Radweg oder Parkplatz: Wie die CDU Berlins Verkehrspolitik verändert
Verkehr In Berlin siegte die CDU zuletzt mit einem Pro-Auto-Wahlkampf, seit einem Jahr ist deren Politikerin Manja Schreiner nun Verkehrssenatorin. Was ist aus ihrem Pro-Parkplatz- und Anti-Radwege-Kurs geworden?
„Mehr Miteinander“ fordert die Verkehrsenatorin Manja Schreiner (CDU)
Foto: Imago/Emmanuele Contini
„Ungneisig“. Vielleicht hat Manja Schreiner das Wort aus Mecklenburg mitgebracht, es hängt früh beim ersten Treffen in ihrem Senatorinnenbüro: etwas, woran man sich stößt. Eine Drohung, hinter der man sich verstecken kann. Menschen werden ungneisig, sagt Manja Schreiner, geboren 1978, ungenießbar. Wenn man die noch immer etwas neue Senatorin für Mobilität, Verkehr, Umwelt- und Klimaschutz eine Weile begleitet, merkt man: Manja Schreiner will machen, entscheiden. In Berlin erzählen sogar politische Gegner, sie sei sympathisch, zugewandt. Vergrätzte Bewohner aber wirken wie ein Magnet, an dem sie sich ausrichtet.
Verkehrspolitik hat einen Vorteil: Sie bietet Instrumente, um Probleme vor Ort anzugehen, Dinge zu verändern. Ander
ern. Anders als Kriege oder Fluchtwellen. Man kann wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen. Der Vorteil hat eine Falltür: Verkehr ist hyperlokal, sagen Forscher, alle sind beteiligt und haben eine Meinung. Manja Schreiner zu begleiten bedeutet auch zuzuschauen, wie weit sich der Spalt zwischen Rhetorik und Praxis öffnet.Am späten Nachmittag steht in ihrem Sekretariat ein Pilotenkoffer mit Unterlagen. Heben Sie mal, sagt ihre Sprecherin, der ist schwer. Schreiner erzählt oft, mit welcher Begeisterung sie sich in Details vertiefe und jede Sichtweise einnehme. Dann entscheide sie, pragmatisch. „Ganzheitlich“ nennt sie das. Sie formuliert eine Überzeugung: „Wenn wir mit unserer Politik die Leute verlieren, kann das nicht der richtige Weg sein.“ Hebt die Arme, Handflächen nach oben: „Wir sind uns alle einig, wir wollen weniger Autos auf den Straßen.“ Wenn man fragt, wie das gehen soll, Veränderung, ohne Menschen einzuschränken, holt sie tief Luft. „Da muss man abwägen.“Das Verkehrsklima in Berlin wird immer aggressiverSchreiner will ein Miteinander, das wollen auch CDU und SPD, die bald ein Jahr Berlin regieren. Gerade hat die Senatorin eine Kampagne für Respekt im Straßenverkehr gestartet, Erhebungen zeigen, dass das Verkehrsklima aggressiver wird. Die Senatorin setzt dagegen „mehr Miteinander“. Schreiner wuchs bei Rostock auf. Manchmal klingt das durch hintere Silben, wenn sie von ihren beiden Kindern erzählt. Ihr Vater arbeitete für ein Düngemittelunternehmen der DDR, die Familie zog 1987 nach Kairo, sah den Mauerfall im arabischen Fernsehen.Nach dem Jura-Studium: Rechtsabteilung Aida-Kreuzfahren, Rostock, dann Rechtsabteilung beim BDI, Berlin. Ihr Mann, Radfahrer, kommt aus Mainz, katholisches Elternhaus, CDU-Familie. Schreiner erzählt vom ersten Weihnachtstreffen in Mecklenburg. Heiligabend legten ihre Eltern die Lieblings-CD auf, zu viert skandierten sie, Manja Schreiner fällt in eine kehlige Stimme: Rammstein.Sie leitet die Rechtsabteilung des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, wird Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau: Verbände, die von Männern geprägt wurden, sagen sogar Männer, die sie prägen. In denen, erzählt eine Weggefährtin, man als Frau bestens vorbereitet alle Argumente auf seiner Seite haben kann. Dann steht einer auf, heißt vielleicht