Krönung von Charles III.: Die teuerste Soap der Welt
Monarchie Die vielleicht irrsinnigste Massenpsychose der Welt oder: Warum sich die Briten für 100 Millionen Euro im Jahr einen Clown in historischen Kostümen leisten
Ein Milliardär, der sich dieser Tage kiloschwere Steine auf den Kopf legen lässt
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Politische Schizophrenie ist ein unterschätztes Phänomen. Oder wie ist zu erklären, dass zahllose Berliner:innen für die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne stimmen – und dann CDU wählen? Aber gut, im Zeitalter der Massenpsychosen ist das ein minder schwerer Fall, Behandlung nicht dringend notwendig. Etwas ernster wirkt, was die BBC kurz vor der Krönung des neuen Königs Charles III. am kommenden Wochenende berichtet: Einer Umfrage von YouGov zufolge sitzt die Monarchie in dem Staat, der immerhin „Vereinigtes Königreich“ heißt, gefährlich locker im Sattel. 58 Prozent der Befragten gaben an, sich nicht für die Königsfamilie zu interessieren.
Doch bevor nun im Buckingham Palace vor Schreck die Kronjuwelen
ronjuwelen in die Teetassen plumpsen: Genauso viele waren der Meinung, dass ihr Land auch in Zukunft eine Monarchie sein sollte – immerhin eine Mehrheit. Dennoch ein historisch niedriger Wert – 2016 waren es 76 Prozent, damals feierte Charles’ Mutter, die im vergangenen September verstorbene Elisabeth II., ihren 90. Geburtstag. Große Feiern dieser Art helfen seit Jahrhunderten, das Ansehen des Königshauses in der Bevölkerung zu verbessern.Massenpsychologisch auffällig ist jedoch: Es muss eine statistische Überschneidung geben, also eine nicht unerhebliche Gruppe, die sich nicht für die Monarchie interessiert, sie aber dennoch behalten will. Ein bisschen wie Urgroßmutters altes Geschirr, das längst nicht mehr vollständig ist und in der Vitrine verstaubt, von dem man sich aber nicht trennen möchte. Nicht mehr alle Tassen im Schrank haben als Staatsform.Ein bisschen Ancien RégimeNun könnte man sagen: was soll’s, die meisten Menschen in Deutschland dürften sich auch kaum für die Krawattenfarbe von Bundesgrüßonkel Frank-Walter Steinmeier interessieren, ohne gleich die Rückkehr zur Monarchie zu fordern – oder (was ja gut wäre) zur Rätedemokratie. Aber ein König erfüllt nur auf politikwissenschaftlicher Abstraktionsebene die gleichen Funktionen wie ein gewählter Präsident. Während dieser einem Angestellten gleicht, ist jener eben nicht nur ein Staatsoberhaupt, sondern die verkörperte Souveränität einer Nation; im Ancien Régime sogar die Verkörperung der unmittelbaren Herrschaft durch direkte Gewalt nach innen und außen. Im revolutionären Frankreich wusste man das, weshalb man den Körper der Nation per Guillotine hopsgehen ließ, um der Volkssouveränität auf die Beine zu helfen.Schon die Vorstellung, mit Millionen anderen, mit denen man kaum mehr teilt als den Grundwortschatz und die Rentenkasse, einer gemeinsamen Nation anzugehören, ist eine Form der Massenpsychose. Die Idee, diese Nation sei leibhaftig in einer durch mythische Vorstellungen vorbestimmten Person verkörpert, ist eine drastisch gesteigerte Form dieser Massenpsychose.Zugegeben, sie wurde im Laufe der Jahrhunderte gelindert. In der Netflix-Serie The Crown, die sich dem Leben Elisabeths II. und ihrer Familie widmet, konstatiert die Königinnengroßmutter ganz zu Beginn nicht ohne Bitterkeit, dass ihre Familie vom Herrschen zum Regieren und schließlich zum Repräsentieren degradiert wurde. Während sie noch einer Generation angehörte, die auf dem europäischen Kontinent einen Kaiser (vulgo: Cousins) nach dem anderen untergehen sah und also aus schierem Selbsterhaltungstrieb die vom britischen Bürgertum diktierten Regeln akzeptierte, hat Elisabeth II. die Nichteinmischung als Lebensaufgabe perfektioniert.Es entstand ein Gesellschaftsvertrag, der sich kaum mit dem anderer Rest-Monarchien in Europa vergleichen lässt. Nirgendwo spielt