Orange, Rot, Schwarz. Das sind Frankreichs inoffizielle Nationalfarben an den Juli- und Augustwochenenden. Es ist die Klassifizierung für die endlosen Blechlawinen, die sich vollbepackt an die Küsten des Hexagons schieben. Am schlimmsten sind die „samedis noirs“, die schwarzen An- und Abreisesamstage mit über 1.000 Kilometern Stau im ganzen Land. Nervig, aber irgendwie Teil eines liebgewonnenen, alljährlichen Rituals: Wer es sich leisten kann, fällt mit dem Rest der Nation in kollektiven Sommerschlaf, bevölkert Hotels, Campingplätze, Ferienhäuser, Bistros und Strände, bis dann Anfang September das Leben wie auf Knopfdruck wieder an Fahrt aufnimmt. Und in diesem zweiten Coronasommer haben sich gleich 85 Prozent der Franzosen für Urlaub im eigenen Land entschieden. So sind die Samstage auf den Autobahnen noch schwärzer als sonst.
Wer dem Superstau entkommen will, kann sich für die kleinen Departement- und Nationalstraßen entscheiden, auf denen man gefühlt mindestens die Hälfte der 40.000 existierenden Kreisverkehre des Landes passiert, die ja spätestens seit den Gelbwesten zu einem politischen Ort avanciert sind. Überhaupt, Politik! Ob man will oder nicht, in diesem Sommer lässt sie sich einfach nicht abschütteln, ist ein treuer Reisebegleiter, genauso wie die lässig am Oberarm hängende OP-Maske und nun auch der Gesundheitspass. Denn kurz vor der großen Reisewelle hatte Macron den Fahrplan für die weiteren Coronamaßnahmen verkündet. Um in Zukunft am Gros des öffentlichen Lebens teilzunehmen, braucht’s den „pass sanitaire“. Schneller als in Deutschland heißt das: Zutritt nur geimpft, getestet oder genesen. Da eilten angesichts der nahenden Ferien noch viele Hunderttausende zu einem Impftermin.
Das alles vergisst man für einen Augenblick, während der Fahrt auf der ehemaligen Nationalstraße 7. Hier verblassen auf Häuserwänden die legendären Gitanes ohne Filter als Werbeaufschrift aus den 1950ern und die brachliegenden Tankstellen der N7 werden mit Sepia-Filter zu herrlich nostalgischen Instagram-Posts. Die N7 ist Frankreichs Version der Route 66 von Paris an die Côte-d’Azur. Heute lockt vor allem der Charme des Verfalls an den Straßenrändern. Den Verfall der Nation beschwor ja vor nicht allzu langer Zeit eine Gruppe von Ex-Generälen in einem offenen Brief, der nicht nach einem Witz, sondern wie ein echter Aufruf zum Putsch klang (der Freitag 19/2021). Im Kopf hallt es: Etwas ist faul im Staate Däne... Ach nee, jetzt bitte erstmal Urlaub. Voyage, voyage läuft im Autoradio.
Die Rückkehr der Gelbwesten
Wo man an der N7 noch einen Espresso finden und den Gesprächen der Ortsansässigen lauschen kann, wird man schnell auf DIE Melodie dieses Sommers eingestimmt: Le pass, c’est de la merde! Scheiße finden ihn die Leute, den QR-Code auf dem Handy oder auf Papier, der nun schnell unverzichtbar werden wird. Verzichtet wird hingegen überwiegend auf das Tragen von Masken, umso weiter man in den Süden reist. Wer sie aufsetzt, fällt in die Kategorie „les parigots“, Pariser! Dabei heißt die französische Corona-Warn-App ja „TousAntiCovid“ (Alle gegen Covid). Aber so ein richtiger Gruppengeist will im Kampf gegen das Virus nicht mehr aufkommen.