Wolfgang und sagt: Ohne mich. Wird dann nicht gemacht. Was lernt man als Frau mit Argumenten aus solchen Episoden? Ruhe bewahren. Weitermachen. Ignorieren.Das Motiv für den CDU-Beitritt: Natürlich Merkel!In Berlin regierte die SPD erst mit den Linken, dann mit den Grünen. Schreiner rückte über die Frauenunion in den CDU-Landesvorstand und bringt kulturkonservative Züge mit: Gendern verstoße gegen das natürliche Sprachgefühl, sagt sie. Liberalisierung von Drogen lehnt sie ab. Worte wie Sozialschmarotzer oder kleine Paschas sind ihr fremd. Lieber Merz oder Merkel? Sehr schnelle Antwort: Merkel, ganz klar. Etwas leuchtet auf in ihrem Gesicht: „Wegen Angela Merkel ging ich in die Partei.“ Freunden erzählte sie von politischen Ambitionen, im vorvergangenen Winter erklärte sie in einem Nischensender, sie stehe für große Aufgaben bereit.Groß wurde es: Schreiner übernahm die vielleicht komplizierteste Verwaltung, 1500 Mitarbeiter, sechs Referate. Wenn man das zur Anschaulichkeit kurz auf bundespolitische Dimensionen vergrößert, muss sie Volker Wissing, Steffi Lemke und ein halber Robert Habeck zugleich sein. Wie hat sie sich dem angenähert? Schreiner lacht. Über den Bereich Klima und Umwelt habe sie sich sehr gefreut. Kunstpause. „Über Verkehr habe ich gedacht, ups, das wird vielleicht eher emotional“.Hinter Emotionen stehen Zahlen: 1.242.504 Automobile sind in Berlin zugelassen. Vor zehn Jahren waren es fast 100.000 weniger. Nach München Rang zwei der stauanfälligsten Großstädte. Manche Zahlen wirken schizophren: Binnenfahrten mit dem Auto werden weniger, liegen drei Prozentpunkte unter dem Niveau von 1991 – aber von allen Kilometern werden 56 Prozent mit dem Auto gefahren. Etwas über ein Drittel mit dem öffentlichen Nahverkehr. Mit dem Rad sind es fünf Prozent, zu Fuß drei.Eine brisante Studie über den Berliner Bezirk MitteEs gibt eine Studie der Technischen Universität, die den Bezirk Mitte untersucht. Hier leben viele Menschen ohne Auto, weil sie nicht darauf angewiesen sind. In Mitte wird so viel zu Fuß gegangen und mit dem Rad gefahren wie nirgends sonst in der Stadt. Die Studie schaut sich die Verteilung der Flächen im Straßenraum an, prüft Kosten durch Unfälle, Lärm, Umweltverschmutzung. Mittes öffentlicher Straßenraum gehört hauptsächlich dem Auto, zu 49 Prozent nämlich. Autos verursachen die meisten Kosten, die die Allgemeinheit tragen muss. Parkende Fahrzeuge verbrauchen fünfmal mehr Fläche, als für Spielplätze da ist.Denn: Wer ein Auto hat, lässt es häufiger stehen, die Zahl der Dauerparker nimmt kräftig zu. Anwohnerparken kostet 10,20 Euro. Im Jahr. Die Studie stellt fest, dass die aktuelle Flächenverteilung „nicht dem Gemeinwohl dient und hauptsächlich Haushalten mit einem hohen ökonomischen Status und einem eigenen Pkw nutzt“.Sauvesper, eine Veranstaltung im Tegeler Forst, Wildschwein verschieden gegart, köstliches Rotkraut, Fackelschein, Hubertusmarsch. Manja Schreiner hält eine kurze Rede, steht danach an einem Tisch, zeigt mit dem Arm die Höhe eines vielleicht dreijährigen Kindes an. So hoch stapeln sich Akten neben ihrem Bett. Sagt einen ihrer Lieblingssätze, er taucht in jedem Interview und jedem Tischgespräch auf: „Ich bin wie ein Schwamm.