die königliche Familie eine so große Rolle im öffentlichen Leben wie im Vereinigten Königreich; im Ausland wird keine europäische Monarchie so stark wahrgenommen wie die britische. Das liegt sicherlich auch an den im Commonwealth zusammengehaltenen kolonialen Restbeständen. Zugleich bietet die britische Königsfamilie für viele monarchielose Länder wie Deutschland eine willkommene Projektionsfläche – der Sender RTL verzichtete 2011, bei der Übertragung der Hochzeit Kronprinz Williams mit Catherine Middleton, immerhin ganze drei Stunden auf Werbung.Die Sonderstellung der britischen Monarchie zeigt sich nicht zuletzt an den Kosten, die sie verursacht. Googelt man: „Was kosten Monarchen?“, erfährt man von der Süddeutschen Zeitung: zwischen acht (Spanien) und 40 Millionen Euro (Niederlande) im Jahr.Und im Vereinigten Königreich? Auf der Webseite www.royal.uk (na klar) findet man unter dem Reiter „Finances“ Antworten auf Fragen wie „How is the work of The Queen funded?“. Man merkt: offenbar nicht gut genug, um jemanden anzustellen, der Webseiten aktualisiert. Ansonsten erfährt man: wenig Konkretes. Nur, dass es drei Einnahmequellen gibt: Erträge aus der Grafschaft Lancaster, persönliches Vermögen und Einkommen, und schließlich den „Sovereign Grant“, das nach einem Gesetz von 2012 von der Regierung für das Königshaus zur Verfügung gestellte Geld. Dieser Betrag ist immerhin öffentlich einsehbar: 2022 bekam die Familie Windsor 86 Millionen Pfund (etwa 98 Millionen Euro) überwiesen.Das allein ist schon eine schwindelerregende Zahl – obwohl man vonseiten des Palastes betont, jede:r Bürger:in löhne damit lediglich 1,29 Pfund pro Jahr. In einer Zeit, in der jede:r fünfte Brite:in von Armut bedroht ist, weil die Reallöhne im Sturzflug sind, hätte diese Zahl durchaus das Zeug, Feuer an die revolutionäre Lunte zu legen. Damit nicht genug, hat der Guardian anlässlich der Krönung Charles III. auch die anderen beiden Einkommensquellen etwas genauer unter die Lupe genommen.Heraus kam eine Schätzung, wonach Charles’ persönliches Vermögen stattliche 1,8 Milliarden Pfund (etwa zwei Milliarden Euro) beträgt. Es ergibt sich aus Ländereien, teils vermieteten Immobilien, Juwelen im Wert von mindestens 606 Millionen Euro, gut 30 Millionen in Pferden sowie einer unschätzbaren Summe in Pferdestärken (vor allem schön britische Aston Martins, Rolls-Royces und Bentleys) und vielem mehr.Privatsache der NationDie heikle Frage ist dabei stets: Wenn der König die Inkarnation der Nation ist – gehört sein Vermögen dann nicht auch der Nation? Und: Was geschieht mit Geschenken, die die Königin in Ausübung ihrer öffentlichen Ämter erhielt – zum Beispiel zwei Briefmarken-Sets aus Kanada und Laos, die offenbar in der privaten Sammlung Elisabeths landeten. Dazu kommen Juwelen, Pferde und Gemälde, die ohne Erbschaftsteuer an Charles gingen.In den Antworten des Palastes auf die Anfragen der Journalist:innen zeigt sich dabei der ganze Anachronismus der Situation: Man kommentiere die Finanzangelegenheiten des Königs nicht, da sie Privatsache seien. Diese Vorstellung vom König als Privatmann und Souverän ist ein Relikt des Feudalismus und seines Systems personaler Herrschaft. So vegetiert ein anachronistisches Rechtsverständnis fort, mitten im bürgerlichen Staat mit seiner liberalen Vorstellung von Eigentum.Dabei legen die Büttel Seiner Majestät diesen Dualismus stets zu Seinen Gunsten aus. Etwa jener Richter, der sein Urteil gegen einen Mann, der Eier auf den König geworfen hatte, damit begründete, dass es sich um eine „unprovozierte, gezielte und geplante Gewaltanwendung gegen einen 74-jährigen Mann“ gehandelt habe. Als wäre die gewaltvolle Anhäufung von Reichtümern auf dem Rücken englischer, schottischer, walisischer, irischer, indischer, arabischer, west- und südafrikanischer, karibischer, amerikanischer Menschen nicht Provokation genug! Aber man wirft auf den König und trifft den alten