Buchladenkollektiv übernimmt feministischen Buchladen: Es bleibt alles neu
Feminismus „Lillemors“ in München: Der erste Frauenbuchladen Deutschlands hatte Schwierigkeiten, eine passende Nachfolge zu finden. Nun hat sich ein Buchladenkollektiv der Idee angenommen, den feministischen Buchladen weiterzuführen
Generationenwechsel in München: Die Bücher sind weiterhin in guten Händen
Illustration: der Freitag
Im ältesten Frauenbuchladen Deutschlands, „Lillemors“, sind im Oktober 2023 die Regale leer. Wenn man drinnen spricht, hallt es ein wenig. Draußen steht mit pinker Farbe am Schaufenster: „Hier geht’s bald weiter“. Und: „Glitch. Queerfeministischer Buchladen München“. Gegründet im November 1975 in München, musste Lillemors im Sommer nach fast fünfzig Jahren schließen. Trotz intensiver Suche fanden die Betreiberinnen erst keine Nachfolge: Eine Interessierte verließ aus Liebesgründen die Stadt. Andere wiederum konnten es sich nicht leisten, im teuren München ein solch prekäres Unterfangen zu übernehmen.
Sie kennen sich von der Universität
Doch dann tauchte unverhofft eine kleine Gruppe jun
e kleine Gruppe junger Menschen auf, die jetzt am alten Ort eine neue feministische Buchhandlung eröffnen wollen. Zwei von ihnen – Nadine und Johanna – sitzen am großen Tisch im ehemaligen Verkaufsraum von Lillemors. Nadine zeigt auf die Regale: „Die wurden damals von Schreinermeisterinnen eingepasst, die wollen wir natürlich drin lassen. Und hinten, wo früher die Galerie war, soll es auch weiterhin eine Galerie geben.“ Ansonsten wird sich jedoch inhaltlich und personell einiges verändern. Das fängt schon damit an, dass der Laden explizit auch Männer ansprechen will und auch ein Mann im Team mitarbeitet – Sebastian, ein Professor an der TU München und ehemaliger Kunde bei Lillemors. Als er von der Schließung des Buchladens erfuhr, wollte er das nicht hinnehmen.Er suchte und fand drei Mitstreiterinnen, um den Laden kollektiv aufrechtzuerhalten. Alle vier kennen sich über die Universität, wo sie auch arbeiten. Sie wollen den neuen Buchladen gemeinschaftlich und vorerst ehrenamtlich betreiben, erzählen Johanna und Nadine. Daneben soll es einen Verein geben, in dem sich weitere Menschen engagieren können – und zwar nicht nur Frauen. Der Frauenbuchladen wird ein queerfeministischer Buchladen. „Es geht uns um ein diverseres Verständnis von Feminismus an sich und nicht nur um die Rechte der Frauen“, sagt Johanna. Und Nadine ergänzt: „Also klar: Der Feminismus braucht die Männer nicht. Er hat die Männer noch nie gebraucht. Aber ich glaube, unter patriarchalen Strukturen leiden Männer schon auch extrem.“Der Feminismus-StreitWas das Thema Männer angeht, vertritt das neue Kollektiv damit eine ganz andere Haltung als Lillemors. Zumindest in den frühen Jahren wollte da niemand „die Männer mitnehmen“, erzählt Ursula Neubauer. Gemeinsam mit Andrea Gollbach hat sie über 20 Jahre lang „Lillemors Frauenbuchladen“ betrieben. Sie gehören zwar nicht zu den Gründerinnen, hielten aber bis zum Schluss durch. „Die Frau stand im Mittelpunkt, die war die Hauptprotagonistin, und nur darum ging es. Und ob Männer das jetzt gut fanden oder nicht, das war uns arschegal. Je weniger Aufmerksamkeit sie kriegten, desto besser. Und von uns haben sie keine Aufmerksamkeit gekriegt. Die hatten die Frauen – Punkt!“Beide Frauen sind nun in Rente. Das Gespräch findet daher in Ursula Neubauers Küche statt. Kekse und Kaffee stehen auf dem Tisch. Es ist gemütlich und die Stimmung vergnügt. Sie sind froh, dass kein Nagelstudio in die ehemaligen Räumlichkeiten von Lillemors einzieht, sondern wieder ein feministischer Buchladen.Allerdings sei es kein klassischer Generationenwechsel, sagt Andrea Gollbach. Schließlich werde nicht „Lillemors Frauenbuchladen“ übernommen, sondern es entsteht ein neuer Buchladen mit einer anderen Ausrichtung. „Zum Glück kommt noch der Feminismus vor“, so Andrea Gollbach. „Sie könnten sich ja auch einfach nur Queer Bookstore nennen und sagen: Okay, das subsumiert alles, was es so an Bewegung gibt.