Wie weit weg die Pandemie hier ist, sieht man am bärig-grummeligen Campingplatzbesitzer Alain. Ihm entgeht keine verbotene Badeschlappe im Pool-Innenbereich, aber nach dem Gesundheitspass will er seine Gäste nicht fragen. Das sei bloße Schikane aus Paris, glaubt er. Tatsächlich fühlt sich Covid Ende Juli im Schatten der großen Platane mit Blick auf das Bergpanaroma des Luberon wie ein schlechter Traum aus der Vergangenheit an. Dabei verzeichnet Frankreich jeden Tag wieder mehrere Tausend positive Fälle und im Südwesten gilt erneut die Maskenpflicht im Freien. Die Inzidenz bewegt sich beharrlich über 200. Doch die Franzosen sind nicht nur pandemiemüde, sondern wollen mancherorts schlicht nichts mehr von der Politik aus Paris wissen und sehen im Pass nur einen weiteren Beleg dafür, wie brachial die Pariser Eliten – mit Macron an der Spitze – ihre (Corona-) Politik durchpeitschen, auf Kosten jener Freiheit, die immerhin als Grundwert neben Gleichheit und Brüderlichkeit auf jedem öffentlichen Gebäude der Republik eingeschrieben steht, selbst in jedem noch so winzigen Dorf, wo der Rückstand zu den urbanen Regionen, allen Versuchen der Dezentralisierung zum Trotz, immer größer wird.
Als Ende 2018 die Gelbwestenbewegung an Fahrt aufnahm, rückte dann diese lange unsichtbare Bevölkerungsschicht in den Fokus, die sich von Frankreichs Eliten verlassen und verraten fühlt. Was mit der geplanten Benzinpreiserhöhung begann, wuchs sich schnell zu einer der größten Protestbewegungen der jüngeren Geschichte aus, die besonders durch ihren spontanen und radikalen Charakter auffiel. Die Staatsmacht antwortete mit harter Hand, mit Polizeigewalt und restriktiven Gesetzen, so dass Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sich alarmiert zeigten. Marine Le Pen rechts außen und Jean-Luc Mélenchon links außen feierten die Bewegung als lange überfälligen Aufstand der weißen unteren Mittelschicht, die gegen eine Politik für die Superreichen aufbegehrt und mit Macrons ausgerufener Start-up-Nation nichts anzufangen weiß. Wo auch die letzte Zug- und Busverbindung eingestellt wurde, wo die Menschen immer längere Strecken zurücklegen müssen, um Zugang zu medizinischer Versorgung zu bekommen und wo junge Leute lieber heute als morgen abwandern, dort wird aus dem Misstrauen gegenüber der politischen Klasse Ablehnung und Hass.
Schwarze Samstage
Zu Beginn der Coronakrise nahmen die meisten Franzosen verunsichert die zweimonatige Ausgangssperre noch hin. Im letzten Sommer hofften sie insgeheim, der Spuk sei vorbei, doch die zweite und dritte Welle traf das Land hart. Es erkrankten doppelt so viele Menschen am Virus wie in Deutschland und die jahrelangen Einsparungen im Gesundheitssystem rächten sich. Doch während sich in anderen europäischen Ländern Regierungschefs für Verfehlungen im Krisenmanagement entschuldigten, während sie versuchten, ihre Bevölkerung auf dem Weg durch die Pandemie mitzunehmen, zu motivieren, zu einen, legte Macron einmal mehr den so typisch französischen, auf Charles de Gaulle zurückgehenden, paternalistisch-bevormundenden Führungsstil an den Tag. So wundert es nicht, dass im Sommer 2021 der „Pass Schande“, wie sie ihn nennen, ausreicht, um den nie erloschenen Widerstandsgeist wieder zu schüren bei jenen, die sich sowieso schon durch ihr geringes finanzielles und kulturelles Kapital und ihre geografische Lage abgehängt und eingeschränkt fühlen.
So treibt es trotz des kollektiven Sommerschlafs mittlerweile zum fünften Mal Zehntausende Menschen an den Samstagen auf die Straße. Nicht alle sind Impfgegner, aber „gegen den Pass, für die Freiheit, für die Wahrheit“. So steht es zumindest auf dem Plakat von Sylvie und Thierry, Anfang 50, die zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt an einer Demonstration teilnehmen. Gewählt haben sie seit Jahren nicht mehr, den Glauben an die Gestaltungskraft von Politik haben sie gänzlich verloren. Aber auch wenn sie sich politisch nicht vereinnahmen lassen wollen, könnten Menschen wie sie leichte Beute für Heilsverkünder wie Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker werden, deren Antworten auf den Unmut leichter verständlich und verständnisvoller klingen. So könnten die schwarzen Samstage bald eine ganz neue Bedeutung bekommen, wenn neben den Blechlawinen die Protestwelle weiter über das Land rollt.