Karl.Wie rückständig die Institution Monarchie ist, zeigt sich schon am noblen Klang, den sie dem ansonsten eher diskreditierten Wort „Republikaner“ verleiht. Denn ja, die gibt es auch im Vereinigten Königreich, und sie wittern gerade etwas Morgenluft auf ihrem seit Jahrhunderten verlorenen Posten.Doch womöglich kommt Charles das wachsende Desinteresse an der Monarchie sogar zupass. Denn trotz der Recherchen zu seinem Reichtum, trotz der Skandale im Familienumfeld: kein Kronleuchter zittert, keine mit Fackeln bewaffneten Bürger:innen stürmen Buckingham Palace. Selbst der Guardian fragt lediglich vorsichtig, ob der König seine Krönung denn nicht selber zahlen könnte. Dass es grotesk reiche Vertreter der herrschenden Klasse gibt, ist ja auch in der bürgerlichen Gesellschaft nichts Ungewöhnliches. Während sich die einen mit einer Rakete in die Stratosphäre schießen lassen (ohne allerdings dort zu bleiben), lassen sich die anderen eben in historischen Kostümen in einem alten Gemäuer kiloschwere Steine auf den Kopf legen.Lohnt sich so ein König?Langfristig könnten jedoch tiefer liegende Entwicklungen der Monarchie Ärger bereiten. Unter den 18- bis 24-Jährigen ist die Unterstützung noch viel geringer. Der Neoliberalismus hat in der Generation Z ganze Arbeit geleistet. Wer damit aufgewachsen ist, die Welt im affirmativen Sinn als eine ungeheure Warensammlung zu betrachten, deren Items nach einer Kosten-Nutzen-Erwägung anzunehmen oder abzulehnen sind, der sieht in der Königsfamilie schlicht ein sich nicht mehr lohnendes Investment.Dazu kommt eine grundlegende Verschiebung politischer Prioritäten: Die Vergangenheitsbewältigung im Zeichen des Postkolonialismus nagt an den Grundfesten der Krone. Längst graben Forscher:innen in Archiven und finden Dokumente, die das Königshaus persönlich mit dem Sklavenhandel in Verbindung bringen. Diese Debatte kann der König nicht aussitzen, aber sich damit zu befassen könnte ihn schwach erscheinen lassen. Paradoxerweise könnte ihm die Fixierung auf persönliche Implikation zu Hilfe kommen, da sie schwerer zu beweisen und logischerweise kleiner ist – dabei wird jedoch der systemische Charakter von Kolonialismus und Imperialismus ausgeblendet. Einige könnten mit einer Entschuldigung des Königs und vielleicht der Rückgabe mancher Edelsteine zufrieden sein – der zutiefst unrechtmäßige Besitz und die Privilegien wären dann nicht nur unangetastet, sondern neu legitimiert.Das andere Problem: Die britische Monarchie war praktisch gleichbedeutend mit Elisabeth II. geworden. Deren Lebensaufgabe war es, dem Vereinigten Königreich im Abstieg Stabilität zu verleihen. Das Empire ging nicht trotz der Queen zugrunde, es konnte zugrunde gehen, weil die Queen blieb. Insofern starb sie genau im falschen Moment, in einer Zeit zunehmender politischer und ökonomischer Instabilität. Charles’ Problem ist also weniger, dass er gerne den Mund aufmacht, wie oft behauptet wird, sondern schlicht und ergreifend, dass er nicht seine Mutter ist (so Psycho ist die Angelegenheit dann doch nicht).Schwächend kommt hinzu, dass im Lauf der Zeit der Kult um die königliche Familie verkümmerte. Liberalisierung und Medialisierung haben zu einer Normalisierung der Windsors geführt. Längst ist für alle ersichtlich, dass sie keine von Gott mit besonderen Fähigkeiten ausgestattete Familie sind, sondern ein zerrütteter Haufen, den die vermeintlich historische Aufgabe zerstört hat. Dabei bleiben übrig: der greise Stammvater mit der Stiefmutter, der Vorzeigesohn mit Vorzeigefrau und Vorzeigekindern, das schwarze Schaf mit der schwarzen Frau; im Hintergrund tummeln sich ein Onkel aus dem Kreis um Sexualstraftäter Jeffrey Epstein und ein paar Langweiler:innen. Im Grunde trifft The Crown trotz aller dramatischen Erfindung den Wahrheitsgehalt der königlichen Familie: was übrig bleibt, ist die teuerste Soap der Welt. Oder, um es mit Obelix zu sagen: Die spinnen, die Briten.