Klimakrise ist ungerecht! Wer unter der Hitze wieder am stärksten leidet
Ungleichheit Die einen im Garten, die anderen auf der Baustelle: Hitze trifft arme Menschen viel härter als reiche. Warum das so ist – und welche Daten in Deutschland zum Ändern dieser Ungleichheit fehlen, weiß Freitag-Autorin Ulrike Baureithel
Als Warmblüter ist der Mensch evolutionär benachteiligt, er kann seine Körpertemperatur nicht beliebig an die Außentemperatur anpassen, zittert bei großer Kälte und schwitzt bei Hitze. Zu seinen wichtigsten zivilisatorischen Leistungen gehört die Erfindung von Wärmesystemen, die ihn im Winter schützen, und von Kälteeinrichtungen, mit denen sich Räume im Sommer herunterkühlen lassen. Die USA sind Vorreiter bei dieser letzteren – bekanntlich klimaschädlichen – Anlage. Doch jetzt, wo sich im Südwesten der USA der Asphalt wölbt und die Menschen unter Rekordtemperaturen stöhnen, offenbart sich, dass auch in der Ersten Welt nicht alle Menschen gleichermaßen von den Auswirkungen des Klimawandels betro
troffen sind.Wer bei 45 Grad auf der Straße lebt und kein Geld hat, sich in eine Bar oder ein Einkaufscenter zu flüchten, ist der Hitze lebensbedrohlich ausgeliefert. Aber auch arme Menschen, die noch eine Wohnung haben, gehören zu den Hitzeverlierern. Eine 73-jährige Frau erzählt in einem Interview, dass sie Angst vor einem Hitzschlag habe, weil sie seit Wochen ohne Aircondition lebe. Eine neue kann sie sich nicht leisten. Aus den überhitzten Leitungen kommt kochend heißes Wasser, nachts kühlt es kaum mehr ab, die „Cooling Center“, öffentlich bereitgestellte Kühlräume, wie man sie inzwischen auch aus Frankreich kennt, sind in den USA überfüllt.Im Pool lässt sich die Hitze aushaltenEine in der Zeitschrift Science Advanced veröffentlichte Studie hat die Auswirkungen von Hitze im Hinblick auf sozioökonomische Parameter wie Haushaltseinkommen und Wohngegend für Los Angeles untersucht und kommt zum Schluss, dass ein Einkommensunterschied von jährlich 10.000 Dollar bei einer Temperatur von 45 Grad zu einer um 0,7 Grad höheren Hitzebelastung führt. Die Forscher:innen gehen davon aus, dass dabei die Lage der Häuser, die Vegetation der Wohnumgebung und die Nähe zur Küste eine wesentliche Rolle spielen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie der American Geophysical Union. Danach sind Menschen mit niedrigem Einkommen weltweit von Hitzewellen stärker bedroht als Wohlhabende, die der Hitze entweder entfliehen oder sich durch Klimaanlagen, oder Pools gegen sie schützen können.In Deutschland stecken solche Erhebungen noch in den Kinderschuhen. Zwar bilanziert das Robert-Koch-Institut (RKI) in Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltamt seit 1992 regelmäßig die Übersterblichkeit aufgrund von Hitzeereignissen, doch sozioökonomische Daten werden dabei nicht erfasst. Nach den Hitzejahren 1994 und 2003 mit jeweils rund 10.000 Hitzetoten stellte das RKI seit 2018 erstmals eine Übersterblichkeit in drei aufeinanderfolgenden Jahren fest, in den Jahren darauf waren es weniger – wahrscheinlich, weil sich die Bevölkerung besser an die Hitze angepasst hat.61.000 Hitzetote in EuropaDoch diese Statistiken sind auch im Hinblick auf die reinen Zahlen nicht besonders aussagekräftig. Denn erstens werden hitzebedingte Sterbefälle wegen anderer Vorerkrankungen nicht immer als solche erkannt und dokumentiert. Zum anderen geht das RKI von einem mittleren Wochenmittelwert von 20 Grad aus, während in internationalen Studien eine Durchschnittstemperatur von 17 bis 19 Grad unterlegt wird. Das führt zu erheblichen Schwankungen bei der Einschätzung von hitzeassoziierten