Vom richtigen Hitzeschutz und dem doppelt negativen Effekt von Klimaanlagen
Klimakrise Hitzetage nehmen aufgrund der Klimakrise in Deutschland zu. Der Absatz von Klimaanlagen steigt, doch diese befeuern den Treibhauseffekt nur immer weiter. Wie wir uns im Sommer vor der Wärme schützen können, ohne das Klima zu belasten
Bitte nicht nachmachen: Es geht auch kühler ohne so viel Energieverschwendung
Illustration: der Freitag
Es war der höchste je gemessene Wert an einem Tag: 17,18 Grad Celsius betrug die globale Durchschnittstemperatur am 4. Juli 2023. Konkret bedeutete das für Südeuropa: über 41 Grad in Rom, 43 Grad auf Mallorca, 45 Grad in Katalonien. Rekorde im negativen Sinne, denn solch eine Hitze bedroht die menschliche Gesundheit. Schon 2022 sind in Europa über 61.000 Menschen an Hitze gestorben. Und auch wenn es zwischendurch angenehm kühl ist: Mit der Klimakrise müssen wir uns auf Hitzewellen einstellen. Wie aber schützen wir uns, wie kühlen wir unsere Lebensräume?
Ein naheliegender Reflex besteht darin, Klimaanlagen zu kaufen. Einmal klicken, installieren lassen, und schon herrschen kühle 21 Grad im Raum. Doch leider sind diese Klimaanlagen fü
gen für das Klima da draußen keine so gute Idee. Eine gewöhnliche Klimaanlage hat sogar einen doppelt negativen Effekt: Zum einen verbraucht sie ziemlich viel Strom, und wenn dieser aus fossilen Quellen kommt, dann wird dabei CO₂ ausgestoßen. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass Klimaanlagen und Ventilatoren zehn Prozent des weltweiten Stroms verbrauchen.Das fiese Kältemittel R410AZum anderen enthalten gewöhnliche Klimaanlagen sogenannte teilfluorierte Kohlenwasserstoffe (HFKW) als Kältemittel. HFKW sind leider sehr potente Treibhausgase. Das Kältemittel R410A zum Beispiel hat eine über 1.900-mal stärkere Wirkung auf das Klima als CO₂. Bei der Nutzung einer Klimaanlage werden HFKW nicht regulär freigesetzt, sie entweichen bei der Herstellung, Aufbewahrung und Entsorgung. 2021 haben stationäre Klimaanlagen in Deutschland so umgerechnet 1,3 Millionen Tonnen CO₂ verursacht. Das sind zwar weniger als 0,2 Prozent der deutschen Gesamtemissionen, aber weltweit haben HFKW einen großen Effekt. Sie zu vermeiden, könnte einer Studie zufolge bis Ende des Jahrhunderts einen Unterschied von 0,5 Grad Celsius Erderhitzung machen. Ihre schrittweise Reduktion ist daher in einem internationalen Abkommen festgelegt, bis 2030 will die EU die Emissionen von HFKW um fast 80 Prozent senken.In den USA, wo beinahe 90 Prozent der Privathaushalte eine Klimaanlage besitzen, sind die Kühlungssysteme für 100 Millionen Tonnen CO₂ verantwortlich – in Deutschland kühlen sich bislang gerade einmal drei Prozent der Privathaushalte auf diese Weise, aber in Büro- und Verwaltungsgebäuden liegt der Anteil deutlich höher, bei etwa 50 Prozent. Und: Der Trend geht eindeutig nach oben. So gab es 2020 bei Klimaanlagen ein Importplus von 72 Prozent gegenüber 2010. Im Sommer boomt die Nachfrage, die Installationsfirmen kommen nicht mehr hinterher.Sonnenschutz, Nachtlüftung und Elektrogeräte ausschaltenAlso einfach die Hitze aushalten? Das ist zumindest für die vulnerablen Gruppen, also für ältere oder kranke Menschen, für Kinder und für Schwangere keine Lösung. Welche Alternativen gibt es? Ruft man im Umweltbundesamt an, um sich über die Möglichkeiten der Gebäudekühlung zu informieren, landet man bei Jens Schuberth. Er arbeitet im Fachgebiet „Energieeffizienz“ und schafft es, eine halbe Stunde über kühle Häuser zu reden, ohne das Wort „Klimaanlage“ auch nur ein Mal zu nennen. „Das Umweltfreundlichste und Effektivste, mit der zunehmenden