Aber mehr noch: Der Gesundheitspass und die samedis noirs könnten zu einer echten Gefahr für die Demokratie werden und der als arrogant, rabiat und volksfern empfundene jüngste Präsident der Fünften Republik hat nur noch wenig Zeit, um die tiefen Brüche in der französischen Gesellschaft ansatzweise zu kitten. Denn schmunzelnd, genüsslich abwartend, die Proteste befeuernd und den Gesundheitspass verteufelnd wartet am Rand schon die größte Heilsverkünderin der Nation, die im kommenden Mai gerne die neue französische Präsidentin werden würde.
Kommentare 26
das gefühl des ausgeliefertseins an die zentralistische,
nicht-partizipative politik der "pariser eliten"
treibt gefährliche blüten...
Dann mal ein Hoch auf das föderale deutsche System, das vieles abwürgt und weniges fördert.
Welche Blüten dort wohl gedeihen? Sumpfblüten? Afghanische Disteln?
Ergänzt durch den Naheindruck eines Freundes, der die jüngsten Proteste in Chartres unmittelbar miterlebt hat, würde ich zumindest als Provisorium die Ferndiagnose ausstellen, dass die Proteste in Frankreich weniger auf die Pandemiebekämpfung als solche zielen, sondern eher auf die neoliberale Politik von Macron im Allgemeinen.
Eine komische (und im Zweifelsfall durchaus explosive) Mischung ist es trotzdem. Vielleicht steht Europa vor einer neuen Revolution. Wenn ich mir die Gesamtlage ansehe, allerdings eine unter autoritären Vorzeichen. In Frankreich dürfte es aktuell keine Krise geben, bei der Le Pen nicht im mehr oder weniger großen Stil abräumt. In Afghanistan ist – wenn man die Chose ausschließlich aus der Warte betrachtet – ebenfalls eine »Volksregierung« an die Macht gekommen. Natürlich gibt es für all das einen gesellschaftlichen Boden – das so oft enttäuschte Vertrauen der Beherrschten in die Herrschenden (siehe hierzu auch diesen als dF-Beitrag parallel erscheinenden Guardian-Artikel). Was die Lage in Frankreich anbelangt, glaube ich jedenfalls nicht, dass der aufgeklärte Teil der Gesellschaft einen Anti-Macron mit genügend Zugkraft aus dem Hut zaubern kann. Ségolène Royale hätte es 2007 fast gerissen; eine Person mit ähnlicher Popularität und Bindungskraft bis nach weit links ist heute jedoch weit und breit nicht in Sicht.
So werden die Dinge wohl ihren Gang gehen. Man kann sich nicht helfen; irgendwie erinnern einen die Dinge weltweit an die Entwicklung in der zweiten Hälfte der Dreißiger.
"Le pass, c’est de la merde!" C'est ça. Que mille fleurs s'épanouissent!
ach bartleby, wieder gedankenfrei unterwegs?
mit tiny tim: tiptoe through the tulips?
https://www.youtube.com/watch?v=zcSlcNfThUA
das problem scheint mir*:
e i n e person mit d e r binde-kraft die nötig wäre,
wird es nicht mehr geben.
die zeit für "gute könige" ist jetzt auch in frankreich vorbei.
das derzeitige präsidial-system führt nur zum frexit.
dem wut-getriebenen, populistischen ausscheren/bocken
vor anspruchs-vollen herausforderungen.
* auch improvisiert, aus tele-diagnose)
Mal wieder der üblich Denkfehler:
Andere Gedanken sind keine Gedanken.
Nach Kommentar eingeschla ...
Ihr aus-stoß an gedanken ist reziprok zu ihren leicht-gewichtigen
erheiterungs-anfällen.
so mein nicht vor rauschen und vor-eingenommenheit freies
urteil.
und: wer schläft, sündigt nicht
und kann gar für einen philosophen gehalten werden...
ach nee:
die deutschen proteste/quer-denkereien sind unsere art der talibanisierung
und sind ausdruck der tief verwurzelten volks-weisheit,
die sich ein bisschen militarisiert....
Ich hatte auf jeden Fall Anne Hidalgo auf dem Plan, die zwar absolut keine Gelbwesten für sich mobilisieren könnte, die aber immerhin dafür geworben hat, dass sich die Linke hinter sie stellt und sie mit den Grünen eine einzige Person ins Rennen schicken, um überhaupt eine Chance zu haben. Dass alle linken Strömungen vereint doch eine Chance hätte in die zweite Wahlrunde zu kommen, es aber am Ego der Politiker:innen scheitert, ist für mich das wahre Drama der derzeitigen politischen Landschaft Frankreichs.
