Selbstversuch Sie sind die unangefochtenen Stars auf YouTube, TikTok und Instagram: Ein Internet ohne Katzen? Kaum vorstellbar! Unser Autor testet, ob auch seine Katze Misty das Zeug zur Catfluencerin hat
Wenn Katzen influencen, klingt das in etwas so: „Kuschelt ihr euch lieber ins Bett oder aufs Sofa? Schreibt’s in die Kommentare!“
Foto: Imago Images
Wer eine Katze auf den Arm nimmt, stellt schnell fest: Das Tier ist nicht nur weich und flauschig, sondern auch warm. Mit mehr als 38 Grad Celsius liegt die Körpertemperatur von Katzen etwas über der von Menschen. Doch die Wärme geht nicht nur über die Haut, sondern auch darunter. Wer Katzen mag, dem wärmt schon der Anblick das Herz. Katzen haben nachgewiesenermaßen eine gesundheitsfördernde Wirkung auf den Menschen. Ihr Schnurren beruhigt, lindert Depressionen, Schmerzen, nicht zuletzt Stress; ihre kommunikative Art vertreibt außerdem die Einsamkeit.
Die ökonomistische Geschichtsschreibung, wonach Menschen anfingen, sich Katzen zu halten, um der Mäuse Herr zu werden, müsste um eine affektive ergänzt werden. Dass man anfing, sie al
ng, sie als Gottheiten zu verehren, ergibt Sinn, wenn man bedenkt, dass es sich praktisch um flauschig-weiche Wunderheiler handelt.Dieser Aufgabe werden Katzen freilich auch im digitalen Zeitalter gerecht. Cat Content ist längst überall, auf Facebook, Twitter, YouTube, Instagram, TikTok. Sie liegen in kuriosen Posen, tragen Steaks durch die Wohnung, fällen Weihnachtsbäume oder blicken einfach nur niedlich drein – und schnurren.So nett das klingt, es ist natürlich längst kommodifiziert worden: Wo es Influencer gibt, gibt es auch Petfluencer oder entsprechend Catfluencer. Die berühmteste Katze des Internets dürfte Grumpy Cat gewesen sein. Tardar Sauce, wie sie eigentlich hieß, eroberte 2012 mit ihrem mürrischen Gesichtsausdruck binnen kürzester Zeit das Internet. Dank online vertriebenem Merch, Fanartikeln also, macht sie auch über ihren Tod 2019 hinaus ihre Besitzerin Tabatha Bundesen sehr reich.Was macht gute Catfluencer aus?Doch längst gibt es neue Stars am Catfluencer-Himmel. Auffallend ist dabei, dass sie meist durch ein besonderes Merkmal hervorstechen (Lil Bub hatte eine aufgrund eines Gendefekts heraushängende Zunge), besonders gelungene und gepflegte Exemplare extrem teurer Züchtungen sind (die Britisch Langhaar Smoothie wird von ihren Fans auch Queen of Fluff genannt) oder ein Meme wurden (Smudge Lord ist Protagonist des 2019 entstandenen Memes „Woman Yelling at a Cat“). Unterstützt werden viele dieser Accounts von auf Petfluencer spezialisierten Agenturen.Doch die berühmteste Internetkatze derzeit dürfte der an sich eher unscheinbare Stepan sein. Bereits 2021 erfreute sich der Kater aus der Nähe von Charkiw in der Ukraine großer Beliebtheit. Ähnlich wie dereinst bei Grumpy Cat war es sein nonchalant unbeeindruckt bis griesgrämiger Gesichtsausdruck, der in Kombination mit einer anthropomorphen Inszenierung ein enormes Identifikationspotenzial entwickelte. Seine „signature pose“, die inzwischen Meme-Charakter erlangt hat, ist das Sitzen an einem Tisch neben einem Glas Wein. Das berühmteste Bild davon ging im November 2021 viral und hat auf Instagram weit über eine Million Likes – jeweils auf Stepans Profil @loveyoustepan und dem von Britney Spears, die es repostete.Bis Stepan im März 2022 verstummte. Nachdem nahezu täglich neue Bilder gepostet worden waren, tauchten fast zwei Wochen keine neuen Updates auf. Zuletzt, am 3. März, hatte Stepan seine Reichweite genutzt, um auf die Bombardierung Charkiws aufmerksam zu machen und ein Ende des russischen Krieges zu fordern. Am 16. März schließlich konnten seine Follower auf Ukrainisch und Englisch erfahren, was geschehen war: Bilder von Stepan in einer Transporttasche, im Keller, in einem Fahrzeug und schließlich – am Meer. Seine anonyme Besitzerin war mit Stepan nach Polen geflohen und von dort mit Hilfe der World Influencers and Bloggers Association