Dana Vowinckel über ihr Buch „Gewässer im Ziplock“: „Gehörige Portion ‚I told you so‘“
Im Gespräch Ihr Debütroman „Gewässer im Ziplock“ erzählt von jüdischem Leben zwischen Gebet und Pubertät. Schriftstellerin Dana Vowinckel über den Schock des 7. Oktober 2023, ihr Verhältnis zu Religion und warum sie trotz Zweifeln Interviews gibt
„Bestenfalls lesen Menschen meinen Roman als Hommage an Menschen und nicht an eine Kultur“: Schriftstellerin Dana Vowinckel
Foto: Lena Giovanazzi für der Freitag
Andere Journalisten hat sie in ihre Küche gebeten, inzwischen traut sich Dana Vowinckel wieder, solche Gespräche in der Öffentlichkeit zu führen, und zwar in einem Café im Berliner Süden. In ihrem Debütroman Gewässer im Ziplock erzählt die Berliner Schriftstellerin die Geschichte der 15-jährigen Margarita und ihres alleinerziehenden Vaters Avi, der als Kantor in jüdischen Gemeinden in Berlin arbeitet. Margarita verbringt den Sommer bei den Großeltern in Chicago und soll dann plötzlich in Jerusalem Zeit mit ihrer Mutter verbringen. Das Buch endet mit Jom Kippur im September 2023. In der Realität erfolgte wenige Tage später der Angriff der Hamas auf Israel. Seither hat das Interesse an dem Buch stark zugenommen.
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ommen.der Freitag: Frau Vowinckel, Sie sind eine junge Schriftstellerin, die gerade ihr Debüt veröffentlicht hat. Jetzt müssen Sie die ganze Zeit über Politik und Antisemitismus sprechen. Sind Sie schon genervt?Dana Vowinckel: Ja, krass genervt. Ich würde jedes Interview und jedes verkaufte Buch sofort dafür eintauschen, dass irgendetwas okayer wäre.Und trotzdem sitzen Sie hier.Ja. Ich habe sehr lange damit gehadert, mit diesen Dingen jetzt Aufmerksamkeit für das Buch zu bekommen, sozusagen „wegen“ Terror und Krieg. Irgendwann habe ich dann entschieden: Den Platz in der Zeitung gibt’s eh, und sonst reden andere Leute. Also will ich lieber versuchen, mich Antworten anzunähern, als das Feld den immergleichen Leuten zu überlassen, die die immergleichen Dinge von sich geben.An wen denken Sie da?Sag ich nicht.Ist es nicht ohnehin der Fluch jüdischer Schriftsteller in Deutschland, den Deutschen immer das Judentum erklären zu müssen?Ist das nicht der Fluch aller Minderheiten in Deutschland? Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich kein Erklärbuch schreiben wollte, deswegen erkläre ich auch keine Begriffe im Text. Aber es ist trotzdem eins geworden, weil Leute das lesen und sagen: Wow, ich hab so viel gelernt! Aber es ist ja meine Welt, was soll ich machen? Nur noch über Kartoffeln schreiben, weil ich keinen Bock habe, die Juden zu erklären? Bestenfalls lesen Menschen meinen Roman als Hommage an Menschen und nicht an eine Kultur. Klar, für mich sind die Figuren auch Juden. Aber sie sind auch ein Mann und eine Teenagerin und einsame, fehlbare, zweifelnde Figuren, die ihre Sexualität haben und Hunger haben und bluten und schwitzen und weinen. Sie wachen ja nicht morgens auf und rufen erstmal „Jude, Jude, Jude“.Ist es nicht schade, dass gerade diese Komplexität, dass es eben auch ein Buch über eine Teenagerin ist, nun in der Wahrnehmung untergeht?Das Schöne ist, dass das zwar ein bisschen verloren geht in der öffentlichen Rezeption meiner Person – aber das Buch ist weiter das Buch. Bei Lesungen und in der Kritik geht es immer noch um Margarita und um Avi. Das berührt mich dann, weil es zeigt: Das Buch ist nicht nur Israel.Für gewöhnlich sind jüdische