Koalitionsangsthasen

Wahlen 2013 Warum haben die meisten Politiker aller Parteien eine derartige Angst, alleine über neue Koalitionsoptionen zu sprechen oder nachzudenken - und das lange vor der Wahl?

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Koalitionsangsthasen

Foto: Kevork Djansezian/Getty Images

Daniel Cohn-Bendit hat sich vor wenigen Tagen in einem „Spiegel“-Interview für „Schwarz-Grün“ als Koalitionsoption nach den Bundestagswahlen ausgesprochen. Oder, aber, wenn man weiter als die „SPON“-Schlagzeile liest, plädiert der EU-Parlamentarier für eine generelle Öffnung seiner Partei in der Frage einer Regierungskoalition – auch in Richtung der Partei „Die Linke“. Er scheint, wie nur wenige Politiker egal welcher Partei in Deutschland, nicht zu den notorischen, fundamentalen Koalitions-Blockierern oder gar den Koalitionsangsthasen zu gehören. Denn die Mehrheit der Politiker, parteiübergreifend, scheint schon jetzt im Wahlkampf vor allem die Aussage wichtig, mit wem ihre Partei nicht koalieren würde, oder die Festlegung, mit welcher anderen Partei ausschließlich man zu einer Koalition bereit wäre – außer sachlich und ohne des dogmatischen Lagerdenkens über die Bedingungen für andere, neuere Optionen nachzudenken.

Natürlich ist Cohn-Bendit nicht allein. Lobenswert ist die Initiative der Vorsitzender „Der Linken“, Katja Kipping, parteiintern und programmatisch zumindest seitens der eigenen Partei dafür zu sorgen, daß die anderen (vor allem SPD & Die Grünen) weniger Berührungsängste haben – oder eine Ablehnung viel schwerer argumentieren können. Weitere Ausnahmen sind einige CDU-Politiker, die „Schwarz-Grün“ ebenfalls ins Spiel bringen, wie auch Peer Steinbrück von der SPD, der eine Einbindung der FDP in eine „Ampel“-Koalition nicht ausschließt. Klar, dabei hält er gleichzeitig an dem kategorischen „Njet“ Richtung der Linkspartei. Und die CDU – sofern die Wahlergebnisse die aktuellen Umfragen mehr oder weniger bestätigen sollen – fühlt sich so stark, dass es Angela Merkel kaum was ausmacht, wen sie als „Juniorpartner“ nimmt – um ihn (wie auch ihr Vorgänger mit seinem Koalitionspartner) ab und zu überfahren. Und auch Katja Kipping ist keine reine Idealistin – sie möchte ihre Partei auch irgendwann an der Macht sehen, und zumindest vorerst dem weglaufendem Wähler zeigen, daß er mit einem Kreuz für „Die Linke“ nicht immer nur Opposition wählen muss. Und die FDP? Die würde derzeit ohnehin alles tun, um nicht nur in eine Regierung, sondern ins Parlament zu kommen.

Ich möchte mich in diesem Blog mit der Frage befassen, wieso in den deutschen Parteien immer noch eine derart offensichtliche und scheinbar tief verwurzelte Angst vor einem „neuen“ Koalitionspartner herrscht, vor der Möglichkeit eines „neuen Dreiers“ oder vor dem „Partnerwechsel“. Es scheinen sich viele mit dem Lagerdenken zu begnügen, wenn nicht zu vergnügen, und dieses Lagerdenken hat sich gedanklich und in Worten längst über die übliche (und sinnlose) Trennung „bürgerlich“ - „links“ auf andere Verhältnisse ausgeweitet: etwa zwischen der SPD und Der Linken, beidseitig – und das auch ohne Schröder und Lafontaine als Leitwölfe.

Auch wenn ich hier immer wieder „echte“ deutsche Parteien erwähne, anstatt von „Partei A“, „Partei B“, „Politiker X“ etc. zu reden, möchte ich es ohne jegliche politische oder ideologische Sympathie oder Antipathie meinerseits für jeweilige Parteien tun – sondern versuchen, sachlich die Situation zu analysieren – als wäre ich unbeteiligt und es ginge um eine Schachpartie oder Wetteraussichten.

