Noch-Landrat Stephan Loge im Kreis Dahme-Spreewald: „Ich werde ständig bedroht“
Brandenburg Ist bald ein Rechter neuer Landrat im Kreis Dahme-Spreewald? Steffen Kotré (AfD) hat gute Chancen bei der Stichwahl im November. Hier erzählt der amtierende Landrat Stephan Loge (SPD), was dieser Kotré für ein Typ ist
In Schlabendorf am See bei Luckau hat jemandem das Plakat des AfD-Kandidaten nicht gefallen
Foto: Imago / Andreas Franke
Am 12. November steht die Stichwahl an im Brandenburger Kreis Dahme-Spreewald: Wird Steffen Kotré (AfD) oder Sven Herzberger (parteilos) neuer Landrat? Die absolute Mehrheit hatte Anfang Oktober keiner erhalten. Hier erzählt der bisherige Landrat, Stephan Loge (SPD), welche Erfahrungen er mit Rechten gemacht hat – sowohl im Kreistag und als auch beim Spazierengehen auf der Straße. Er selbst geht in Ruhestand.
der Freitag: Herr Loge, schlafen Sie gut dieser Tage?
Stephan Loge: Ich gehe mit schlimmen Gedanken ins Bett. Die Situation scheint dem zu ähneln, was ich mit den Jahren 1932 und 33 verbinde. Hitler und die NSDAP wurden ja mit konservativen Wahlbündnissen gewählt.
Vor drei Wochen haben hier im Landkreis Dahme-Spreewald 35,3 Prozent einen Kandidaten gew
Vor drei Wochen haben hier im Landkreis Dahme-Spreewald 35,3 Prozent einen Kandidaten gewählt, der zur AfD gehört.Nicht alle Wähler, die eine Partei mit nationalsozialistischem Grundgedanken wählen, sind Nazis. Aber sie gehen mit ihrer Verantwortung sehr locker um. Die Arbeitslosigkeit in unserem Landkreis liegt gerade mal bei drei Prozent – und da sind schon alle mitgezählt, die in Integrationsmaßnahmen stecken. Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit im Land. Natürlich gibt es auch Probleme: Gemeinden, die an die Berliner S-Bahn angebunden sind, klagen über Wachstumsschmerzen …Das reicht, um AfD zu wählen?Bei Menschen in meinem Alter beobachte ich so etwas wie ein deutsches Prinzip. Wir sind nicht besonders freundlich zu Ausländern. Waren wir nie. Jüngere stellen dazu die Frage, warum Menschen, die nicht arbeiten würden, Leistungen in Form von Bürgergeld empfangen – und nicht deutlich schlechter gestellt seien als Arbeitnehmer.Sie kennen den Kandidaten der AfD aus dem Kreistag. Warum wollen ihn über ein Drittel der Wähler als Landrat?Herr Kotré ist im Kreistag mit inhaltlicher Arbeit nicht aufgefallen. Seine Themen sind Asyl und Leugnung des Klimawandels. Damit eignet er sich nicht für die Leitung einer Kreisverwaltung. Zuletzt hat er gesagt, er könnte sich mit einem Atomkraftwerk im Kreis arrangieren.Das verschreckt keine Wähler?Offensichtlich nicht.Kotré sagt, er wolle im Amt erst einmal „aufräumen“.Ja. Und dann gibt es eben auch die Wortwahl der anderen Parteien: Die Linken sagen oft in einem Satz, sie seien „gegen den SPD-Filz und die AfD“. Dann können Menschen das nicht mehr unterscheiden. Ich finde das Spiel sehr riskant. Der CDU-Landtagsabgeordnete und Kreisvorsitzende redet immer laut über „SPD-Filz“, die AfD trägt dieses Mantra sowieso vor sich her. So gewöhnt man sich daran, gegen die da oben zu schimpfen.Was ist mit SPD-Filz gemeint?Konkret werden die Vorwürfe nie. Es geht darum, Schuldige für das Gefühl zu suchen, dass etwas nicht funktioniert. Die Verwaltung mache alles falsch und überhaupt tragen Ausländer für alles Schuld. Herr Kotré meint, dass für die im Landratsamt zu viele Menschen arbeiten. Andererseits gäbe überhaupt zu viel Personal. Gleichzeitig glauben die Bürger, dass Fahrerlaubnis, Kfz-Zulassungen oder Baugenehmigungen zu lange dauern. Wie das alles mit weniger Personal funktionieren soll, erschließt sich mir nicht.