Die Wahrnehmung trügt. Nicht von gleich zu gleich begegnen sich Barack Obama und Raúl Castro beim OAS-Gipfel in Panama. Schon wegen der Staaten und Systeme, die sie verkörpern, kann das nicht sein. Weil es diesen Unterschied gibt, der ein Gegensatz ist, sitzen sich vielmehr Täter und Opfer gegenüber. Obama gesteht durch sein Treffen mit Castro ein, dass die feindselige Politik von zehn US-Präsidenten – Eisenhower, Kennedy, Johnson, Nixon, Ford, Carter, Reagan, Bush senior, Clinton, Bush junior – gegenüber Kuba gescheitert ist.
Es gibt keinen besseren Beweis dafür als seinen Gesprächspartner: Castro zählte schon 1953 zu den Kubanern, die mit dem Sturm auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba die amerikahörige Diktatur des Fulgencio Batista erschütterten. Und er ist immer noch da. Revolutionäre wie Raúl und sein Bruder Fidel mögen Irrtümern und Dogmen gefolgt sein – sie haben trotzdem dafür gesorgt, dass ihr Land den USA nicht wie eine reife Frucht in den Schoß fiel. Gäbe es mehr Menschen, die so im Einklang mit ihren Ideen zu leben vermögen, es bliebe von all den Marktschreiern und Mittelmäßigen, die heute als Politiker unterwegs sind, bestenfalls ein lauer Wind. Und die Welt wäre eine bessere, wie sich das in Lateinamerika abzeichnet.
Der Wandel dort zwingt die USA zum Wandel. Die diplomatische Blockade gegen Kuba hat zuletzt weniger Havanna als Washington isoliert. Längst unterhalten alle Länder des Subkontinents wieder Beziehungen mit dem Karibikstaat. Es gibt eine Achse progressiver Regierungen von Montevideo über La Paz und Quito bis nach Caracas und Managua, die Kuba als – oft selbstlosen – Partner schätzen. Der wird geachtet, weil er 60 Jahre lang seine Würde nicht preisgegeben hat. Dem wird geholfen, weil er anderen half, durch mehr als 5.000 Ärzte für die Armenviertel Venezuelas etwa. Der wird integriert wie in die Bolivarianische Allianz (ALBA) oder eben die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Wollten die Amerikaner bei deren Gipfeltreffen unter den 35 Mitgliedsstaaten keine Kubaner sehen, müssten sie zu Hause bleiben. Das heißt, indem er mit Raúl Castro spricht, nützt Obama nicht dem Karibik-Sozialismus, sondern sich selbst. Er vollzieht keinen Gnadenakt. Mit dem Verzicht auf ihr anachronistisches Verhalten verharren die USA nicht länger im 20. Jahrhundert, als ihre Präsidenten dem Belagerungssyndrom verfielen, da sie glaubten, ein Land bestrafen zu müssen, das auf Souveränität und Selbstbestimmung bedacht war. Dieser Anmaßung zu entsagen, ist das Mindeste, was Obama tun sollte. Kuba für die seit 1962 verhängten Wirtschaftssanktionen zu entschädigen, wäre angebracht, erscheint jedoch irreal, auch wenn die vom US-Embargo verursachten Schäden auf 1,1 Billionen US-Dollar geschätzt werden.
Ende der siebziger Jahre gab es durch die damalige US-Administration immerhin einen Versuch, die permanente Repression zu lockern. Dann aber wurde der Demokrat Jimmy Carter nach der Präsidentenwahl 1980 durch den Republikaner Ronald Reagan ersetzt, der noch einmal ein Vierteljahrhundert der Feindschaft einläutete. In dieser Zeit brachte es George W. Bush (Präsident 2001 – 2009) fertig, die Kubaner als Tropen-Taliban abzustempeln, die dem internationalen Terror treue Komplizen seien. Ein bemerkenswertes Indiz dafür, wie US-Politiker beim Blick in den Spiegel statt sich selbst andere zu erkennen glaubten. Übrigens ein verbreitetes Phänomen.
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