Personell wäre Hidalgo sicher eine Karte, auf die man – auch wieder Ferndiagnose ;-) – setzen kann. Zur restlichen Prozedur: sicher (auch) ein speziell französisches Drama mit seinem System aus normaler Wahl und Stichwahl. Umgekehrt schaffen es die linken Kräfte jedoch ebenfalls, sich formidabel zu zerlegen – siehe UK/Corbyn oder auch die hiesige Linkspartei, wo speziell im Saarland (wo ich eben ein paar Tage war) ein Kampf bis aufs Messer tobt.
im letzten Satz / Anfang fehlt noch ein »anderswo«.
"Ich hatte auf jeden Fall Anne Hidalgo auf dem Plan, die zwar absolut keine Gelbwesten für sich mobilisieren könnte, die aber immerhin dafür geworben hat, dass sich die Linke hinter sie stellt und sie mit den Grünen eine einzige Person ins Rennen schicken, um überhaupt eine Chance zu haben".
Romy Straßenburg, ich denke, beim zweiten Lesen dieses Satzes merken Sie, dass er völlig abstrus ist. Hidalgo kann z, wie Sie sagen, zwar keine Gelbwesten, also die deklassierten "classes populaires" für sich mobilisieren (warum wohl nicht? Vielleicht, weil sie sich mit den prügelnden Polizisten solidarisiert und als Gentrifiziererin auch keine Skrupel hat, "illegale" Migranten aus dem ach so touristischen Zentrum zu vertreiben?), aber sie hat, wie Sie schreiben, "dafür geworben, dass sich die Linke hinter sie stellt" (welche "Linke"? der neoliberale PS, die Grünen des "Green Deal", die "Bobos" also? Sind die echt '"links" für Sie? What about les communistes? Les Insoumis? Le parti anticapitaliste? Sind die also nicht "links" für Sie?
Nein, Hidalgo hat keine Chance (was nicht tragisch wäre), ebenso wenig Montebourg, der in den kommenden Monaten medial gepuscht werden wird. Hidalgo wird vom grün-liberalen Jadot überflügelt werden. der auch keine Chance hat, genauso wie - leider - Mélenchon (der einzige präsidiable Vertreter einer 6. Republik). Auf der LInken sieht's seit Mitterand ziemlich traurig aus. Hidalgo wird's nicht arg berühren. Ihr Moment kommt mit den olympischen Spielen in Paris.
warum hat "die linke" in F. seit mitterand
(dem "rainbow warrior"-versenker),
keine alternative mehr zu bieten, keinen "guten könig"
mehr zu präsentieren?
>>Aber mehr noch: Der Gesundheitspass und die samedis noirs könnten zu einer echten Gefahr für die Demokratie werden<<
Welche Demokratie?
Habe keine Zeit, mich an einer Erklärung zu "versuchen". Es ist ja die komplizierte Frage nach der Persönlichkeit in unserer historisch gewordenen Situation, der man sich nur annähern kann.
Stattdessen ein Textauschnitt aus dem wunderbaren Buch "Französische Zustände" (1985) des Frankreichkenners Lothar Baier:
"Ich hatte die Wahl (Mitterands) zwar nicht in Paris, sondern in der Provinz erlebt, aber auch dort hatte ich mich nicht dem Klimawechsel entziehen können...Selbst mein Winzerdorf stimmte mit großer Mehrheit für Mitterand. Es regnete an diesem Sonntag in Strömen. "Das sind die Tränen von Giscard", sagte der kleine Sohn eines Bauern, noch bevor die Stimmen ausgezählt waren. Dass etwas in der Gesellschaft aufgebrochen war, fiel mir unterwegs im Zug und in den Kneipen auf. Die Leute redeten miteinander, so ungezwungen und offen, wie ich es vorher noch nie erlebt hatte. An der Grenze waren die Verhältnisse ganz auf den Kopf gestellt: Nicht unsereinen galt wie üblich das Interesse der Zöllner, sondern den distinguierten Herren mit den Diplomatenköfferchen, die auf einmal wie potentielle Devisenterroristen behandelt wurden. In den deutschen Zeitungen, die ich zu Hause las, fand ich nichts von alledem wieder. Die Berichte über den Wahlsieg Mitterands lasen sich, als wären sie nicht im Nachbarland, sondern irgendwo im amerikanischen Mittelwesten geschrieben worden. Die ZEIT jener Woche zeigte Margaret Thatcher und Helmut Schmidt mit betretenen Gesichtern; ihr Geipfelgespräch über den EG-Haushalt hieß es in der Bildunterschrift, sei von der Wahl Mitterands "überschattet" worden..."