“Mit Fingerhakeln um den Haushalt kennt sich Manja Schreiner gut ausSie spricht viel mit Händen, sagt, ich mache mir Notizen, notiert in die Luft über ihrem Teller, erstens, zweitens, drittens, Mitarbeiter sollen verstehen, wohin sie will. Sie hat ein Dreivierteljahr mit mehr Schlagzeilen als jeder Landespolitiker hinter sich, die Universität Rostock überprüft ihre Dissertation nach Plagiaten. Immerhin, aus dem Fingerhakeln um den Haushalt kam sie gut heraus.In ihrem Amt konzentriert sich der sichtbarste Teil eines hart geführten Wahlkampfes. Die CDU hatte Plakate aufgehängt: Wir lassen uns das Auto nicht verbieten. Behauptete, Grüne, Linke, Sozialdemokraten wollten Autofahrern die Stadt verwehren. Als Senatorin gab Schreiner Interviews. Bürgern einfach nur Parkplätze wegzunehmen brächte die auf die Palme: „Wir wollen die Berliner nicht verärgern.“ Zuerst will sie Alternativen zum Auto ausbauen.Eine ihrer ersten Entscheidungen war eine Weisung an die Bezirke, darin sahen viele die Farben, die das Miteinander annehmen würde: Kein Radweg-Projekt solle Geld bekommen, wenn ein Parkplatz wegfalle. Sie korrigierte, fünf oder mehr Parkplätze seien gemeint. Aus dem Stopp machte sie ein Moratorium, nächste Korrektur: Radwege seien nicht gemeint, wenn schon im Bau. Dann wollte Schreiners Haus per Mail wissen, welche Wege eigentlich betroffen seien. Ein kommunikatives Desaster, Verwirrung.Fahrradwege werden über Jahre geprüftIn ihrem Büro erklärt Manja Schreiner, das sei kein Stopp gewesen, sondern ein Anhalten, sie wollte einen Überblick. Spricht dann selbst weiter vom Stopp. Werden Radweg-Projekte nicht über Jahre geprüft? Schreiner sagt, ihre grünen Vorgängerinnen hätten nicht alle Abteilungen einbezogen. Nicht ganzheitlich gedacht. Sie hielt jeden Morgen, acht Uhr, eine Fahrradlage und arbeitete sich in Detailfragen ein.Bei der Sauvesper erzählt Schreiner viel von Entscheidungen: Mehr und anders will sie es machen als ihre Vorgängerinnen. Sie löste die interne Projekteinheit Radverkehr auf, die einfache Lösungen entwarf, Projekte ohne jahrelange Planungen für Tiefbau und Ampelschaltungen. Gegen solche Radwege hatte die CDU im Wahlkampf protestiert.Und: Tramlinien dürften den Autoverkehr nicht bedrängen, da drohe: Ungneisigkeit. Stattdessen brauche es U-Bahnen und neue S-Bahn-Trassen. Schreiner hat häufig erklärt, die Fokussierung auf Klimaneutralität schmecke ihr nicht, sie wolle die Stadt an den Klimawandel anpassen.Kurz vor Weihnachten in ihrem Büro, ein Pilotenkoffer wartet, bei den Oberbürgermeister-Plänen zum Nahverkehrs-Transrapid ist Manja Schreiner eher am Rand beteiligt. Sie spricht lieber über Hauptstraßen. Auf denen solle Tempo 50 gelten. Damit der Verkehr fließt. Tempo 30 nur auf Nebenstraßen, das ist, entschiedene Stimmlage, auch eine Sache des gesunden Menschenverstandes.Magnetschwebebahn? Da lachen die VerkehrsforscherSo etwas muss man mit Verkehrsforschern besprechen. Und kann gequältes Atmen am Telefon hören: So etwas sei schon seit den 1980er Jahren wissenschaftlich widerlegt. Jedes Auto benötigt mehr Platz, je schneller es fährt. Studien erklären das, die in Schreiners Koffern stecken könnten – Umweltbundesamt, Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung: Straßenräume werden besser ausgenutzt, wenn Autos langsamer fahren – das reduziert Unfälle, der Verkehr fließt besser, leiser und produziert weniger Abgase.Höhere Auslastung der Kapazität erreicht, wer Straßenraum anders verteilt, auf Verkehrsmittel setzt, die mehr Menschen befördern und weniger Platz brauchen: Straßenbahnen, Busse, Fahrräder. Auch S-Bahnen und U-Bahnen halten Verkehrsforscher für richtig, sie seien aber vor allem beliebte Figuren der Politik – weil