Perspektiven in zeitgenössischer deutscher Literatur sehr säkular. In Ihrem Buch spielt das Religiöse eine große Rolle, es wird viel gesungen und gebetet. War das eine bewusste Entscheidung?Nee. Mir ist erst durch die Rezeption klar geworden, dass es das sonst wenig gibt. Ich fand Kantoren einfach irre interessant. Das ist ja nicht nur ein religiöser Beruf, Kantoren sind auch Künstler. Ich stelle mir das wie ein permanentes Ziehen zwischen dem irdisch Schönen und dem überirdisch Göttlichen vor. Ich glaube, dass Avi sehr unterschiedlich gelesen wird. Manche lesen ihn als tief gläubig, ich empfinde ihn eher als hadernd. Ich glaube auch, es gibt ein weltliches Judentum, das nicht säkular sein muss.Das ist jetzt eine Steilvorlage für die Frage, welche Rolle Religion in Ihrem Leben spielt.Ich weiß nicht, ob ich das je abschließend für mich beantworten werde. Das Schöne an Religion ist, dass sie nicht starr sein muss. Es ist auch nichts, was man von Gemeinschaft trennen kann. Und ich liebe meine Gemeinschaft! Natürlich macht mich das irgendwie religiös, ich gehe in die Synagoge und bete. Aber all meine Freunde wissen, dass ich mich nicht koscher ernähre oder Schabbes halte.Wie war es denn in Ihrer Familie?Ich komme aus zwei diametral unterschiedlichen Familiensituationen. Meine Großeltern väterlicherseits sind konservative Juden mit einem koscheren Haushalt und einem Gespür für Ritus. Aber mein Großvater war Wissenschaftler, auch da hat sich das schon vertragen. Meine Familie mütterlicherseits ist sehr klassisch westdeutsch protestantisch. Und ich habe mit elf entschieden, Gijur zu machen, also überzutreten. Ich wusste, wo ich hingehören will. Wenn es das ist, dann bin ich religiös. Wenn es Regeln sind, bin ich’s nicht. Aber ich bin Jüdin, das kann mir niemand wegnehmen.Wie reagieren Nicht-Juden auf diesen Umgang mit Religion?Diese Frage nach der Religion beschäftigt vor allem Deutsche total. Viele finden es total krass, wenn jemand praktizierend jüdisch oder muslimisch ist, denn Weihnachten ist ja quasi säkular. Aber wenn ich religiös bin, weil ich gerne in die Synagoge gehe, dann leben wir in einem fundamentalistisch christlichen Staat, weil sonntags die Geschäfte zuhaben. Nee, ich glaube, ich bin nicht religiös, aber ich bin sehr jüdisch.Wie hat sich Ihr Buch durch den 7. Oktober verändert?Ich spiele die Frage immer ganz gern zurück. Was denken Sie denn, wie es sich verändert hat?Es wirkt für mich wie die letzte Momentaufnahme des Judentums vor dem 7. Oktober. Wie eine Botschaft aus einer Welt, die es nicht mehr gibt.Ja, wahrscheinlich. Ich kann das schwer über meinen eigenen Roman sagen. Was ich merke, ist, dass eine gehörige Portion „I told you so“ drin ist. Zum Beispiel Nico, dieser Junge, der zu Margarita sagt: „Aber du bist jetzt nicht so eine Zionistin, oder?“ Als ich diesen Satz das erste Mal wieder laut vorgelesen habe, dachte ich: Ah ja, ich wusste das schon. Und jetzt wundern sich alle, dass auch Linke Antisemiten sein können.Wie nehmen Sie die Debatte in Deutschland derzeit wahr? Viele Juden sprechen von Einsamkeit und Verlassenheit. Gleichzeitig gibt es ja aus der Politik auch Solidaritätsbekundungen.Ich finde es gut, dass die deutsche Politik klar sagt: Israel hat ein Existenzrecht. Ich finde das völlig weird, dass man das anficht, wir fechten auch nicht das Existenzrecht Deutschlands an …Ich schon.Ja, gut so (lacht). Aber Existenzrecht bedeutet auch das Recht auf militärische Selbstverteidigung. Ich