nach Monaco gekommen. Inzwischen sollen die beiden in Frankreich leben. Ein Post vor wenigen Wochen zeigt Stepan jedoch in einem Nachtzug, unterlegt mit dem Song Home von Machine Gun Kelly, X Ambassadors und Bebe Rexha. In den Storys ist er vor einem Bildnis seiner selbst zu sehen – Graffitikünstler haben ihn in Charkiw an den Wänden verewigt.Placeholder infobox-1Während im Fall Stepans die vermeintlich harmlose Zeit- und Ortlosigkeit des Internets auf spektakuläre Weise durchbrochen wurde und Handtaschenwerbung für Valentino durch Aufklärung über russische Kriegsverbrechen ersetzt wurde, existiert freilich auch ein breites Mittelfeld an mäßig erfolgreichen Catfluencern, auch auf Deutsch. Zahlen zu deren wirtschaftlichem Erfolg gibt es kaum, doch klar scheint: mit etwas Geschick lässt sich aus jedem Haustier Kapital schlagen. Auch aus einem zwar äußerst hübschen, aber im globalen Vergleich nicht sehr auffälligen schwarz-weißen Hausexemplar?Albern, aber wholesomeProbieren wir es aus, und zwar mit jenem Tier, das das Schreiben dieses Textes zeitweise stark hemmt, da es auf dem Schoß des Autors dessen einen Arm als Stütze in Anspruch nimmt: Misty. Zum Glück wird man im Internet nie allein gelassen – für alles gibt es Tutorials und Tipps. Der Artikel Das musst du tun, damit deine Katze eine Internet-Berühmtheit wird verspricht Abhilfe. Gut, es ist etwas offensichtlich: Das Tier muss möglichst einzigartig sein. Und wer keine außerordentlichen Gene hat, dem muss man „eine ganz bestimmte Rolle“ zuteilen und „einen einzigartigen und ausgefallenen Spitznamen“ geben. Nun gut, auf Misty reimt sich die anglisierende Pseudoverniedlichung Kisty und ein Bild von Misty in einer Kiste gibt es freilich, also: @mistyinzekisty.Fehlt nur noch der Content. Drei bis viermal pro Woche sollte man posten, die Bilder dürfen ruhig alltäglich sein, sollten aber qualitativ hochwertig und abwechslungsreich sein. Ganz schön anspruchsvoll.Anderes ist einfacher. Mindestens sechs Hashtags soll man verwenden (kein Problem: #cat #catcontent #catsofinstagram #catlove #catlife und dann noch etwas Postspezifisches wie #wintercat oder #böllerneindanke) und immer etwas Persönliches aus dem Leben der Katze erzählen. Dabei ergeben sich leicht schon die ersten Markenzeichen: Misty spricht in erster Person zu ihren Fans, sie schließt jeden Post mit „Schnurrige Grüße“ und – ganz wichtig: zur Interaktion anregen – stellt Fragen: „Kuschelt ihr euch lieber ins Bett oder aufs Sofa? Schreibt’s mir in die Kommentare!“ Das ist albern, aber auch wholesome, wie man im Internet nun Content nennt, der einfach nur schön, nett und lieb ist.Die ersten Werbepartner winkenUnd: es klappt! Gut, die ersten Follower sind alle Freunde. Doch über die Hashtags kommen auch ein paar Likes von anderen Catfluencer-Accounts. Denen wird natürlich gefolgt, Belohnungsmechanismus! Die ersten Fans reagieren und schreiben Kommentare, worauf Misty natürlich antworten muss. Das Internet ist eine Endlosschleife an Belohnungsmechanismen und wer darin bestehen will, muss sie füttern.Nur wenige Tage nach dem Start trudelt eine Anfrage ins Insta-Postfach: Eine „world famous brand of toys and clothing for dogs/cats“ würde Misty gerne als „pawtner“ gewinnen! Geschenkte Halstücher für ein bisschen Werbung – dumm nur, dass der Account, von dem die Nachricht kommt, alles andere als seriös aussieht.Der Erfolg hat seinen Preis: Tierärzte warnen längst, dass viele der Tiervideos, die im Internet kursieren, alles andere als harmlos sind. Der Trend, Katzen mit Gurken zu erschrecken, war nicht nur nicht lustig, sondern vor allem auch mit großem Stress für die Betroffenen verbunden. Auch am Tragen von kleinen Pullovern oder Hüten hat längst nicht jedes Tier eine Freude.Misty würde sich einen solchen wohl gar nicht erst aufsetzen lassen. Ihre messerscharfen Krallen schützen sie vor allzu dreister Kommodifizierung.
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