Dass mit Anne Hidalgo "in der Gesellschaft etwas aufbrechen" würde, ist quasi unvorstellbar. Wenn sie wider Erwarten gewählt würde (der Wahlkampf 2017 hat gezeigt, was alles passieren kann), träte sie in die Spuren der "Abbruch-Unternehmer" Sarkozy, Hollande, Macron. Ein "Aufbrecher" wäre Mélenchon. Aber der hat nicht nur die Umfrageinstitute gegen sich.
ein versuch "über die führer-persönlichkeit"
in "unserer situation" scheint mir auch müßig:
es geht vielmehr um die situation,
um demokratische partizipation,
resp. der mangel daran, den "persönlichkeiten" nicht mehr
über-manteln können.
die diversen herausforderungen an wirtschaft, gesellschaft,
politik
müssen ihren ausdruck bekommen, repräsentiert werden.
die "nation" mit einer volonté générale,
die mehr ist als eine metapher*
hat sich als ein illusionäres leit-bild herausgestellt.
neben einem grund-konsens zu den menschenrechten
sollten die diversen partikular-interessen im
parlament ihren raum haben.
extreme klientel-politik ist durch bündnisse/koalitionen
zähmbar.
der zwang, mehrheiten im parlament zu finden,
sollte zu entwicklungen in diversen richtungen/dimensionen
ausreichen.
oda?
*https://de.wikipedia.org/wiki/Volont%C3%A9_g%C3%A9n%C3%A9rale
+++ Dass mit Anne Hidalgo "in der Gesellschaft etwas aufbrechen" würde, ist quasi unvorstellbar. (…) Ein "Aufbrecher" wäre Mélenchon. +++
Meiner Meinung nach könnten Mélenchon und seine Insoumises allenfalls im Bündnis mit den Gilets jaunes (aus deren Reihen es bereits unterschiedliche Kandidaturen gab) genügend Wahlgewicht auf die Beine stellen. Unabhängig davon gäbe es einen zweiten, reformistisch-gemäßigten Linksblock – nach Lage der Dinge wohl mit Hidalgo. Das Präsidentenlager mit Macron würde zwar in so gut wie jedem Fall gerupft; zusätzlich wären diesseits von Le Pen allerdings noch die unterschiedlichen Schattierungen von Bürgerlichen und Gaullisten in die Kalkulation mit einzupreisen.
Rein rechnerisch bedeutet das: ein linkspopulistischer Block allein ist im zweiten Wahlgang chancenlos – zumal sich am Ende auch 2022 vermutlich die Dynamik durchsetzen wird: Alle gegen Le Pen. Um die Chose mal vom halb vollen (anstatt halb leeren) Glas Wasser aufzuziehen: Könnten sich radikale/populistische und gemäßigte Linke auf einen Kandidaten einigen, stünden die Chancen gar nicht mal so schlecht, dass die Linke im Gesamten die Wahl reißt.
Natürlich ist das Zukunftsmusik, wahrscheinlich Illusion. Nichtsdestotrotz denke ich, dass gegenwärtig nur breitest angelegte Linksbündnisse eine Chance haben, der geballten Macht von Neoliberalen und Rechtautoritären Paroli zu bieten.
Schön war's, wenn diese Diskussion über Persönlichkeit, Charisma, Führungsqualitäten, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit etc. müßig wäre Doch die obsolete, auf de Gaulle zugeschnittene Verfassung zwingt dazu. Wie notwendig die sechste Republik ist, zeigt Macrons im Grunde unwürdige Ausnutzung aller Möglichkeiten, die ihm die Verfassung bietet. Auch die Offenbarung seiner Lügen prallt locker an seinem Amt ab. Präsidiale Monarchie.