Ärger über niedrige Löhne, soziale Spreizung, das ist sozialdemokratisches, linkes Terrain. Warum gelingt es SPD und Linken nicht, das politisch aufzufangen?Die Sozialdemokratie ist in der Fläche nicht mehr kräftig genug.Und viele Linke scheinen die SPD beinahe zu hassen. Ich habe 16 Jahre versucht, so etwas eine kommunale Familie zu prägen. Dagegen gab es in den letzten Jahren immer mehr Widerstand – auch aus CDU und Linken, die stellvertretende Landräte und Beigeordnete stellten. Inzwischen scheint eine Generation herangewachsen zu sein, die parteiübergreifenden Pragmatismus einfach nicht mehr schätzt.War es eine kluge Strategie der SPD, den Wahlkampf eher wenig politisch zu führen? Vor allem bei den hohen Popularitätswerten der AfD?Unsere Sozialdemokraten haben den großen Fehler gemacht, keinerlei Bündnisse mit anderen Demokraten vorbereitet oder angestrebt zu haben.Placeholder infobox-170 Prozent der Wähler stimmten für Parteien, die Wahlkampf gegen die SPD gemacht haben.Ja. Seit 2017 gewannen immer mehr Bürgermeisterkandidaten, die sich gegen die SPD aussprachen. Sie gründeten Netzwerke, die ganz populistisch vorgingen und egoistisch Politik gegen den Kreis gemacht haben. Im Kreistag wurden plötzlich Lösungen für Schulen, die ja per Gesetz in unsere Zuständigkeit fallen, verhindert, wenn Kommu-nen sich da freiwillig engagieren sollten. Die gutsituierten Kommunen, die von der niedrigen Kreisumlage profitieren, schlossen zum Beispiel keine städtebaulichen Verträge mit großen Investoren ab. Nun müssen wir als Kreis für die weiterführenden Schulen in den nächsten beiden Jahren 200 bis 250 Millionen Euro Kredite aufnehmen.Hier im Landkreis kann man den Klimawandel gut beobachten. Aber über zwei Drittel der Wähler sperren sich gegen eine Politik, die dagegen vorgeht.Das macht mir große Sorgen! Wir sind eines der trockensten Reviere in Deutschland. Aber wenn wir Wasserentnahmeverbote aussprechen müssen, weil kein Grundwasser mehr da ist, hören wir, dass wir das nur täten, damit die in Berlin ihr Trinkwasser bekommen. Auch mal: Weil Berlin so rot sei. Sie können mit Studien kommen oder auf Dinge zeigen, die bei Bürgern vor der Tür passieren. Aber die wollen es nicht glauben. Vielleicht, weil sie große Angst davor haben, ihr Leben umkrempeln zu müssen.Haben Sie eigentlich auch schon bei Carsten Linnemann von der CDU angerufen?Den kenne ich nicht.Das ist der CDU-Generalsekretär. Der erzählt, dass bei ihm laufend Landräte anriefen, um sich über die Missstände in der Migrationspolitik zu beschweren. Haben Sie die hier nicht?Nein. Also, natürlich gibt es Probleme. Aber die sind nicht so, dass sie unsere Gesellschaft verändern oder bedrohen. Wir machen jetzt eine Unterkunft wieder auf. Als die das erste Mal eröffnet wurde, gab es riesige Widerstände, NPD-Demonstrationen, Riesengeschrei. Dann kamen Flüchtlinge und es wurde ein gutes Miteinander im Ort. Manche in der Gemeinde waren sogar traurig, als die wieder gingen.Das Thema Asyl ist hier gar nicht so wichtig?Wir haben längst nicht die Zahlen von 2015 oder 2016. Natürlich gibt es Vorfälle, in denen Menschen nicht da sind, wo sie eigentlich untergebracht sein sollten, oder sie sind da, wo sie nicht sein dürften. Es hakt bei der Integration, wenn man nicht hinterher ist. Aber das sind Dinge, die wird es immer wieder geben.Sie gehen nach 16 Jahren als Landrat in den Ruhestand. Wie hat sich das politische Geschäft aus Ihrer Sicht überhaupt verändert?Immer mehr Menschen, die sich politisch engagieren, vertreten Einzelinteressen. Ohne das Konstrukt von Land und Kreis zu berücksichtigen. Die fordern, Gebühren zu senken, wollen mehr Infrastruktur. Vorschläge dafür, wie man das finanzieren soll, haben sie nicht. Und der Umgang ist sehr viel härter geworden, man wird persönlich angefeindet. Kürzlich war ich mit meiner Frau paddeln, da brüllt einer von einer Brücke herunter: Er hätte seine Haubitze vergessen, das wäre doch jetzt die Chance, den Landrat zu versenken. Wo sei die Wehrmacht, wenn man sie brauche. So etwas erleben Sie vielleicht einmal im Monat.Wie gehen Sie damit um?Wie antworte ich Ihnen jetzt, ohne dass die sich freuen, damit in die Zeitung zu kommen? Sagen wir so, es bewegt mich sehr. Ich frage mich, ob ich als Person gemeint bin oder als Vertreter des politischen Systems.Haben Sie das Gefühl, dass sich Teile der Bevölkerung mittlerweile vom politischen System abwenden?Ich will es so nicht sehen. Aber ich fürchte, es ist so.
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