Hitze umzugehen, ist: Gebäude gar nicht erst warm werden lassen“, schießt Schuberth los und kommt sofort zum „allerwichtigsten Punkt“, dem „außenliegenden Sonnenschutz“; ein einfaches Rollo, eine Markise, Fensterläden oder durchsichtige Textilien, die außen vor dem Fenster angebracht sind, sodass die Sonne gar nicht erst in die Wohnung scheinen und diese aufwärmen kann. Mittlerweile gebe es eine Reihe von Angeboten, für die man nicht einmal in die Wand bohren müsse, sodass Mieter:innen sie selbst anbringen können. Wichtiger Hinweis von Schuberth: „Man muss den Sonnenschutz dann aber auch rechtzeitig bedienen, damit er wirkt.“ Also Rollo runter.Auch der zweitwichtigste Punkt für Jens Schuberth ist ganz einfach: die Nachtlüftung. „Sobald es draußen kühler ist als im Raum, sofort die Fenster aufmachen und so lange wie möglich durchlüften.“ Und, Lösung Nummer drei: Wärmequellen im Raum vermeiden. Hier gibt Schuberth eine kurze Nachhilfe in Physik: „Strom wird Wärme – über kurz oder lang.“ Also Elektrogeräte ausschalten.Elementar für die Effektivität dieser nicht-technischen Maßnahmen sei das menschliche Verhalten: „Man muss eben dran denken, die Fenster morgens zu schließen, bevor es heiß wird.“Glasfassaden sind am schlimmstenAuch bei den baulichen Maßnahmen ist Jens Schuberth Fan von Vermeidung – vor allem von großen Fensterflächen: „Glanzvolle Glasfassaden sind das Schlimmste, was man machen kann.“ Weiter sollten Architektinnen darauf achten, dass es in Räumen genügend wirksame Speichermasse gibt. Also Wände, Decken und Böden aus Materialien, die tagsüber Wärme aufnehmen und sie nachts beim Durchlüften wieder abgeben können. Ziegel seien dazu zum Beispiel besser in der Lage als Gipskarton.Wenn Gebäude an heißen Tagen trotz alldem zu warm werden, gibt es noch die Techniken der „passiven Kühlung“: Kühlsysteme, die keine oder wenig Energie brauchen, um Räumen Wärme zu entziehen. Zum Beispiel können Wärmepumpen passiv kühlen, wenn sie über Erd- oder Grundwasserwärme funktionieren. Wenn der Wärmeträger durch die Fußbodenheizung fließt, nimmt er Wärme auf und transportiert sie in die kühleren Bodenschichten. Nach einem ähnlichen Prinzip lässt sich auch mit einem Eisspeicher kühlen. Und dann gibt es noch die sogenannte adiabate Kühlung. Dabei wird das Wasser zum Verdunsten gebracht, die dafür nötige Energie kommt aus der Abluft der Lüftungsanlage, und die Kälte wiederum wird an die frische Zuluft übertragen. Derartige Systeme gibt es zum Beispiel im Bundeskanzleramt.Robert Habecks Gebäudeenergiegesetz will auch den Wärmeschutz regelnDoch bei der Umsetzung dieser Maßnahmen in der Fläche sieht Jens Schuberth vom Umweltbundesamt noch „mehr Baustellen als Lösungen“. Auf Bundesebene stehen die Anforderungen an die Gebäudekühlung in einem Gesetz, das mittlerweile alle Bürger:innen kennen dürften: im Gebäudeenergiegesetz (GEG).In der hitzigen politischen Debatte um das GEG im Frühjahr ging es fast nur um Heizungen, dabei sind in Paragraf 14 auch die Anforderungen an den „sommerlichen Wärmeschutz“ in Neubauten festgehalten. Wenn das Gesetz im nächsten Jahr noch mal grundsätzlich überarbeitet wird, empfiehlt das Umweltbundesamt der Bundesregierung, dann auch aktuelle Klimadaten als Maßstab für den sommerlichen Wärmeschutz hinzuzuziehen – denn aktuell bezieht der sich auf Klimadaten aus den Jahren 1988 bis 2007. Und nicht nur in Neubauten, auch im Gebäudebestand sollte es Anforderungen an den Wärmeschutz geben, findet Jens Schuberth: „Momentan denkt zum Beispiel niemand an eine Pflicht für außenliegenden Sonnenschutz.