabreicht werden, um Menschen wehrlos zu machen. Allerdings: K.-o.-Tropfen gibt es nicht. Was es gibt: um die 100 Substanzen, Medikamente oder Chemikalien, die bei falscher Einnahme zu Erinnerungslücken, Schläfrigkeit, eingeschränkter Mobilität führen können und deswegen auch bei Straftaten eingesetzt werden. Nicht alle sind flüssig, nicht alle bewirken einen Knockout. Und diese Ungenauigkeit ist gefährlich.
Aber es ist ein verführerisches Thema, steckt doch alles drin, um Klicks zu generieren: unterdrückte Frauen, eine
Knockout. Und diese Ungenauigkeit ist gefährlich.Aber es ist ein verführerisches Thema, steckt doch alles drin, um Klicks zu generieren: unterdrückte Frauen, eine gruselige Gefahr durch den fremden Mann, Drogen, Gewalt und Sex – wenn auch unfreiwilliger. Im letzten Jahr titelten Medien, es hätte eine „K.-o.-Tropfen-Attacke“ auf dem Sommerfest der Berliner SPD gegeben. Nach allem, was man heute über die Symptome der Betroffenen und des Ergebnisses eines Bluttests weiß, ist es zu wenig, um von einer Drogen-Attacke zu schreiben. Möglich wäre sogar, dass ein Reinigungsmittel in Gläsern, Essen oder Geschirr gelangt ist und Vergiftungserscheinungen ausgelöst hat. Opfer ernstzunehmen muss nicht heißen, Panik zu verbreiten. Aber aus der Angst vor den sogenannten „K.-o.-Tropfen“ ist längst ein Geschäft geworden. Ein deutsches Start-up wirbt für ein Armband, das auf diese testen soll. Es gibt damit die Verantwortung an die Opfer ab. Und es testet auch nur auf eine Substanz und bietet somit falsche Sicherheit.Jetzt könnte man sagen, das Problem sind ja wohl nicht die ungenaue Benennung, sondern Menschen, die anderen gegen ihren Willen oder ohne ihr Wissen Substanzen zuführen. Das stimmt, aber ungenaue Bezeichnungen und mangelndes Wissen erschweren Prävention.Die Bandbreite an Wirkstoffen ist großSeit Jahren wird etwa berichtet, die Chemikalien GBL beziehungsweise GHB würden am häufigsten eingesetzt, nachzuweisen ist das nicht. Im Gegenteil, es gibt Rechtsmediziner, die sagen, andere Stoffe würden in Verbindung mit Straftaten öfter registriert. Oft heißt es, GBL und GHB seien Geruchs- und Geschmacklos, aber mischt man GHB zum Beispiel mit Cola, ist der Geschmack immer noch sehr unangenehm. Das könnte doch abschreckender auf Täter wirken als der Mythos der unerkennbaren Substanz.Die Bandbreite an Wirkstoffen, die zu körperlichen Beeinträchtigung führen, ist recht groß. Sie wirken unterschiedlich, unterschiedlich schnell und sind unterschiedlich gefährlich. Sie werden zur Behandlung von Diabetes oder bei Depressionen eingenommen. Die Beratungsstellen nennen ungern konkrete Präparate, weil es zur Nachahmung kommen kann. Doch die Unterscheidung der Substanz ist auch aus juristischen Gründen wichtig. Werden Menschen gegen ihren Willen Stoffe verabreicht, die wie GHB, in zu hoher Konzentration und in Verbindung mit zu viel Alkohol auch zu Atemstillstand führen können, müsste das anders bewertet werden, da neben der Körperverletzung auch eine Todesfolge in Kauf genommen wird.Der Begriff K.-o.-Tropfen wird nicht nur im Boulevard auch gern als „Vergewaltigungsdroge“ umschrieben. Aber nicht die Droge vergewaltigt, sondern der Täter. Beim Horror-Szenario der hinterhältigen Substanzvergabe gerät schnell aus dem Blickfeld, dass es oft nicht der Fremde ist, sondern ein irgendwie Nahestehender. Fälle, in denen, zum Beispiel am Ende einer Party, eine Bekanntschaft ein Benzodiazepam als Einschlafhilfe anbietet, und das Abdriften dann als Zustimmung zum Sex missdeutet, sind ebenfalls problematisch, und kommen vermutlich häufiger vor.Die Berichterstattung ist häufig irreführendDas Wort „vermutlich“ ist hier aber das Problem. Es gibt nämlich kaum Zahlen, die erklären, wie viele Fälle es wirklich gibt. Fast jeder kennt jemanden, der sagt, ihm oder ihr sei das schon mal passiert. Zur Polizei gehen die meisten nicht. Sei es aus Stigma, Scham oder mangelndem Wissen. Denn es heißt in der Berichterstattung oft, die sogenannten K.-o.-Tropfen könne man nur wenige Stunden nachweisen. Das hängt allerdings vom Wirkstoff ab. Einige können zum Beispiel auch nach Wochen im Haar nachgewiesen werden. Eine weitere Ungenauigkeit, die nicht nur potenziellen Tätern hilft, sondern auch Ärzte veranlasst, von Blutuntersuchungen abzusehen oder mutmaßliche Opfer davon abhält, einen aufzusuchen. Denn will man in diesem, als körperlich und psychisch sehr vulnerabel erlebten Zustand, in ein Krankenhaus fahren – im ländlichen Raum kann das sehr teuer werden – um zu riskieren, dass sowieso nichts nachgewiesen werden kann oder will?Fragt man Rechtsmediziner, wie viele Fälle es eigentlich gibt, sagen sie, man wisse es nicht. Fragt man Polizeidienststellen, sagen die, es seien nicht so viele und nennen zweistellige Zahlen aus der Jahresstatistik. Fragt man Opfer-Beratungsstellen, sind die Zahlen, deutlich höher. Letztlich aber birgt die panisch und ungenau benutze Vokabel der K.-o.-Tropfen vor allem die Gefahr, dass Alkoholkonsum unterschätzt wird, der ähnliche körperliche Symptome auslösen kann. Niemand darf vergewaltigt, niemand betäubt werden, jedem Opfer muss man erst einmal glauben. Aber mit Wissen verhindern wir hoffentlich jeden Fall, der zu viel ist.