Wovor haben die Parteien und ihre Politiker nun Angst? Was hindert sie, öfter und selbstbewusster wie die wenigen oben erwähnten Fälle, von neuen Koalitionsmöglichkeiten zu reden? Sind die Parteien, ihre Funktionäre, Mitglieder und Wähler an sich so sehr konservativ, dass sie „ja nichts an dem vorhandenen und bewährten“ ändern wollen – ja, nicht einmal davon hören!? Denn wie gesagt, die Angst herrscht nicht nur vor der Koalition an sich, oder den Koalitionsverhandlungen – es herrscht ja Angst davon, darüber offen zu reden, die Für- und Wider-Argumente zu diskutieren, ebenso wie die Aussage, dass es keinen Koalitions-Eid geben kann, sondern nur bessere oder schlechtere Optionen (incl. der völligen Ablehnung jeglicher Koalition). Bevor aber überhaupt eine Koalition entsteht, kommt es normalerweise zu Koalitionsverhandlungen zwischen den Parteien: Hier kann man durchaus klären, welche programmatischen Punkte auf beiden Seiten unverrückbar oder unverhandelbar sind (NATO-Mitgliedschaft, Atom-Ausstieg, Kriegseinsätze), genauso welche sehr leicht verhandelbar sind, d.h. wo jede Seite etwas von ihren Vorstellungen abrückt, um ein Kompromiss herbeizuführen – sei es in der Energiepolitik oder bei Mindestlohn. Wenn man Koalitionsgespräche überhaupt erst führt, kann man ehrlich immer noch im nachhinein der Basis und dem Wähler sagen: Sorry, hat wegen dies und jenem doch nicht geklappt, wir schauen mal weiter (nach einem anderen Koalitionspartner). Die Parteien könnten vor der Wahl durchaus wie derzeit ihre bekannten Partner-Favoriten haben: CDU und FDP, SPD und Die Grünen, Die Linke am ehesten Die Grünen oder die SPD. Man könnte gar weiter gehen – denn die Wahl- und Parteiprogramme der anderen kennt man irgendwann – und eine Prioritätsliste vorstellen, beispielsweise seitens der SPD: Zuerst die Grünen, ansonsten „Ampel“, ansonsten „Rot-Grün-Rot“, dann noch als letztes „Schwarz-Rot“ („Rot-Schwarz“ ist eher unrealistisch). Wäre es zu verwirrend, wäre es zu sehr ein Geständnis an die inzwischen reale Notwendigkeit (bei 5-6 statt 3 Parteien im Parlament) flexibler bei Koalitionskombinationen vorzugehen um eine Mehrheit zu stellen? Oder haben die Parteien Angst als „Verräter“ oder „treulose Opportunisten“ da zu stehen, als rückgratlose, ideologiefreien Spieler? Trauen die Parteien dem Wähler nicht zu, die Sache ebenfalls ruhig zu betrachten, indem die Partei versucht, so gut wie möglich, in einer Reihe von Koalitionsverhandlungen ihr Programm am besten in die Exekutive und somit Realisierbarkeit durchzubringen? Für Die Grünen beispielsweise könnte – sofern man gut verhandelt - „Schwarz-Grün“ im Endergebnis eine effektivere Durchsetzung eigener (Teile der ) Programmpunkte, als „keinesfalls“ zu schreien – und unter „Schwarz-Rot“ oder „Schwarz-Geld“ auf der Oppositionsbank zuzusehen, wie keines der eigenen Punkte zur Realität wird. Genauso ist es mit Der Linken: Soll man das Feld anderen überlassen, oder doch noch versuchen einige „bittere Pillen“ zu schlucken (Auslandseinsätze), dafür einen höheren Mindestlohn oder mehr Geld für Bildung zu erreichen (bei SÜD-Grüne-Linke Option)? Auch für die SPD wäre – programmatisch – mehr drin, wenn man mit „Rot-Grün-Rot“ es versucht, danach mit „Ampel“, und am wenigsten mit einer „großen“ Koalition.

Ich habe dass Thema der „Koalitionsangst“ vor kurzem mit einer deutschen Politikwissenschaftlerin besprochen. Sie meinte, es liegt am ehesten am Wähler, nicht so sehr an den Parteien und ihren Funktionären selbst, dass die Angst noch derart vorherrscht. Natürlich gibt es das Lagerdenken und Betonköpfe in jeder Partei, doch die nehmen mit der Zeit – vor allem verglichen mit den 50er und 60er Jahren – ab (auch wenn sie es ungern zugeben). Dagegen ist schon rein demographisch der Durchschnittswähler älter und somit konservativer (nicht im politischen Sinne) als der Durchschnitts-Parteifunktionär oder -Mitglied. Das heißt, die Parteien an sich würden eher „es probieren“ oder „mit den Gedanken spielen“ - doch sie haben Angst vor dem eigenen Wähler. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens, der Wähler mag keine Änderungen, Sprünge, er mag keine Beziehungswechsel. Zweitens, der Wähler mag keine wochenlangen Koalitionsverhandlungen und somit „immer noch keine Gewissheit, was nun ist“ nach dem Wahl-Sonntag. Spätestens Montag in der Morgenzeitung muss die Regierung stehen! Oder halten vielleicht die Parteien den Wähler für so unmündig, dass sie es ihm nicht zutrauen, die Lage nüchterner zu betrachten, und gegebenfalls eine „ungewohnte“ Koalition zu akzeptieren? Möglicherweise trauen die Funktionäre und Wahlkämpfer aber dem vielleicht Wähler zu nicht, liberaler zu sein und von seinen gewohnten Erwartungsmuster bezüglich der Regierungsbildung abzuweichen – oder auch sich selbst, ihn vom Für- und Wider- der Verhandlungen – ob diese gelingen oder scheitern – argumentativ und undogmatisch zu überzeugen. Jedenfalls herrscht wohl tatsächlich eine Angst vor wem eigenen Wähler wenn es um Koalitions-Neuheiten geht – berechtigt oder nicht. Oder vor der eigenen Ehrlichkeit und Courage – selbst wenn es zunächst nur ums Reden geht. Und hier wäre mehr Offenheit, mehr Mut angebracht, weniger an voreiligen Grenzziehungen und Trennungsargumenten. Nicht Gemeinsamkeiten festzustellen, keine Kompromisse zu finden, und somit am Ende gar nicht zu einer Einigung zu kommen kann man immer noch danach. Erstens nach der Wahl selbst, und zweitens nach geführten Koalitionsgesprächen.

Wäre es nicht möglich, in Deutschland etwas über den Tellerrand zu gucken, und sich was die Koalitionsbildung angeht viel offeneren Nachbarn anzusehen: Dänemark, Niederlande, Polen, Tschechien, sogar Österreich?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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