“Viele Baustellen bei der Hitzeanpassung gibt es auch auf der kommunalen Ebene. In einem Rechercheverbund haben Correctiv, NDR, WDR und BR alle Landkreise und Städte in Deutschland befragt, ob sie offizielle Hitzeschutzpläne haben. 84 Prozent der Antworten fielen negativ aus. Dennoch gab immerhin etwa die Hälfte an, bereits Bäume gepflanzt und Fassaden oder Dächer begrünt zu haben. Tatsächlich ist das städtebaulich die effektivste Maßnahme, um der Hitze entgegenzuwirken. Und: Je kühler ein Quartier, desto kühler auch die einzelnen Wohnungen darin.Krakau in Polen macht es vorStark verdichtete Innenstädte heizen sich im Sommer besonders auf und kühlen langsamer runter. So kann es im Zentrum einer Stadt bis zu zehn Grad Celsius wärmer sein als im Umland. „Grün hat in Städten eine elementare Funktion – auch für die Kühlung“, sagt Johannes Rupp. Er arbeitet am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) zu Klimaanpassung und forscht unter anderem zu grüner Infrastruktur in Städten. Rupp empfiehlt, grüne Räume bestmöglich zu erhalten und keine Bäume zu fällen. „Ein Baum entwickelt erst nach circa 40 Jahren eine optimale Klimawirkung. Das ist nichts, was wir durch Neupflanzungen schnell wiederherstellen können.“Auch auf Dächern gäbe es viel ungenutzte Fläche, die man bepflanzen könnte. „Im besten Fall verbindet man Dachbegrünung mit Solaranlagen und Möglichkeiten zum Rückhalten von Regenwasser. Dadurch lassen sich Nutzungskonflikte für die Flächen verringern“, sagt Rupp. Derartige Dächer gibt es bereits, allerdings seien das Pionierprojekte. Bei der Dachbegrünung gebe es noch viele Vorbehalte, was die Kosten und den Aufwand betreffe. „Da braucht es definitiv noch bessere Geschäftsmodelle.“Johannes Rupp hat im vergangenen Herbst eine Forschungsreise durch Polen und Frankreich unternommen, um herauszufinden, was wir von Städten in anderen Ländern lernen können. Aus dem mediterranen Marseille sind ihm die hellen Fassaden in Erinnerung geblieben: „Ich finde es ein Unding, wenn Architekten heutzutage noch dunkle Fassaden planen.“ Besonders beeindruckt war er von Krakau und der Art, wie dort Grünflächen und Gemeinschaftsgärten gefördert werden: „Es war für mich deutlich zu erkennen, dass die Leute aus der Nachbarschaft diese Räume annehmen und hier gemeinsam das Grün in ihren Quartieren gestalten.“Trinkwasserspender und öffentliche KühlräumeDer soziale Aspekt ist Johannes Rupp zufolge auch im Umgang mit der Hitze sehr wichtig. „Wir müssen uns vor allem um vulnerable Gruppen kümmern, die in schlecht gedämmten Wohnungen leben.“ Das sind nicht nur die erwähnten älteren und kranken Menschen, sondern auch Obdachlose, die der Hitze in der Stadt beinahe schutzlos ausgesetzt sind. Für diese Gruppen bräuchte es laut Rupp mehr Trinkwasserspender und an Hitzetagen öffentliche Kühlräume. Die erste Hitzenotunterkunft Deutschlands hat vergangenes Jahr in Berlin eröffnet, in Wien gibt es bereits seit 2017 ein „Cooling Center“ vom Roten Kreuz.Und auf wie viel Grad sollten Klimaanlagen in öffentlichen Kühlräumen oder auch in privaten Haushalten eingestellt werden? Das ist wiederum eine sehr komplexe Frage. Eine Klimaanlage, so Jens Schuberth vom Umweltbundesamt, sei dann vertretbar, wenn sie mit natürlichem Kältemittel laufe, also Wasser, Luft, Ammoniak, Kohlendioxid oder Kohlenwasserstoff – und nur dann, wenn trotz aller nicht-technischen Vorkehrungen wie Sonnenschutz und Nachtlüftung der Raum immer noch zu warm sei. Und was heißt „zu warm“? Rund 26 Grad seien eine gute Orientierung, auf wie viel Grad eine Klimaanlage eingestellt werden sollte. Bei über 30 Grad Außentemperatur, so Schuberth, fühle sich das kühl an.Placeholder authorbio-1