Tagung zu Antisemitismus in Kunst und Kultur: Der leise Boykott

Antisemitismus Von der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ zur Documenta – die Kunst- und Kulturszene hat ein Antisemitismusproblem. Wie groß es genau ist, und was dagegen getan werden kann, untersuchte eine Tagung am Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 20/2023
Cool bleiben ist nicht immer einfach, wenn man gegen Antisemitismus kämpft
Cool bleiben ist nicht immer einfach, wenn man gegen Antisemitismus kämpft

Foto: Georg Wendt/picture alliance/dpa

Ob documenta fifteen, das Theaterstück Vögel oder die Initiative GG 5.3 Weltoffenheit – in den vergangenen Jahren hat sich gezeigt: Die Kunst- und Kulturszene hat ein Antisemitismusproblem – und zwar strukturell. Es herrscht mindestens Ignoranz gegenüber zeitgenössischen Erscheinungsformen des Antisemitismus, schlimmstenfalls sogar Einverständnis.

Insbesondere die Initiative GG 5.3 Weltoffenheit hat unter jüdischen und antisemitismuskritischen Künstler:innen einen Schock ausgelöst. Mit Bezug auf die Kunstfreiheit wendete sich die Erklärung gegen die Verurteilung der BDS-Bewegung als antisemitisch durch den Bundestag. BDS (Boycott, Divest, Sanctions) ruft zu Boykott, Investitionsabzug und Sanktionen gegen Israel auf. Die Boykottaufrufe richten sich dabei auch gegen Künstler:innen und Wissenschaftler:innen aus Israel. Zwar distanzierten sich die Autor:innen von BDS, wollten kulturelle Räume aber explizit für diese Positionen offen halten. Bemerkenswert war dabei, dass sich mit der Erklärung einige der größten und wichtigsten Kultureinrichtungen Deutschlands – insbesondere Theater und Produktionshäuser – aus der politischen Deckung wagten.

Jüdische Erfahrungen werden ausgeblendet

Grund genug für die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, die Amadeu-Antonio-Stiftung, das American Jewish Committee Berlin und den Zentralrat der Juden in Deutschland, sich ausführlich mit dem Thema Antisemitismus und Kultur auseinanderzusetzen – bei der Tagung „Von der Kunstfreiheit gedeckt? Aktuelle Herausforderungen im Umgang mit Antisemitismus in Kunst und Kultur“ vergangenen Donnerstag im Garten des Hauses der Wannsee-Konferenz in Berlin.

Das erste Panel diente der Verortung der Debatte. Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn, Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, diskutierte mit der Soziologin Karin Stögner, dem Literatur- und Kulturwissenschaftler Steffen Klävers und Marina Chernivsky, Leiterin des Kompetenzzentrums Prävention und Empowerment. Was die Diagnose angeht, war man sich weitgehend einig.

Neben dem Ausblenden jüdischer Erfahrungen besteht das Problem vor allem in der Unfähigkeit, die Spezifität von Antisemitismus zu erfassen. In antirassistischen Diskursen und Konzepten von Diversität und Intersektionalität kommt er meist nicht vor. Postkoloniale Diskurse befördern zudem mitunter ein manichäisches Weltbild, das dem des klassischen Antiimperialismus ähnelt: der böse Westen gegen den guten globalen Süden. Die Identifikation der Juden mit dem Westen und eine Deutung Israels mit postkolonialen Begriffen führen so zu linkem Antisemitismus.

Wer widerspricht, gefährdet seine Karriere

Diese Haltung einer sich progressiv dünkenden Kulturszene hat handfeste Konsequenzen für Künstler:innen, wie das zweite Panel zeigte. Hier diskutierten mit Stella Leder, Benno Plassmann, Tina Turnheim und Mia Alvizuri Sommerfeld vor allem Mitglieder und Mitarbeiter:innen des Instituts für Neue Soziale Plastik, einem 2015 gegründeten Zusammenschluss jüdischer und antisemitismuskritischer Künstler:innen, sowie Matthias Naumann, Verleger des Neofelis-Verlags und Übersetzer israelischer Dramatik.

Deutlich wurde, wie die starken Abhängigkeitsverhältnisse insbesondere in der freien Szene die Einzelnen unter Druck setzen. Ein „silent boycott“ israelischer und jüdischer Künstler:innen finde längst statt. Schon die Nicht-Unterschrift einer Erklärung zu BDS könne zu Ausschlüssen führen, betonte Turnheim. Alvizuri Sommerfeld erzählte von ihrer Erfahrung an einem großen Berliner Produktionshaus, dessen Leiterin die Initiative unterzeichnet hatte. Als Alvizuri Sommerfeld gegen die interne Verbreitung eines Videos protestierte, das von einer mit israelfeindlichen Positionen aufgefallenen Person stammte, sei sie genötigt worden, sich zur Initiative sowie zur israelischen Besatzung zu positionieren – letzteres überschreitet in seiner Zwangsidentifikation einer Jüdin mit Israels Politik die Grenze zum Antisemitismus. Dermaßen unter Druck gesetzt, beendete sie das Arbeitsverhältnis.

Josef Schuster: „BDS gibt es nicht ohne Antisemitismus“

Wie verheerend die Lage ist, unterstrich auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, in einer kurzen Rede. Er forderte die staatlichen Institutionen auf, all ihre Mittel, wie Personalpolitik und Mittelvergabe, einzusetzen, um Vorfälle wie bei der documenta künftig zu verhindern, und machte nochmals unmissverständlich klar: „BDS gibt es nicht ohne Antisemitismus“.

Bei der Abschlussdiskussion berichtete Katja Lucker von ihrer Arbeit bei der Organisation des Berliner Popkultur-Festivals, das seit 2017 immer wieder Ziel von Attacken der BDS-Bewegung ist. Anlass war seinerzeit die Einladung israelischer Künstler:innen und ein geringfügiger Reisekostenzuschuss der israelischen Botschaft in Berlin. Sie beklagte, dass es wenig Solidarität aus der Kulturszene gebe. Vielmehr rate man ihr immer wieder, „das mit Israel“ doch zu lassen, dann hätte sie auch keine Probleme mehr. Zugleich sorge BDS dafür, dass Künstler:innen aus arabischen Ländern immer wieder von einer Teilnahme absehen – nicht unbedingt, weil sie BDS unterstützen, sondern weil die Teilnahme an einem von der Bewegung gebrandmarkten Festival in ihren Heimatländern zu Todesdrohungen gegen sie führt.

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant zum Freitag und hat seither in wechselnder Intensität für die Ressorts Politik und Kultur gearbeitet. Er studierte Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence sowie Lateinamerikastudien und Europäische Literaturen in Berlin. Seit 2022 ist er im Kultur-Ressort für alle Themen rund ums Theater verantwortlich. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Erinnerungskultur sowie Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

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