Mit gelber Flagge nach Europa

Frankreich Immer noch demonstrieren die Gelbwesten. Und immer noch findet ein Großteil der Franzosen den Protest berechtigt. Für Macron könnte es eng werden
Ausgabe 01/2019
Die Gelbwesten in Frankreich lassen sich keinem politischen Lager zuordnen. Auch deshalb ist der Protest so erfolgreich
Die Gelbwesten in Frankreich lassen sich keinem politischen Lager zuordnen. Auch deshalb ist der Protest so erfolgreich

Foto: Mehdi Fedouache/AFP/Getty Images

Am 15. Juli 2018 brach nach Abpfiff des Finalspiels der Fußball-WM auf den Champs-Élysées die kollektive blau-weiß-rote Ekstase aus. Vier Monate später wird die Avenue, nun in Gelb getaucht, zum Schauplatz für bürgerkriegsartige Szenen. Zehntausende „Gilets Jaunes“ bringen die V. Republik und ihren jüngsten Präsidenten ins Wanken.

Nach dem Sommermärchen also das Herbstdrama: Der massive Widerstand gegen die Erhöhung der Treibstoffsteuer heizte sich zunächst in den sozialen Netzwerken auf und explodierte dann auf den Straßen. Nach Macron’schen Maßnahmen wie der Abschaffung der Vermögenssteuer, den Kürzungen beim Wohngeld, der Erhöhung des Sozialbeitrags und der Beibehaltung von Steuervorteilen für Unternehmen war diese Reform eine zu viel – zumindest für jene, die am unteren Ende der Einkommensskala stehen und in den ländlichen Gebieten auf das Auto angewiesen sind.

„Weder links noch rechts“, so lautete Macrons Parole. Auch die Gelbwesten wollen sich weder von links noch rechts vereinnahmen lassen. Damit fällt dem Präsidenten das eigene Kalkül auf die Füße: Wer seine Politik jenseits traditioneller politischer Lager verortet, muss auch mit Widerstand von allen Seiten rechnen. Selbst wenn die Zahl der Demonstrierenden über die Feiertage abnahm, unterstützen laut Umfragen noch immer 61 Prozent die Bewegung. Für viele Gelbwesten haben die letzten Wochen vor allem eines bewiesen: „Und sie bewegt sich doch!“ Einflussnahme auf die Politik ist möglich, wenn man sich zusammenschließt und laut wird.

Einige denken bereits daran, eine Gelbwesten-Liste für die Europawahl im Mai aufzustellen, darunter der Sänger Francis Lalanne, eines der wenigen „Gesichter“ einer Bewegung ohne offizielle Repräsentanten. Der ehemalige Vize des Front National und Gründer der Partei „Die Patrioten“, Florian Philippot, versucht derweil die „Gelbweste“ als Marke anzumelden. Er bietet an, seine Europa-Wahlliste zur Hälfte mit Gelbwesten zu besetzen. Wird die Bewegung durch ihre Politisierung auseinanderdriften oder zusammenfinden? Wird das Feuer erlöschen oder bei jedem Reformvorhaben neu entflammen? Die gelbe Weste ist für Frankreichs Politikelite ein grelles Damoklesschwert. Auf ein neues Fußball-Sommermärchen kann sie nicht hoffen.

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Geschrieben von

Romy Straßenburg

Lebt als freie Journalistin in Paris. Ihr Buch "Adieu Liberté - Wie mein Frankreich verschwand" ist im Ullstein-Verlag erschienen.

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