für meinen Teil habe ein paar Maximen, von denen ich dachte, die sind nicht so kontrovers und schwer gleichzeitig auszuhalten, aber offenbar sind sie das. Erstens: Die Hamas ist eine Terrororganisation. Zweitens: Die rechte Regierung in Israel hat faschistoide Züge. Drittens: Ich finde, den unverhältnismäßigen Krieg auf Gaza müsste es nicht geben. Viertens: Es muss möglich sein, den Krieg zu kritisieren, ohne antisemitisch zu werden. Aber das ist wahrscheinlich schon zu viel verlangt.Sie haben einen Text für „Zeit Online“ geschrieben, in dem Sie beklagten, selbst von Ihren nahen Freunden alleingelassen worden zu sein. Wie waren die Reaktionen darauf?Das Schweigen, die fehlende Empathie nach dem 7. Oktober waren frappierend. Enge Freunde haben sich zum Teil zehn Tage lang nicht gemeldet. Ich saß allein weinend in meiner Wohnung. Und ich bin richtig sauer. Immer noch. Aber der Text war ein Weckruf, ich habe danach von sehr vielen Leuten gehört, und bei vielen ist der Groschen gefallen, bei manchen nicht.Sie sind auch in den USA aufgewachsen und waren vor Kurzem wieder dort. Auch dort tobt die Debatte. Wie haben Sie die wahrgenommen?Was ich sagen kann, ist, dass wir hier immerhin eine Debatte haben. Sie ist vielleicht fehlgeleitet von Antisemitismus und antipalästinensischem Rassismus. Aber es gibt eine Debatte. In der amerikanischen sogenannten Linken ist die hegemoniale Meinung, dass Israel als Staat abgeschafft gehört. Mein Freund studiert in New York an einer Kunsthochschule. In seinem Jahrgang sind 36 Leute – er und seine israelische Kommilitonin sind die Einzigen, die nicht denken, dass Zionist eine üble Beschimpfung ist.Auch viele prominente jüdische Intellektuelle in den USA sind Antizionisten.Ja, klar, und auch Juden können antisemitische Sachen sagen. Ich finde es komisch, wenn jetzt alle kommen und sagen: Guck mal, die Juden sagen das ja auch. Juden haben unterschiedliche politische Meinungen! Aber ich glaube auch, dass wir die Kritik am Krieg, die ohne Antisemitismus auskommt, ernst nehmen müssen, weil wir die linken Israelis, die seit Jahren gegen ihre rechte Regierung kämpfen, sonst im Stich lassen. Und was ich zu Israel sagen kann, ist: Mein Vater hat als Kind dort gelebt, und ich habe ihn noch nie so erschüttert gesehen. Ich glaube, man vergisst, dass für uns diese Wunde des Attentats immer noch riesig ist.Kommen Sie in der aktuellen Lage überhaupt zum Schreiben?Ich freue mich sehr auf meine Romanfiguren. Ich frage mich schon auch, wenn ich mich so sprechen höre, woher ich mir so sicher bin. Dann möchte ich einfach nur zurück zu meinen Figuren, die sind sich nicht sicher und müssen auch nicht so tun. Aber ich finde im Moment nicht die Zeit. Und Literatur löst keine Kriege. Aber Literatur kann einzelne Menschen retten, wenn man sie in Würde und Frieden und Freiheit leben lässt.Hat sich Ihre Beziehung zum Judentum durch das Schreiben verändert?Ich bin vielleicht ein bisschen selbstsicherer geworden. Ich denke viel mehr darüber nach, manchmal geht es mir auch mega auf die Nerven. Aber im Alltag hat sich nichts geändert. Ich feiere immer noch mit meinem Papa Chanukka und gehe immer mal wieder in meine Lieblingssynagoge.Und hat sie sich durch den 7. Oktober verändert?Ja, aber ich weiß noch nicht, wie. Es gibt keinen Aspekt in meinem Leben, den dieser Tag nicht verändert hat. Aber dass es keinen guten Gott gibt, das wussten wir alle schon immer.
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