Die Bundrespublik ist diesbezüglich zum historischen Glück "gemäßigte Zone". Aber auch wir gestandenen Demokraten, Sozialisten, Humanisten, Anarchisten usw. usw. starren wie's Kaninchen auf den Kampf der Kanzlerkandidaten (die es ja eigentlich erst nach der Parteienwahl im Bundestag geben kann). Zum Glück (schon wieder) sind diese auch eher Kaninchen. Ein Typ wie Macron hätte wohl (noch) keine Chance - oder? Und wenn, hätte er nicht diese Macht (um die ihn ein Biden beneiden könnte).
Zumindest wird es ein spannender, aber für "irgendwie LInke" auch frustrierender Wahlkampf.
Noch sieht es so aus, als ob die Gegenwart mit seiner sehr komplizierten Zukunft schwanger geht. Ich beschränke mich auf die Linke. Hier hat Mélenchon die höchsten Werte , wenn man den stets interessierten und verzerrten Sondages trauen kann: sagenhafte 10 Prozent der Befragten wollen ihn wählen, was natürlich nicht für den zweiten Wahlgang reichen wird. Der Kommunist Fabien Roussel (er wird hoffentlich wissen, warum er kandidiert) kommt auf fabulöse 2 Prozent. Die nimmt er Mélenchon weg, der allerdings auf die Unterstützung des letzten Kandidaten des PS, Benoît Hamon, hoffen kann. Dieser Bonus wird wiederum durch die wahrscheinliche Kandidatur des einstigen sozialistischen Industrieministers Montebourg (der sich noch ein wenig ziert) aufgehoben. Der würde auf circa 4-5 Prozent kommen, Stimmen, die er der FI und dem PS entziehen würde (zum Teil wenigstens). Die klassischen marxistisch-leninistischen Parteien PAC und Lutte ouvrière kommen auf jeweils 1 Prozent. Man sieht: Die einzige Chance der Linken besteht in der Mobilisierung der abstentionistischen "Classes populaires" (vereinfacht: der Gelbwesten und der Banlieues", das unermüdliche Bohren sehr dicker Bretter. Und Mélenchon ist mit seinen 70 Jahren kein Herkules. War er eigentlich noch nie.
Gehen wir weiter nach rechts, zur "gemäßigten Linken", dem Parti socialiste also. Der größte Teil der Führung der Sozialisten und wichtige Notabeln haben sich gegen Primaires ausgesprochen. Ihre Kandidatin ist Anne Hidalgo, der im Februar von netten Sondeuren noch 16 Prozent gegeben wurde, die mittlerweile aber bei 5 Prozent gelandet ist. Sie ist einfach zu sehr Bürgermeisterin des bürgerlichen Teils von Paris, gilt als "Bobo"-affin, ist ohne präsidiale "Statur". Auch sie kann nicht aus dem Schatten der bleiernden Hollande-Jahre treten. Nicht umsonst hat sie bisher kein konkretes Programm präsentiert. Hidalgos parteipolitischer Gegner, Stéphane Le Foll, wirft ihr denn auch vor, kein klares Profil zu haben. Ob es allerdings zu den Primaires kommen wird, die er fordert, ist zu bewzeifeln.
Bei den EELV, den Grünen", finden die Vorwahlen im September statt. Gleich 5 Kandidaten treten an: Delphine Batho, Vertreterin des Anti-Wachstums, der etwas schillernde Jean-Marie Governators , der Eurodeputierte Yannick Jadot, der Bürgermeister von Grenoble Eric Piolle und die Wirtschaftswissenschaftlerin und radikale Feministin Sandrine Rousseau. Es sind tatsächlich unterschiedliche Positionen mit zum Teil unterschiedlichen Adressaten, die zur Wahl stehen, von einer rein ökologischen Orientierung (Batho) über den "Green Deal" (Jadot) bis zur ökologischen Gesellschaftstransformation (Piolle und konsequenter Rousseau). Favorit (der Medien) ist der recht charismatische Jadot, aber auch Piolle und Rousseau haben Chancen. Als Präsidentschaftsanwärter würde Jadot - laut Umfragen 7-9 Prozent erhalten, Piolle und Rousseau sicherlich weniger. Nach der Kandidatenwahl könnte es unter den Anhängern zu gewissen Annäherungen an andere Gruppierungen kommen (nach links oder en direction Macron).