sie den Eindruck vermitteln, etwas passiere. Planung und Bau dauern Jahrzehnte, die Politiker sind dann längst weg. Wenn man Verkehrsforscher lachen hören möchte, fragt man nach Magnetschwebebahnen.Oliver Schwedes, Autor der Studie zum Bezirk Mitte, nennt sie eine „Zombi-Technologie“. Sie ist auch ein rhetorischer Kniff: Wer Verteilungskämpfe auf den Straßen nicht anfassen, aber alles anders machen will, kann mit fliegenden Taxis, schwebenden Bahnen in die Luft und zugleich in die Zukunft zeigen. Dort soll sich alles Ungemach lösen, gute Laune entstehen. Es geht also darum, kann man Oliver Schwedes Gedanken zusammenfassen, von Problemen abzulenken.Nein, sagt Saskia Ellenbeck, das Wort ungneisig kenne sie nicht. Aber die Grunewaldstraße: Blockrandbebauung, kleine Geschäfte, Wohnungen. Eine vielbefahrene Magistrale, zwei Spuren hinauf, zwei hinunter, eine dritte zum Parken. Lädt zum Rasen ein, erzählt Ellenbeck, seit Jahren beschweren sich Bewohner. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg will umbauen, Parken in der Mitte, eine Spur für den Fahrradweg, die Machbarkeitsstudie begann 2013.Der Protest half: Plötzlich wird die grüne Stadträtin ernst genommenSaskia Ellenbeck ist die zuständige Bezirksstadträtin und von den Grünen. Sie bekam eine Nachricht von Schreiners Staatssekretärin: Nach der Prüfung bedürfe der Radweg „einer grundsätzlichen Neubewertung“. Allerdings waren längst alle Verträge unterschrieben, vom Senat gab es einen Finanzierungsbescheid. Ellenbeck kennt keinen Fall, wo so etwas noch einmal gestoppt worden wäre. Radfahrer protestierten laut, die CDU im Bezirk eher verhalten. Und, deutlicher die Berliner Handelskammer: Sie hatte mit dem Bezirk eine Pilotstudie erarbeitet und wollte endlich Ladezonen organisieren, gegen wildes Parken verteidigen, Verkehrslärm reduzieren. Dieser Protest half: Plötzlich wurde Ellenbeck zu Ortsterminen eingeladen, sie sagt es nicht so, aber es müssen kuriose Begehungen gewesen sein. Einer von der Senatsverwaltung zeigte auf wartende Autos, sagte: Sehensemal, Stau. Ellenbeck rollt mit den Augen.Manja Schreiner winkte die meisten von neunzehn gestoppten Radwegen durch. Nach dem IHK-Einspruch auch noch die Grunewaldstraße. Allerdings kräftig geändert. Das Straßenwesen ist kleinteilig geregelt: Poller zum Beispiel brauchen Abstände. In der Grunewaldstraße war alles auf den Zentimeter abgemessen, statt Poller planten sie kniehohe Plastikbaken, Fachsprache: Leitboy III L82, Plastik, überfahrbar. Die brauchen keine Abstände. In der Neuplanung wurden sie gestrichen, Autotüren sollten wohl nicht dagegen stoßen. Der Radweg wurde schmaler, auch schwenkt er jetzt in die Straße, Verkehr kreuzt, so etwas ist gefährlich. Parkplätze zogen bis an Einfahrten, Radfahrer werden dann schlechter gesehen. Das sind substanzielle Änderungen, sagt Ellenbeck, der Weg wird unsicherer. Für erfahrene Radler kein Problem, für Ältere und Kinder schon. Die, die das Auto stehen lassen sollen, lädt er nicht ein.„Miteinander ist ein Trugschluss“, sagt Saskia Ellenbeck, „wenn man den Status Quo erhalten will.“ Sie hängt, ohne den Ton zu ändern, einen Satz an, der ahnen lässt, wie mühsam ihre Arbeit inzwischen ist: „Ich wünsche mir einfach mehr Fachlichkeit.“„Pragmatismus“, Manja Schreiner legt die Hände flach auf den Tisch, „bedeutet, dass man sich auch einmal mit 80 Prozent davon zufriedengeben muss, was fachlich richtig ist.“
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