Sterblichkeitsfällen.Eine auf das Jahr 2022 bezogenen Untersuchung, die in der Zeitschrift Nature Medicine publiziert wurde, zählt in Deutschland 8.173 Hitzetote. Nach Italien und Spanien liegt die Bundesrepublik an dritter Stelle in Europa, wo im Jahr 2022 mehr als 61.000 Menschen aufgrund hoher Temperaturen starben.Erwartungsgemäß trifft es vor allem Menschen von über 65 Jahren, für die Hitze ein besonderes Gesundheitsrisiko darstellt und die, alleinstehend lebend, oft unbemerkt hinter verschlossenen Türen sterben. Das Wissenschaftsteam um Joan Ballester rechnet bis zum Jahr 2030 mit mehr als 94.000 hitzebeeinflussten Todesfällen in Europa, bis 2040 sollen es sogar 120.000 sein. Und obwohl Hochwasserereignisse dramatischer wirken, lässt sich statistisch nachweisen, dass sie weniger Opfer fordern als Hitzewellen.Wer kann, zieht ins kühlere UmlandAuch hierzulande gilt, was sich schon während der Pandemie – und übrigens auch während der radioaktiven Belastung durch den Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 – beobachten ließ: Für die wohlhabenderen Mittelschichten, gar nicht zu reden von Großverdiener:innen, lässt sich die Katastrophe besser ertragen als für diejenigen, die gezwungen sind, in ihren eigenen heißen Wänden in der Stadt auszuharren. Der Trend, die Großstadt zu verlassen und ins Umland zu ziehen, wo es um bis zu zehn Grad kühler ist, hat sich mit Corona verstärkt.Die Überhitzung der Städte durch versiegelte Flächen, dunkle Dächer und fehlende Begrünung ist enorm, besonders in Stadtteilen, in denen eine eher einkommensbenachteiligte Bevölkerung wohnt. Die schlechte Dämmung der Häuser und kaum verfügbare Klimaanlagen verschärfen die Situation. Doch einschlägige Studien zu den wohnraumbezogenen Folgen von Hitze sucht man für Deutschland bislang vergebens.Erschwerend zur Einkommens- und Wohnsituation kommt hinzu, dass die stark hitzegeplagten Bevölkerungsschichten auch diejenigen sind, die häufig im Freien arbeiten – auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder an warmen Arbeitsplätzen wie Großküchen und in der verarbeitenden Industrie, wo Schutzausrüstung vorgeschrieben ist, oder in engen, schlecht belüftbaren Räumen. Das Europäische Gewerkschaftsinstitut hat die Folgen steigender Temperaturen für Arbeitnehmer:innen untersucht und festgestellt, dass bei einer Umgebungstemperatur von über 38 Grad das allgemeine Verletzungsrisiko um zehn bis 15 Prozent steigt.Die Arbeitgeber unternehmen aber immer noch viel zu wenig, um die Beschäftigten vor hitzebedingten Belastungen zu schützen. Die kürzlich von hiesigen Amtsärzten vorgeschlagene Siesta nach südeuropäischem Vorbild erntete ein geteiltes Echo. Kein Wunder in der deutschen, streng durchgetakteten Arbeitsrepublik.Ein Auftrag an das Robert-Koch-InstitutDer Nachholbedarf gilt übrigens auch für die städtischen Flächen und Gebäude, die sich in privater Hand befinden und bisher von den kommunalen Anstrengungen zur Klimaanpassung nicht erfasst werden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat einen Hitzeschutzplan nach dem Vorbild Frankreichs angekündigt, von der Einrichtung von Kälteräumen über Hitzepläne für Pflegeeinrichtungen bis hin zu Anrufen bei alten Menschen, um sie zu animieren, regelmäßig zu trinken.Eigentlich gibt es schon seit 2017 Handlungsempfehlungen für die Städte, um ein besseres Stadtklima zu schaffen, doch nur wenige Kommunen haben bisher derartige Hitzeaktionspläne umgesetzt. Ein Auftrag an das Robert-Koch-Institut wäre jedenfalls, Statistiken zum Hitzetod in Deutschland zu differenzieren und seine sozioökonomischen Hintergründe zu beleuchten. Denn Hitze ist ungerecht.