“Seit Jahren gibt es in der feministischen Bewegung einen heftigen Streit darüber, worum es beim Feminismus gehen soll: Kümmert er sich vorwiegend um Frauen und ihre Lebensrealitäten? Oder stellt er den Begriff „Frau“ an sich infrage und legt den Fokus auf queere Identitäten und unterschiedlichste Diskriminierungsformen? „Wir hatten niemand, die uns gesagt haben: ja, komm, wir nehmen dich auch noch mit. Wir mussten kämpfen“, erinnert sich Ursula Neubauer. Viel „Hiebe und Schmähungen“ hätten die Frauen damals aushalten müssen – von Schmierereien am Schaufenster bis hin zu Bespucken auf der Straße.Diese kämpferische und lustvolle Eigeninitiative erwartet Ursula Neubauer auch von Gruppen, die heute um Emanzipation kämpfen – „dass sie sich wirklich auf den Hosenboden setzen, Konzepte ausarbeiten, politisch agieren, auf die Straßen gehen. So!“ Auch wenn sie manches anders sehen oder gemacht haben – in den neuen Buchladen mischen sich Andrea und Ursula bewusst nicht ein.Sie sind neugierig und freuen sich auf das, was da neu entsteht. Diese Haltung entlastet die junge Gruppe. „Da bin ich wahnsinnig dankbar, dass da nicht so eine Erwartungshaltung an uns formuliert wurde, was jetzt hier stattzufinden hat und was der richtige Feminismus ist“, sagt Nadine. Wenn man die beiden nach dem neuen Konzept für den feministischen Buchladen fragt, fallen immer wieder die Schlagworte: „queer“, „divers“ und „inklusiv“. Was genau in den Buchregalen stehen soll, wird gemeinschaftlich ausgehandelt. Zu Lillemors’ Zeiten stieß man im Laden auf ein sehr undogmatisches Sortiment. Da lehnten Margarete Stokowski und Alice Schwarzer entspannt Buchrücken an Buchrücken. Johanna ist sich nicht sicher, ob das neue Team dies fortführen will. Für Nadine hingegen ist die Sache klar: „Schwarzer stelle ich nirgends hin.“„Hallo, liebe Menschen“Bei den ehemaligen Kundinnen von Lillemors stößt die Neuausrichtung bislang auf ein geteiltes Echo. Im ersten Newsletter begrüßte das neue Buchladenkollektiv die alte Kundschaft mit den Worten: „Hallo, liebe Menschen“. Eine Kundin schrieb daraufhin in einer Mail: „Wofür habe ich jahrelang gekämpft, wenn ich jetzt nur noch ein Mensch bin?“Auch für solche Diskussionen wolle man den Laden in Zukunft offenhalten, sagen Nadine und Johanna. Zugleich erfährt das Kollektiv viel Zuspruch von ehemaligen Kundinnen. Johanna erzählt lachend von einer Mail: „So toll, dass ihr das weitermacht, ich kann zwar nicht mithelfen beim Renovieren, weil ich 86 Jahre alt bin, aber wenn ihr Geld braucht, ruft mich an“, stand dort. Dieser emotionale und manchmal finanzielle Beistand hat auch Lillemors durch all die Jahre getragen. Und umgekehrt war auch Lillemors ein Ort für alltagsnahe Unterstützung. Gerade in der Anfangszeit sprachen viele Frauen hier zum ersten Mal über Gewalt- oder Missbrauchserfahrungen. Der Buchladen vermittelte Adressen oder Hilfen – etwa Anwältinnen für Scheidungen oder Ärztinnen für Abtreibungen. Später bildeten sich professionelle Beratungsstellen. Und doch blieb der Buchladen ein Ort der Begegnung.Manchmal kamen zum Beispiel Mütter, die unsicher waren, wie sie mit dem Coming-out der Tochter umgehen sollten. Manchmal waren es einfach kleine Alltagssorgen. Eine Kundin berichtete etwa immer wieder von ihrem verstorbenen Kanarienvogel. „Und der hab ich dann auch zehn Minuten zugehört“, sagt Andrea Gollbach. „Das war für mich praktische, solidarische Arbeit mit Frauen.“ Die neue Betreibergruppe will die Buchhandlung als einen Ort der Begegnung erhalten. Sie wollen nicht nur Bücher verkaufen, sondern wissen: Was brauchen die Leute vor Ort? Wie kann man sich umeinander kümmern? Ab sofort kann das herausgefunden werden: Seit knapp einem Monat hat „Glitch“ , was so viel wie „Fehler im System“ bedeutet, offiziell eröffnet.
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