Deutlich wird aber: Selbst ein umfassendes Bündnis aller irgendwie linken Parteien inklusive Einigung auf einen Kandidaten würde diesem keinen zweiten Wahlgang garantieren. Aber dieses Bündnis scheint im Moment völlig ausgeschlossen. Zu groß sind die Widersprüche zwischen den Vertretern einer 6. Republik und denen, die das "Systems" nur reformieren wollen. Man fasst es kaum angesichts der Herausforderungen, aber - bei Lichte gesehen - ist die Situation in den anderen Ländern Europas auch nicht besser. In der Bundesrepublik gibt es noch nicht einmal eine Linke (polemisch formuliert).
Bevor ich nun in schwarze Galle verfalle: Jede historische Situation ist bekanntlich offen. Schlau sind wir stets im Nachhinein. Die Wahl 2017 hat dies gezeigt. Ohne die unerwartete öffentliche Demontage Fillons wäre Macron nie in den zweiten Wahlgang gekommen. Die Wahl Mitterands von 1981 hat gezeigt, welche Fahrt ein Kandidat aufnehmen kann, wie schnell die Herrschenden schwächeln können. Die Rechte ("Les Republicains") scheint sich momentan zu zerfasern. Marine Le Pen bekommt plötzlich Konkurrenz (Philippot, Zemmour, die nicht nur den RN, sondern auch die LR anknabbern könnten). Die Akzeptanz Macrons könnte weiter sinken - trotz der unglaublich guten Umfragewerte. Das "Reservoir" für ein linken Präsidenten ist vorhanden, wie die Demonstrationen der Macronzeit zeigen (Gilets jaunes, Gewerkschaften, Comité Adama, Antipasse-Bewegung etc.). Weiterhin gilt es "nur", in den zweiten Wahlgang zu kommen. Gegen Le Pen zu gewinnen, ist dann ein Kinderspiel, obwohl... Es gibt das Aussagen von bekannten Philosophen. Ach, lassen wir das... Das Wetter ist schön heute.
Ja, so viel ist mal ausgemacht: das Wetter heute ist gut ;-).
ich nehme das als antwort auf meine aufgeworfene frage.
die "präsidiale monarchie" ist in F. am ende:
nicht nur die repräsentation "des staates"/der gesamt-wähler-
schaft, durch eine person, sondern vor allem dessen
akkumulierte macht-fülle erscheint mir: anachronistisch.
und führt zu massiven ablehnungen des praktizierten
politik-betriebs.
sind es die wähler leid, sich zwischen zwei alternativen
entscheiden zu müssen?
Die Enthaltung wäre geringer, wenn es eine echte Alternative wäre. Die Wähler sind es vor allem leid, immer wieder manipuliert zu werden (und dann auch noch schlecht). Viele sind diese permanenten Umfragen leid, die natürlich die Wahl beeinflussen (zumeist im Interesse der Auftraggeber der "Sondages", oft bürgerliche Medien) und die Kandidaten vor sich hertreiben. Der wahrscheinliche Kandidat der politischen Rechten, Xavier Betrand, hielt es vor einigen Tgen für förderlich, die Eröffnung der Wasservögeljagd als Beitrag zum Naturscbutz im Sinne der französischen Tradition zu würdigen.
Aber auch das läuft in Germany ähnlich. Jagdthemen kämen allerdings wohl nicht so gut an, außer in Bayern (?). Dafür immer wieder: die "Heimat". Es sind aber auch die Umfragen, die Laschet und Baerbock ins Stolpern brachten, nicht nur ihr offensichtlicher Mangel an "Kanzlerität" (das Wort kann ich leider nicht gendern).
Aus dem kleinen Lehrbuch der Manipulation: "Wieder zusammen leben" (RTL)
gilet jaune police mon amour
War es nicht so, dass der "Schnösel" Macron , als er die Benzinpreise erhöhte,gleichzeitig die Steuern für die Reichen senkte ?
Hätte mir dann auch `ne gelbe Weste angezogen.
Eher frankophil gestimmt,finde ich den Zentralismus bescheiden. Und das "france profonde" findet das womöglich auch so.
P.S.:Wer meint,eine monatliche Rechnung von ca. 8000 € für die Frisur zu benötigen....(weiter möchte ich den Satz nicht vervollständigen).
PPS:(in DE wurde ja auch schon mal ein Handwerksmeister "abgesägt" der den "Studierten" vlt. zu "pobelig" war -betr. die SPD),die Franzosen machen`s vielleicht anders rum.