Wladimir Putin sieht sich mit einer merkwürdigen Frage konfrontiert: Gleicht seine dritte Präsidentschaft der ersten und zweiten zwischen 2000 und 2008? Von Politikstil und Selbstverständnis her lässt sich das nur bejahen. Doch während nach den turbulenten Jahren unter dem Staatschef Boris Jelzin auch im Westen die Erleichterung groß war, dass Russland nach dessen Abgang Ende 1999 nicht chaotischer Anarchie verfiel, sondern zu belastbarer Stabilität zurückkehrte, stellt sich das 2012 völlig anders dar. Die Großmacht im Osten wird vom Partner wieder mehr zum Gegenspieler des Westens. Es hat den Anschein, als würde Präsident Putin diese Herausforderung gern und entschlossen – manchmal fast überschwänglich – annehmen.
Eurasische oder Zollunion?
Immer wieder aufflammender Straßenprotest in Moskau oder Petersburg bietet Putin Anlass genug, sich als Personifizierung des starken und in Teilen autoritären Staates zu empfehlen. War das der EU vor zehn Jahren nicht unrecht, ist es ihr heute unverkennbar suspekt. Was sich dabei an ideologischen Konflikten entlädt, erfüllt seinen Zweck und vermittelt den Eindruck: Im Osten gibt es einen Rückfall in die Despotie – der Westen bleibt ein Hort der Demokratie. Doch sollte diese Schlagabtausch der Kulturen nicht isoliert betrachtet werden.
Wird dieser Clash doch von einer alles entscheidenden Frage überlagert, wie sie auch beim jetzigen EU-Russland-Gipfel für vernehmliche Hintergrund-Geräusche sorgt: Gilt sie weiter, die strategische Partnerschaft zwischen der Russischen Föderation und Europa oder weicht sie der Sehnsucht nach einer Ära, in der Russland dem Voluntarismus eines Boris Jelzins ausgeliefert war? Als über Unternehmen wie den Öl-Konzern Yukos des Michail Chodorkowski der nationale Ausverkauf relevanter Ressourcen des Landes möglich schien und vorbereitet wurde?
Natürlich wird auch der EU nicht entgangen sein, dass sich Russland unter Putin wird stärker nach Osten orientiert. So wird mit Weißrussland und Kasachstan eine Eurasische Gemeinschaft in Erwägung gezogen, nachdem die Zollunion als Keimzelle eine neues Wirtschaftsverbundes offenbar eine Illusion bleibt. Die Ukraine verweigert sich diesem durchaus sinnvollen Regionalverbund, der alles andere wäre als ein Schulterschluss postsowjetischer Satelliten Moskaus. Präsident Viktor Janukowitsch – zu oft und zu Unrecht als williger Gefolgsmann Putins hingestellt – wird und will sich nun einmal das Assoziierungabkommen mit der EU nicht nehmen lassen. Das liegt weiter auf Eis. Vermutlich ließe sich davon nichts wieder auftauen, wollte Kiew eine eindeutige „Koalitionsaussage“ zugunsten Moskaus treffen. Dann dürften die Würfel unwiderruflich gefallen.
Brücken in den Westen
Allerdings sollte sich Brüssel darüber im Klaren sein, was es bedeutet, die Ukraine in die Arme Russlands zu treiben. Die nebenbei gesagt so offen nicht sind. Auf dem Energiemarkt– besonders bei den Erdgaslieferungen – werden Kiew schon seit den Regierungszeiten der gescheiterten Ministerpräsidentin Julia Timoschenko keine Geschenke mehr gemacht. Wladimir Putin ist auf die Ukraine nicht in dem Maße angewiesen wie die Ukraine auf Europa. Dise Land will Brücken erhalten, die in den Westen führen, so fragil sie auch immer sein mögen.
Wofür sich Moskau auf jeden Fall verbürgen kann, solange Putin und seinesgleichen herrschen, werden sie auf ihrem eigenen Weg zum Kapitalismus beharren. Dass damit Rivalität nicht zuletzt mit der EU programmiert sind, liegt auf der Hand.
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